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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Die neue Kunst und die Kirche, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0224
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und kirchliches Leben heißt, und weiter: ist für die religiöse Kunst und für
die Kirche noch eine Weiterentwicklung zu erwarten, die beide einander
und ihrem ursprünglichen Ziele wieder näher führt?

Dies ursprüngliche Ziel wird in den Frühzeiten der Kultge-
meinschaften deutlich, die ohne die heutige Arbeitsteilung in der
Person des Priesters den Tänzer, Bildner und Sänger vereinigten, während
der Tempel des Volkes Werk war: Sichtbarmachung seiner Religion.

Sehr lange blieb die Einheit der Künste nicht gewahrt. Die Ge-
meinschaft zerriß politischer tzader, Trennung in Bildungsschichten,
soziale Klassen, die Künste sonderten sich voneinander und vom Tem-
pel, Priester und Sänger waren nicht mehr Eines, die Religion selbst er-
zeugte im Schoß getrennter Gemeinschaften verschiedene Kulte, die sich be-
fehdeten, ihres gemeinsamen Inhalts vergessend, der mehr und mehr der
Form geopfert wurde. Allen großen Religionen ist dieser Vorgang gemein.
Der Streit um Gefäße ist allemal das Ende. Beim Christentum begann
er in den allerersten Iahrhunderten. Einzig in Klöstern erhielt sich noch
eine Zeitlang Gemeinschaft, Gemeinschaftskunst und Gemeinschaftsglaube.
Draußen in der Welt lärmte der Zank um die Gefäße, in denen das Gött-
liche und das Menschliche gesaßt werden sollte als Kirchengebot, Exegese,
weltliches Recht, Ständeordnung, politische, sittliche Ordnung des Daseins
von Menschen und Menschengruppen, die mehr und mehr die Beziehung
zueinander und gleichzeitig zum Ungeteilten, zu Gott verloren. Was
man auf der einen Seite als Arb eitsteilung in technischer tzin-
sicht zu rühmen sich gewöhnte, sührte auf der andern zur babylonischen
Sprachverwirrung. Es geschah, daß das Volk nicht mehr Künstler, der
Künstler nicht mehr Priester, der Priester nicht mehr Stimme des Volkes
war. Das Drama schlug seine Schaubühne auf dem Marktplatz aus, Vilder
wurden in Vürgerstuben gemalt, teils für die Kirchen, teils für vermögende
Auftraggeber, die Musik zog in Schelmenliedlein durch die Gassen und
Gottes Wort ward mehr und mehr Spielball aberwitziger Silbenstecher.
Noch klang durch Iahrhunderte im Lied des Volkes etwas nach von dem
großen Erlebnis srüherer Gemeinschaft, noch schlug sie da und dort in Kir-
chen und Kapellen, auf Wallfahrten und Kriegszügen in Feindesland für
kurze Frist ihr heiliges Band um eine durch Not versammelte Schar, aber
immer gab es ein Gegenüber, das nicht Satan hieß, sondern Sarazen oder
Ritter oder Städter oder Ketzer, Franzmann oder Schwede, Zwingherr
oder Pest. Das Gebet verlor, als es zur Bitte wurde, seine tiefste
Heiligkeit, das Bild, als es zur Votivtasel wurde, seine Zeitlosigkeit, der
Dom, als er zur Prunkgebärde des zeremonienbelasteten Priesters wurde,
seine gleichnishafte Größe, und die Musik ward aus einer Betätigung ge-
steigertesten Gemeinschaftsgefühls zum „Ohrenschmaus". Der Priester war
Gelehrter geworden, sremd dem Volke. Neben ihm arbeitete der Musiker,
schrieb Motetten und Kantaten, Präludien und Fugen, Oratorien und —
Opern, TLnze, schäferliche Lieder sür die galante Welt zum Schaden
nicht der Kunst, wohl aber ihrer allgemeinen Resonanz. Nnd der Dichter
besang das Lämmlein Iesu, das blaue Seidenband am Knie der Geliebten,
den Heldenmut Augusts des Starken und die Lieblichkeit der zierlich ge-
zöpften Natur, die ein geometriekundiger Gartenkünstler zum künstlichen
Teppich zurechtpflanzte und -stutzte. Sängerinnen und Kastraten glänzten
abwechselnd in der Kirche und im fürstlichen Schloß, verwöhnte Kinder
einer genußfrohen Welt, Gefangene in Seide, bezahlte Diener Gottes und
 
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