Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1922)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Arbeit und Romantik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0085

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
geschrrttenen fehlt der Mut, ihn keck und gleichsam unbesonnen wieder ans--
zusprechen. Doch — was hemmt uns?

Was hemmt romantischen Drang in unserm Deutschland? Dasselbe wohl,
was das Blühen der Romantik selber hemmt! Ls lohnt sich, dem nach--
zugehen. Die Zeit ist vorüber, da man mit Aussicht auf „Richtigkeit"
literarische Bewegungen betrachten konnte, abgelöst von den tiefen, ent--
scheidenden Bewegungen des Lebens selbst, das die Literatur umspielt, dessen
Ausdruck und Begleiterin sie ist. Die Prophezeiung, romantische Dichtung
werde wiederkehren, war rein literarisch gewonnen, ohne den Tiefenblick
auf das, was die Dichtung bestimmt, aus das Leben. Wer damals die
Zukunftlinien deutschen Lebens, deutscher Politik, deutscher Gesellschaft--
entwicklung klar gesehen hätte, hätte nimmermehr geglaubt, von so hartem
Boden werde so bald das beflügelte Kind unbeschwerter Phantasie, grenzen-
loser Hingabe, freiesten wissenden Instinktes und wagetollen Lebensmutes
sich erheben. Denn eben dies ist Romantik. And keineswegs nur als dich-
terische Technik, als Stil oder Form, sondern als Lebensanschauung.
Gerade als solche aber war sie dem Deutschland von sZOO und WO un-
möglich.

And dem von 1922?

Spricht man im Anslande mit freundlichen und wissenden Fremden über
Deutschland, so Pflegt sich bald zweierlei Herauszustellen. Vorbehaltlos wird
Deutschlaud zugestanden, daß es die tiefsten Tiefen ergräbt, die höchsten
Höhen erschwingt. Ls gibt keinen zweiten Goethe, keinen zweiten Beet-
hoven, keinen zweiten Wagner, keinen zweiten Schopenhauer oder Nietzsche.
Selbst in den Bezirken geniehaften Gelehrtentums gesteht man den Deutschen
nahezu Anvergleichliches, mindestens der Zahl nach, zu. Was aber als
durchschnittliche Lebensform, als alltagbestimmende Gesinnung in der breiten
Fülle deutschen Lebens die gewaltigen Einzelnen umflutet, wird mit einer
Mischung aus Respekt, ja Hochachtung und Angst, ja Grausen betrachtet.
Als ein gewissermaßen undurchdringliches Angeheuerliches. Nun hat
Deutschland sicherlich das vollkommenste Recht, jene verlogenen Lobprei-
sungen seiner Genies, seiner „Dichter und Denker" abzulehnen, soweit sie
es, ironisch oder osfen, anweisen, sich doch mit der Genie-Erzeugung zu
begnügen und auf eigene Leb ens-Gestaltung zu verzichten. Indes,
neben den verlogenen gibt es ehrliche solche Lobpreisungen. Änd die Ehr-
lichsten selbst, die so sprechen, stehen dem tiefgefühlten Gegensatz zwischen
deutschem Genie uud deutschem Leben recht ratlos gegenüber. Und diese
Ratlosigkeit — wissen wir ihr abzuhelfen? Oder fühlen wir den Gegen-
satz überhaupt nicht?

Es scheint, daß so manche ihn heute fühlen. Daß manche heute das
Leitwort unseres öffentlichen Lebens erkennen und seinen Abstand ermessen
von dem Leitwort des deutschen Wesens, das geniezeugend sein mag.
Ienes lautet Arbeit! Dieses Leben! In ganz großen Zusammenfassungen
gesagt, ausgeschaltet alles, was die Grundzüge durchkreuzt und verwirrt —:
wir haben gearbeitet, darum hatten wir keine Romantik. Deutsche Stim-
mung war: Arbeitstimmung, deutsches Wollen: Sich-emporarbeiten, deutsche
Moral: Arbeitmoral, deutsche Dichtung: erarbeitet, deutsches Leben: Arbeit.
Das wird, das kann, das soll nicht Vollkommen anders werden. Toren und
Narren allein können übersehen, was es positiv bedeutet. Ist Arbeit doch
nicht nur äußere Lebensnotwendigkeit für wachsende Völker europäisch-
engen Heimatraums, nicht nur echte, gottgewollte Kraftäußerung und

66
 
Annotationen