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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Das Weltgebot: Ostergedanken 1922
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0015

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Das WelLgebot

Ostergedanken !922
Wi^wei Tatsachen aus der neuesten Geschichte.

^^Erstens: bei der Entscheidung über Oberschlesien hat trotz allen Pro--
pagandareden von fair play (die geheimen linterredungen kennen wir
ja nicht) allein das Macht- und Geldinteresse der Ententepolitiker entschieden.

Zweitens: als auf Nansens Anregung eine' größte Organisation inter-
nationaler tzilfe für die verhungernden Menschenmassen in Rußland ver-
handelt wurde, hat man sie davon abhängig gemacht, ob die Sowjetregie-
rung sich zur Verzinsung der von der Zarenregierung ihrer Zeit aufgenom-
menen Auslandsanleihen verpflichtet erkläre. Wurden den Kapitalisten ihre
Zinsen nicht garantiert, so mochten die Millionen sterben. Ich habe noch
keinen Politiker gesprochen, der nicht glatt zugibt, daß das politische Geschäft
in beiden Fällen unsittlich war. Aber auch noch keinen, der das nicht
ganz selbstverständlich fand. Politik werde eben von Interessen ge-
macht. Antwortet man: es gäbe doch auch noch andre Interessen, als an
Geld und Macht, und es habe solche Interessen ausweislich der Befreiungs-
und der Religionskriege ja stets gegeben, so heißt es: dem Anhänger der
materialistischen Geschichtsauffassung sei selbst das zweifelhaft, jedenfalls
aber: in der Gegenwart gäbe es keine andern Interessen von politischer
Wirksamkeit, als solche der Wirtschaft und der Machterweiterung.

Nun wissen wir alle, daß gerade die eminent politischen und politisch
erfolgreichen Regierungen, vor allem die Englands und Frankreichs, in
ihrer Propaganda die größte Wichtigkeit den moralischen Faktoren bei-
messen. Die Propaganda dieser Länder hat beim Suggerieren der Völker
gegen die Deutschen nur zum allerkleinsten Teile von den materiellen Vor-
teilen auch nur gesprochen, die aus dem Niederwerfen, Zerstückeln und
Berauben unsres Vaterlandes den Ententeangehörigen uud ihren Ver-
bündeten erwachsen würden, dagegen hat sie alle Kräfte und alle Mittel
daran gesetzt, unser Volk als sittlich minderwert hinzustellen. Das
geschah in durchaus zutreffender Beurteilung der Massenpsyche. Eines
materiellen Vorteils willen läßt sich eine Masse höchstens bei unmittel-
barer Lebensgefahr bis zur äußersten Kraftanstrengung aufpeitschen, also
ein Volksganzes nie. Der ganz oder halb schlummernde Gedanke au Beute
und Macht mag halb unbewußt die Willigkeit gegenüber dem Suggereur
erhöhen, aber alle Kenner der Massenpsychologie wissen es: eine „Idee"

Aprilheft ,A22 (XXXV, r)
 
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