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2. Kapitel.
Der geschichtliche Sinn des subjektivistischen
Zeitalters. Erste Periode.

Seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts trat in
dem geistigen Leben der deutschen Nation
ein fundamentaler Wechsel ein. Das Zeitalter
der Aufklärung und des Rationalismus, das
Zeitalter des schließlich völlig intellektualistischen
Individuums des 16. —18. Jahrhunderts wurde
durch neue Formen seelischen Lebens abgelöst. Son-,
derbar und revolutionär waren die Anfänge dieser neuen
Zeit, deren wirtschaftliche, soziale und auch geistige Funda-
mente hier nicht bloßgelegt werden können. Empfindsamkeit
und Sturm und Drang zogen als die ersten Phasen der neuen
seelischen Welt herauf, und fast krankhafte Erscheinungen
einer literarischen Sentimentalität, persönlichen Freund-
schaftskultes, genialischer Überspanntheit und erstaunlicher
Bewunderung dieser leiteten sie ein. Diesen ersten Phasen
sind dann eine Reihe anderer wohlbekannter Entwicklungs-
reihen gefolgt, namentlich die des Klassizismus, der Roman-
tik, des Realismus der dreißiger bis vierziger Jahre des
19. Jahrhunderts und einer aushallenden Bewegung in den
fünfziger bis sechziger Jahren, die von den Zeitgenossen
selbst als Epigonentum der vorhergehenden Phasen be-
zeichnet wurde und in der Tat eine erste Periode der Ent-

wicklung des subjektivistischen Zeitalters abschloß. Älte-
ren Zeitgenossen unter uns aber ist es auch noch persönlich
erinnerlich, wie dann seit den siebziger und vornehmlich acht-
ziger Jahren mit all den Zuständen nervöser Art, deren Inbe-
griff ich als Reizsamkeit bezeichnet habe, eine zweite Periode
des subjektivistischen Zeitalters eingesetzt hat: eine Periode,
die in höheren und zu gleicher Zeit innerhalb der Nation
Lamprecht, Einführung in das historische Denken. 2
 
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