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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 10 (Juliheft 1922)
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Troeltsch, Ernst: Wieder bei der Reparationskommission: Berliner Brief
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0274

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desinteressen, Machtkampf und Interessenwut das eigentlich Entscheidende
sind. Die nüchterne Sachlage und die in der grauenvollen Situation über-
haupt noch liegenden Möglichkeiten will niemand sehen und Rücksicht auf
böse Vorteile, die wir dem Ausland in die Hand spielen, will niemand neh-
tnen, wenn er damit seinen verhaßten Nachbar materiell oder moralisch
treffen kann. Man hetzt und hetzt auf allen Seiten, und wenn dann Dinge
wie das Blausäure-Attentat auf tzerrn Scheidemann herauskommen, be-
dauert man es, erklärt es aber für naturgemäße Folge eines allzustarken
tzervortretens der Sozialdemokratie. Da könne man die ursprünglich gesunden
und jetzt nur verirrten Volksinstinkte nicht mehr bändigen, ganz so wie es
gegenüber den Iuden gehe. Anderseits will man auch das an sich erfreuliche
Ergebnis des Münchener Fechenbachprozesses nicht nach außen wirksam wer-
den lassen, das die hochgefährliche Wirkung der Eisnerschen Fälschungen
endgültig föstgestellt hat. Schon haben die Konservativen eine Interpellation
eingebracht, die die Schuld der Sozialdemokratie an dem Schulddogma durch
den Reichstag feststellen lassen will und damit Kommunisten und Unabhängige
zur äußersten Verteidignng der Alleinschuld Deutschlands, d. h. des gehaßten
Ancien Regime am Kriege veranlassen wird. Alles nur, damit das Ausland
sich auf deutsche Zeugnisse immer neu berufen kann und damit der Wahl-
kampf gegen die Sozialdemokratie wohl vorbereitet sei! Von dem Wahnsinn
den UnabhLngigen, denen die deutsche Kriegsschuld so heilig ist wie den Fran-
zosen der Versailler Vertrag, gar nicht zu reden.

So schwere Niederlagen, wie wir sie erlitten haben durch eigene Kurzsichi-
tigkeit und soziale Revolutionen, wie wir sie durch gleiche Kurzsichtigkeit
verschärft haben, würden wohl jedes Volk, das davon betroffen wird, für
einige Zeit etwas kopflos machen und demoralisieren. Aber es ist zu fürchten,
daß die moralischen Durchschnittsqualitäten des modernen Deutschen hier
ganz besonders wenig widerstandsfähig waren und sind und daß daher der
tzeilungsprozeß schwerer sein möchte als irgendwo sonst.

Bei der Korrektur kommt die Nachricht von Rathenaus Erinordung. Vor
ein paar Tagen sagte er zu mir, er gehe nie ohne Waffen aus und rechne
stets mit der Möglichkeit einer Ermordung! Wer wird der nächfte sein? und
wie wird die Mark darauf reagieren?

Berlin, ss. 6. 22. Ernst Troelts ch

Vom tzeute fürs Morgen

Ecce

ie Völker des Ostens haben eine ur-
alte Sage von der Dinge Anfang.
Tottvater hatte Erde und Himmel ge-
schaffen, Pflanzen und vielerlei Getier.
Bunt war es auf Erden und lcbendig.
Er aber schüttelte den Kopf und sann.
Irgend etwas schien ihm noch zu fehlen
im Kreise seiner Schöpfung, ein Köst-
lichstes, in dem alle Schönheit eins
wäre.

Grübelnd schritt er üder das Land
und kam an einen stillen Bergsee. Und
wie er so am Ufer stand und die klare
Flut ihm sein Bild zurückwarf: Siehe,

da wußte er auf einmal, wonach er ver-
gebens gesucht hatte, wußte, was seinem
Werke noch gemangelt hatte.

Und er setzte sich auf einen SteiN
und begann, ein ueues Wesen zu for-
men. Stunde um Stunde arbeitete er,
aber er fand kein Genügen. Immer
wieder deuchte ihn, es müsse noch besser,
noch vollkommener zu machen sein.
Prüfend schaute er vor sich hin, stützte
sein Haupt in die tzand und sann. Und
fiel darüber in einen leichten Schlummer.

Aud plötzlich war ihm, als stehe das
neue Wesen vollendet vor ihm und
schaue ihn aus tiefen Augen bittend

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