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offenbaren wird. Tapo d'Istrias kann sich an der Spitze der griechischen
Angelegenheiten auf die Länge nicht halten. Denn ihm fehlt eine Dualität,
die zu einer solchen Stelle unentbehrlich ist: er ist kein Soldat! Wir haben
aber kein Beispiel, daß ein Kabinettsmann einen revolutionären Staat
hätte organisieren und Militär und Feldherren sich unterwerfen kön-
nen^." Und überrascht vernimmt man: „Geheimnisvoll wie die Bienen
ihren König sollte das Volk seine Helden hervorbringen, die gleich Halb-
göttern zu Schutz und heil an seiner Spitze stünden »»."
Für das tatsächliche Verhalten Goethes bedeuten diese tiefen Einblicke
keine Hinwendung zum politischen. Vie Äußerungen kommen aus der Fülle
seiner Erfahrung. Er fühlt sich nicht berufen, sein unpolitisches Verhalten
aufzugeben. „Ich sehe, es bereiten sich in Paris bedeutende vinge vor;
wir sind am Vorabend einer großen Explosion. Da ich aber darauf
keinen Einfluß habe, so will ich es ruhig abwarten,
ohne mich von dem spannenden Gang des vramas
unnützerweise täglich aufregen zu lassen«»."
„politisch sein" heißt politisch handeln wollen
und müssen. Goethe kannte die Gefahr jedes handelns und zog die
Folgerungen aus dieser Erkenntnis: „Ich kenne mich zwar selbst genug,
um zu wissen, ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte, ich schrecke aber
bloß vor dem Unternehmen und bin beinahe überzeugt, daß ich mich durch
den bloßen versuch zerstören könnte ^."
Damit sind auch die immer wieder gestellten Fragen nach Goethes
Staatsideal, nach seiner Parteizugehörigkeit beantwortet: d. h. sie be-
stehen gar nicht als solche. Der unpolitische Goethe wirkt nicht in poli-
tischen Formen. Parteizugehörigkeit ist dort notwendig, wo eine politische
Wirksamkeit gegen eine andere steht. Goethe dagegen steht immer nur
insofern gegen eine Partei, als er von ihrer Seite eine Bedrohung seiner
Existenz empfindet. 1)
Goethe will sich nicht selbst verlieren. Vie Ebenbürtigkeit von Person
und Sache im Bereich des politischen besteht für ihn nicht. Er glaubt nicht
an die Erhaltung der Persönlichkeit im Falle einer Hingabe an das poli-
tische. Er will sie aber erhalten und zieht sich deshalb auf sich selbst zurück.
Vas ist das Exemplarische an Goethe: seine
Existenz war gewollt unpolitisch. Vas zwingt zu der
Einsicht, daß der Wensch entweder durchaus politisch
oder durchaus unpolitisch sein soll.

2u Eckermann, am 2. 4. 1829.
»» 6n Eckermann, am 18. 2. 18Z1.
Än Eckermann, am 6. Z. 18Z0.
Än Schiller, am 9. 12. 1797.

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