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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Franz Marc und seine "Stella peregrina"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0024

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Franz Mare und seine „Stella peregrina"

Berlrn ist jetzt eine Franz Marc-Ausstellung. Sie unterrichtet über
^ ( das von einer dummen Kugel weggerissene jugendliche Genie, denn ein
^^Genie war Marc, das größte innerhalb der expressionistischen Be°
wegung, von dem wir wissen — vielleicht sogar trotz Kokoschka und andere
das etnzige. Die Ausstellung gibt aber dem ernsthaft nachprüfenden
Einsichtigen auch klare Auskünfte über den Expressionismus überhaupt.
Ietzt nennt seine Kunst ein jeder so, der formlos, zuchtlos, haltlos ist, sich
einbildet, „Natur" hemme, und dem sich zugleich von selber versteht, daß er
in seinem heiligen Innern habe, was für die Mitmenschen wichtig sei. So
kommt bei den Expressionisten meist etwas Ahnliches heraus, wie bei den
spiritistischen Geisterbeschwörungen: aufgeregter Aufwand, und wenn der
Geist endlich zum Sprechen kommt, aufgeregte Banalität. So bei den
bessern, bei den meisten nicht einmal so. Bei den meisten einfach ein
Nachmachen von Verstiegenheiten und Verschraubtheiten irgendeines an--
dern, „wie er räuspert und wie er spuckt". Nichts bezeichnender für diesen
ganzen Nnfug, als die Betonung des „Dekorativen". Was hat das Deko--
rative mit dem Ausdruck zu tun?

Bei Marc ist's anders. Mir persönlich sind diejenigen seiner Bilder
am liebsten, mit denen er für die Erscheinung intim beobachteter Tiere
um vereinfachte Formungen ringt, die das aussprechen sollen, was seine
Liebe als ihre Seele fühlt. Ich weiß nicht, in welchem Maße Marc von
dem alten Asiaten Korin beeinflußt ist, war er's nicht in starkem Maße,
so war er tiefinnerlich mit jenem verwandt. Nein doch, das war er auf
alle Fälle. Hinter zunächst verwunderlichen, scheinbar nur dekorativen
Gebilden, deren bekanntestes im ehemaligen Kronprinzenpalais von Berlin
der Turm der blauen Pferde ist, immer ein Ienseits, besser ein Innenseits,
das den sich Vertiefenden erkennen läßt: diese „Barocke", dieses „Äber--
spannte", befreit, wirklich es befreit von allerlei, was bei der Ge--
staltung dieses Erlebnisses nur mitgeschleppte Hemmung wäre. Die
Marcsche Formgebung war nötig, um den Keim lebenskräftig zu übertragen,
der dann im Beschauer das Marcsche Erlebnis einwachsen und aus einem
tiefen Erleben sich auswachsen machte.

Was aus Marc noch geworden wäre, wissen wir nicht, aber wir wissen
wenigstens, wie er ward.

And dies, die anschaulichste Vermittlung eines Mitlebens in der Werde-
zeit, das ist es, was der großen Luxuspublikation ihren besten Wert
gibt, die unter dem Titel „Stella peregrina" bei Franz tzanfstaengl in
München in PO Abzügen erschienen ist. In prächtiger, aber auch edler
Ausstattung achtzehn Faksimilenachbildungen, handkoloriert von Frau
Annette von Eckardt, mit einer Einleitung von Hermann Bahr. Nicht etwa
Wiedergaben von Marcs berühmtesten Bildern, nein, sonst Nnbekanntes,
dem er kaum besonderen Wert beigelegt hat. Ein Zwanzigjähriger, so
hat Marc damals, „auf einer Alm mit Schafen und Kühen in ein paar
guten Büchern gehaust. Damals sind diese Blätter entstanden, als kleine
Randbemerkungen, halblaut hingemurmelt, während seine Seele sich, über-
voll, mit ihrer tiefen Einsamkeit besprach, als leichte, kindlich-eilige Spiele
der müßigen Hand, die nur zuweilen in banger Seligkeit leise zittert". So
kennzeichnet Bahr die Blätter. Er fügt hinzu: „So schnitt der heilige
Franziskus, dem dieser arme deutsche Künstler nicht bloß in der mitfühlen--
 
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