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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Die neue Kunst und die Kirche, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0225

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fürstlicher Lüste. Die Maler und Bildhauer schwelgten in üppigen Frauen-
gestalten und nackten ekstatischen Iünglingen, die zu Unrecht die Namen
von Heiligen oder gar göttlicher Personen trugen. Die Baumeister endlich
gaben dem Ganzen ein schloßartiges Gehäuse, das nur der prunküberhäufte
Altar, die Orgel und das Kreuz auf der Zinne als Gotteshaus kennzeichnen.
Im achtzehnten Iahrhundert verläuft sich diese Bewegung, deren
einzelne Phasen wir hier nicht aufzeigen können. Genug, zu wissen,
daß trotz der Lockerung der Gemeinschaft, der Zersplitterung der Kräfte.
der Entartung der Künste , von dem Linzelnen Werke geschaf-
fen wurden, in denen der göttliche Funke lebte, so wenig das
Gefäß, das ihn umschloß, vom Willen einer wahrhaft religiösen Volks-
gemeinschaft mitgestaltet war. Es gab wahrhaft große Päpste, es gab
einen Luther, einen Bach, einen Grünewald und Dürer, einen Paul Ger-
hard und Klopstock, es gab gewaltige Baumeister, die noch die weltlichste
Bauweise mit der himmelstürmenden Wucht einer unerschütterlichen Gläu-
bigkeit erfüllten, es gab einzelne große „Kerle", als die Gemeinschaft
längst tot war. Sie schufen sich Gemeinden. Wie die Kirche, sich
mehrfach spaltend, neue Einheiten ichuf, so die Kunst. Sie bekam ver-
schiedene Gesichter, wie die Menschen, denen sie diente.

Das Iahrhundert brachte allmählich das Bewußtsein für die Aus-
lieferung der Kirche an weltliche MLchte jeder Art. Kritik, Klärung,
Reinigung, Ernüchterung kam. Man malte präraffaelitisch in giottesker
Manier, doch ohne Giottos Kraft, baute in vereinfachter, freilich auch: ent-
seelter Gotik und schuf wirkliche Plastiken, man strebte nach Schlichtheit
der Predigt und gründete zahlreiche religiöse Vereine. Das Gelehrten-
priestertum und das Prediger- und Seelsorgerpriestertum gingen neben-
einander her, nicht immer harmonisch, Musiker schrieben altmeisterliche,
dünnblütige Oratorien mit romantischem Einschlag. Vom Pietismus des
s8. Iahrhunderls blieb ein weinerlicher Rest teilweise bis heute zurück.

Die Reichsgründung brachte eine durch Iahrzehnte währende Kunstver-
wilderung. Was zwischen 1870 und istOS etwa an Kirchen und Kirchen-
kunst geschaffen wurde, hat zur Religion gleich wenig Beziehung wie zur
Kunst. Es ist gefühllose Schreibtisch- und Atelierarbeit, völlig unschöpfe-
risch, unorganisch zusammenkonstruiert, bestenfalls alter Kunst nachemp-
funden. Die Schöpferkräfte der europäischen Menschheit waren auf andere
Leistungen gestellt. Ganz im Verborgenen schuf natürlich der echte Künstler,
der nie völlig ausstirbt, weiter und bereitete jene Leistungen vor, die,
so verschieden wir sie uns einzuordnen gewöhnten, alle in einem inner-
lich verwandt sind: im Bestreben, statt hoher Formel lebendige Form, statt
traditionellem „Motiv" ein Erlebnis zn geben. Der Rrsprünglichkeit dieses
neuen Schaffens tat die unnaive Einstellung der sogenannten „Kunst-
verständigen", die als einziges Publikum nur mehr in Betracht kamen.
keinen Eintrag, nur der Fühlungnahme breiterer Schichten mit den Schöp-
fungen der neuen Kunst, die man — nichts Ungewöhnliches! — für weit
origineller Hielt, mit allen ihren Mitteln, als sie ist. Alle sind sie ja
doch iu früheren Aeiten vorbereitet worden, wenn nicht gar bereits da-
gewesen: Die Schöpferkräfte der europäischen Menschheit waren auf
andere Leistungen gestellt. Immerhin ging ein lebendiger Strom
weiter. Dann kam die „neue Kunst". Schlagwörter tauchten auf: Der
Impressionismus, Pointillismus, Futurismus, Expressionismus und Ku-
bismus. Am diese Schlagwörter entbrannte der Streit. Kunstschrift-
 
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