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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 8 (Maiheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Arbeit und Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0086
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Lebensform, sondern für Tausende und Abertausende hier wie überall sogar
wirklich Lebenshalt, letzter Lebenssinn und --trost; Arbeitstimmung, Arbeit-
moral, Arbeitwille eben darnm ein nie Auszulöschendes, nie Entbehr-
liches, nie Verächtliches gar oder Geringes. Welche gewaltigen Werte aber
immer wir in alledem erblicken mögen — ausfüllend für ein Volk sind sie
nicht. Und das ist für jene schauenden Ausländer das Seltsame und Be-
fremdende, wie tief, tief Deutschland in der Arbeitstimmung, dem Arbeit-
willen, der Arbeitmoral drinsteckt. Dem Ausland, das Deutschland aus-
beuten will, ist das in einer Hinsicht recht, ja sehr willkommen; unsre Arbeit
schafft ihm seine Rente. In einer andern Hinsicht sieht sogar dieses, das
wirtschaftende, das politische Ausland unsere Arbeit mit Bedenken; denn
es wittert darin die surchtbare Konkurrenz; nicht etwa allein die um den
Erfolg, sondern auch jene Konkurrenz, welche wie einst vor Kriegsbeginn
bald abermals das durchschnittliche Arbeitquantum für alle Industrievölker
bestimmen mag zum Nachteil der Lebensführung Aller. Vollends aber
fragen die Unpolitischen, Unwirtschaftlichen, Wohlwollenden, geistig Verant-
wortlichen draußen: hat denn Deutschland, das ehedem durch Arbeit „empor-
kam", jedoch schließlich wohin emporkam?, durch Arbeit sich verhärtete und
entgeistigte, nichts, gar nichts gelernt aus der jüngsten Vergangenheit,
als — wiederum zu arbeiten?

Wir tun schwerlich schlecht daran, diese Frage zur 'unsern zu machen.
Neben der Verherrlichung der Arbeit tut eine Kritik der Arbeit uns schon
allzu not. Denn es ist wahr, daß fanatische Arbeit verhärtet, daß der
Dämon der Arbeit uns mit der Linken nimmt, was er mit der Rechten ,gibt,
daß Arbeit, mag sie so intensiv, so wirkungvoll, so hochgradig wie immer
„betrieben" werden, dennoch unser Menschentum ankränkelt, wenn sie
den Kern unseres Wesens mehr und mehr bis zur letzten Grenze
fordert und anzehrt. Billig scheint die Weisheit vom goldenen Mittelweg.
Dennoch ist sie zuweilen echt. Nicht nur zwischen Sinnenglück und Seelen-
frieden, auch zwischen Arbeit und „Leben" ist uns die bange Wahl geboten,
die mit mehr oder weniger rationalem Kompromiß endet. Denn das ist
es ja, woran Arbeitfanatismus uns hindert, das frei gewollte, frei geführte,
aus sich selbst quellende, hingebungfrohe Leben — die Romantik! lind
das Kompromiß, das Deutschland mit sich selbst geschlossen hatte und
erneut zu schließen im Begriff scheint, lautete auf Arbeit, viel, unerhört,
unvergleichlich viel Arbeit einerseits und Mißachtung des Lebens ander-
seits. Es ist allzuweilen, als ob in Deutschland nur noch in Sekten, Wan-
dervogelbünden, Künstlerateliers, Schauspielertruppen und Schiebergelagen
der Wille zum arbeitlosen Leben, zum Leben schlechthin anerkannt würde
als auch berechtigt, wenn schon nicht gleichberechtigt. Und doch ist in Wahr-
heit Romantik als Wille zu solchem Leben kein geringerer Antrieb als
irgend ein anderer aus echter Erlebniskraft geborener. Denn darin steckt
wahrlich nicht allein Genußsucht und platte Gier, auch alle jene Dränge,
die nicht erarbeitbaren Werten gelten, der Wille zur Besinnung, zur Stille,
zur Natur, zur Kunst, zur Geselligkeit, zum Austausch des Wesens, zur
Liebe, zur Hiugabe, zum Welterobern im Geist. Das alles ist romantischer
Wille, wenn und sofern es seinen Weg nicht über „Arbeit" nimmt. Ein
Volk aber, das dieses Willens entbehrt, das die Arbeit nicht mit geballter
Energie zu „erledigen", danach aber die Energien freizulassen vermag,
sondern in Arbeit „aufgeht", ein solches Volk ist in Gefahr, weit mehr
zu verlieren, als Arbeit je ersetzen kann. Sind wir in dieser Gefahr?

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