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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Palatinus, Wilhelm: Der Storche-Waddel: ein Lebensbild aus der Pfalz
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0084
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sichen, Herzen lastete, d-urfte man ja nicht laut sagen, Desatzungstruppen
und heimlich herumschnüfselnde Spione machten die G-egend unsicher.

Wir standen schließlich in einer Nebengasse vvr einem schmalen Haus,
das bemüht schien, seine ^lnbedeutendheit durch grellen Anstrich wett-
zumachen! das Schaufenster zierte ein Schild: „Iean-Louis Gatterbaums
Aachfolger, Feine Fleisch- und Wurstwarsn, Spirituosen und Tabake".

Der arme Eduard — nicht mal mit dem eigenen Namen, sondern nur
als „lNachfolger" figurierte er: Jch mußte ihn etwas fragend angeschielt
haben, denn er meinte mit niedergeschlagenLN Augen: „Weist du, das
Ladengeschäft führt meine liebe Hilda, ich selber bin so im allgemeinen bei
meinen früheren Prinzipien gsblisben, werds dir allss srzählen, wenn
du heut Abend Zeit für uns hast." Ein Seitenblick auf Frau Hilda srua
sichtlich, ob keine Einladung zum Aachtessen angängig wäre; die Sphinx
blieb aber stumm, und um seinen herzensfrsundlichen Mund zog sich die
altgewohnte Wehmutsfalte. Ich machte der Situation ein Ende und lud
ihn zu einer Plauderstunde in einem Hotel ein. „Aein", protestierte er, „da
muß man dem Alkoholteufel huldigen — du wsißt ja — meine heiligen
Ueberzeugungen." Meinen ironischen Seitenblick auf sein Ladenschild er-
haschend, stotterte er: „Rein äußerliche Geschäftssache! Meine Prinzipien
und Jdeale werden unentwegt hochgehalben." Hilda verschwand hoheits-
voll im Hausinnern, gefolgt von den zwei Rangen, die mir unter der
Tüve geschwind noch die Zunge herausstreckten. Waddel, ziemlich hilflos
an seinem Kinderwagen laborierend, flüsterte eilig: „Also heute Abend,
aber nur in unserem Reformgasthaus — da gibts Alkoholfreies und keine
Tierleichen, ich komme unbedingt und riskiere es bis Mitternacht —
ich weiß, wo der Hausschlllssel hängt." Sagts und schiebt eilfertig ab mit
seiner ungeölten Familienequipage.

Kopfschüttelnd ging ich, konnte aber nicht unterlassen, im nächsten
Zigarrenladen mich etwas nach den Verhältnissen im Hause Waddel-
Gatterbaum zu erkundigen; das Gsfchäft nähre so zur Not die unheimlich
anwachsende Familie; die Frau sei etwas sehr energisch, der Mann eine
wahre Seele von Menschen, de-r mit allsm Gutmeinen nis was Gescheites
zustande bringe. Also ganz der alte Waddel, dachte ich! Nach einer
Stunde im Veformgasthaus angelangt, fand ich da schon den alten
Freund, ungeduldig auf dem Sitz hin- und Herrutschenb und mich stürmisch
bewillkommnend, viel freier und sicherer in seinem Wesen, als zuvor unter
den Augen seiner Hilda. Wir tranken eine Flasche Alkoholfreien und
tauschben unsere Erlebnisss aus: Zch war bald fertig mit meinem ziemlich
geradlinigen Lebenslauf; bei ihm hatte fich dsr Schicksalsfaden im Zick-
zack und mit allerlei Knoten abgewickelt, was er als ganz selbstverständ-
lich und ohne jede Bitterkeit konstatierte. Das jahrelange Pillendrehen
beim Detter Apotheker hatte er nur dadurch ausgehalten, daß er daneben
heimlich drauflosdichtete und -schriftstellerte — leider meist für die Papier-
körbe diverser Redakteure und Derleger. Zm Laboratorium passierten
ihm natürlich auch allerlei plnglücksstreiche, woneben er noch den Sün-
denbock für das übrige Personal zu machen hatte. Eines schönen Tages
lief dem Detter Apotheker die Geduld über, als Waddel im „göttlichen
Wahnsinn" dss Dichtens ein wertvolles Präparat ins Tintenfaß statt in

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