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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 7 (Aprilheft 1922)
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Avenarius, Ferdinand: Franz Marc und seine "Stella peregrina"
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Corbach, Otto: Drei Jahre in Südrußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0025

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den Innigkeit seiner Liebe zu den Tieren glich, sich oft ein Rohr und blies
dem Himmel seinen Dank vor, man hörte nicht viel davon, doch ihm ward
leichter. Uns aber, die wir wissen, zu welcher Freiheit, welcher Klarheit,
welcher Entschiedenheit des Willens der rein gesinnte Künstler sich damals
durchgerungen hat, sind diese Zeichen jener reinen Stunden ein treues
Vermächtnis." Mir scheint, als ob das Durchringen in jenen Blättern,
die Arbeit am eigenen Werden stärker kenntlich sei, als daß man sie
mit Franzischen gottinnig ruhigen Schalmeienspiel ohne Vorbehalt ver--
gleichen könne. Die Blätter sind zwischen Reminiszenz und Schöpfe-
rischem von sehr verschiedener Art und sehr verschiedenem Wert, aber ein
Erarbeiten fühl ich aus allen. Ich bekenne: ich besinne mich überhaupt
auf kein Werk oder Werkchen von Marc, das mir aus seiner Phantasie nur
leicht ausgeflossen erschiene aus dem, was sie eben gerade erfüllte. Iede
Gabe von ihm wies durch irgendein Wollen über das diesmal Erreichte
schon hinaus. Aber vielleicht täusche ich mich da, weil eine umfassende
Publikation über Marc und damit ein rechter Aberblick noch fehlt. Die
sie schaffen können, sollten sie schaffen. A

Drei Zahre in Südrutzland

^-O-nser Mitarbeiter Otto Lorbach war in den letzten Iahren für
H uns verschollen. Kein Brief von ihm erreichte uns, keiner ihn, keine
^^Nachfrage brachte irgendein Ergebnis, nach und nach kam unter
seinen Freunden in Deutschland das Gerücht auf, Corbach sei irgendwie,
wahrscheinlich bei einer der Metzeleien in Südrußland, umgekommen. Da
kam zu unsrer großen Freude um Weihuachten ein Brief, der den Ver--
mißten heimgekehrt meldete. Auf Corbachs Frage, worüber er den Kunstwart--
lesern zunächst wieder sprechen könne, baten wir Corbach, diesen zuerst ein-
mal kurz zu erzählen, wie es ihm die Zeit her ergangen sei. Darauf schrieb er:

nfang September reiste ich von Berlin über Bukarest nach Odessa.
^Anfang Oktober lAN wurde ich in Odessa mit einem Heimkehrertrans-
port eingeschifft, nach einigen Tagen in Noworossisk gelandet, um nach
sechswöchigem Herumliegen, Frieren und Hungern in dunklen, dumpfen
Baracken mit einem andern Schiff nach Triest und von dort auf der Bahn
in das Heimkehrerlager Lechfeld bei Augsburg befördert zu werden. Gegen
Weihnachten konnte ich in Freiheit wieder die Luft der tzeimat atmen.

Was hatte mich damals in den ukrainischen Hexenkessel getrieben?

Vor allem: ein unbestimmter „Drang nach dem Osten". Im „fernen"
Osten hatte ich einst, im Iahre sZOO, meine journalistische Laufbahn be-
gonnen. War ich auch seit s905 wieder in Deutschland, so verlor sich in
mir doch nie wieder die Grundstimmung, in die die meisten Europäer im
Osten versetzt werden. Wie Kipling sie ausdrückt:

„Wer nie des Ostens Ruf vernommen,

Dem kann nichts anderes mehr frommen."

Fernöstliche Erinnerungen bildeten den Grundton in dem, was ich
öffentlich schrieb. Während des Weltkrieges ließen zugleich erschütternde
und befreiende persönliche Schicksale in mir den Entschluß reifen, das
russische Leben an den Quellen kennen zu lernen. Im Sommer i9i8
fing ich an, Russisch zu lernen: ich gedachte, nach Beendigung des Krieges
irgendwie nach Rußland zu kommen. Da bot sich mir Gelegenheit, noch
vorher in die von deutschen und österreichischen Truppen besetzte Nkraine
 
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