(cogere). Aus einem verwandten Grunde gebraucht der Lateiner
für Denken den Ausdruck ,putare*. Putare heißt nämlich reini-
gen. Daher ,putare arbores* — die Bäume durch Entfernung der
über flüssigen Triebe reinigen, daher ,aurum purum* — lauteres,
d. h. gereinigtes Gold, daher ,disputare* für eine Redeweise, die
sich durch Klarheit und Verständlichkeit auszeichnet und alles
Dunkle und Verworrene meidet. Ich wiederhole also und sage,
daß das Denken in der Untersuchung einer Reihe von Einzel-
tatsachen besteht. Die Meditation dagegen ist dadurch gekenn-
zeichnet, daß wir bei ihr in gewissem Sinne über die auf die
Erforschung der Wahrheit sich beziehenden Prinzipien hinaus
weiterschreiten. Der Ausdruck bedeutet eine Art geistiger
Übung. Wer nämlich meditiert, der läuft sozusagen wie ein
Läufer von der Schranke der Prinzipien bis zu dem Ziel der
Beweisfolgerungen. Die Kontemplation finde ich bei unseren
Gelehrten bestimmt als ein der Erkenntnis des Wahren dienen-
des scharfes und unverwandtes Hinsehen der Seele24. Wenn du
die Herkunft dieses Wortes wissen willst, so magst du dich
daran erinnern, daß die alten Latiner mit ,templum‘ jenen Raum
am Himmel bezeichnet haben, den die Auguren, um Vogel-
zeichen zu erhalten, mit dem Krummstab abgrenzten und auf
den sie den Blick richteten, um zu sehen, ob ihn ein Vogel
durchflog. Infolge dieses unverwandten Hinschauens zum temp-
lum reden wir daher von einer kontemplativen Betätigung dann,
wenn wir den Blick wie festgebannt auf den Gegenstand unseres
Forschens richten. Unter der Bewunderung, um nunmehr auf
sie zu kommen, versteht man jenen Zustand der Betroffenheit,
der bei einer über unser Fassungsvermögen gehenden Wahr-
nehmung eintritt. Wenn wir nämlich bei unserem Forschen
Dinge erfahren, die sich mit unseren bisherigen Anschauungen
ganz und gar nicht vereinen lassen, geraten wir meist in einen
Zustand der Bewunderung. Den Ausdruck Spekulation endlich
wird man, dem göttlichen Augustinus folgend, von ,speculum*
(Spiegel) ableiten müssen 25. Denn wer nach Wahrheit strebt, der
sieht in den durch die jeweiligen Ursachen bedingten Wirkungen
gleichsam Abbilder der Wahrheit, ebenso wie wir im Spiegel Ab-
bilder der Körper wahrnehmen. Soviel über diese Ausdrücke.
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für Denken den Ausdruck ,putare*. Putare heißt nämlich reini-
gen. Daher ,putare arbores* — die Bäume durch Entfernung der
über flüssigen Triebe reinigen, daher ,aurum purum* — lauteres,
d. h. gereinigtes Gold, daher ,disputare* für eine Redeweise, die
sich durch Klarheit und Verständlichkeit auszeichnet und alles
Dunkle und Verworrene meidet. Ich wiederhole also und sage,
daß das Denken in der Untersuchung einer Reihe von Einzel-
tatsachen besteht. Die Meditation dagegen ist dadurch gekenn-
zeichnet, daß wir bei ihr in gewissem Sinne über die auf die
Erforschung der Wahrheit sich beziehenden Prinzipien hinaus
weiterschreiten. Der Ausdruck bedeutet eine Art geistiger
Übung. Wer nämlich meditiert, der läuft sozusagen wie ein
Läufer von der Schranke der Prinzipien bis zu dem Ziel der
Beweisfolgerungen. Die Kontemplation finde ich bei unseren
Gelehrten bestimmt als ein der Erkenntnis des Wahren dienen-
des scharfes und unverwandtes Hinsehen der Seele24. Wenn du
die Herkunft dieses Wortes wissen willst, so magst du dich
daran erinnern, daß die alten Latiner mit ,templum‘ jenen Raum
am Himmel bezeichnet haben, den die Auguren, um Vogel-
zeichen zu erhalten, mit dem Krummstab abgrenzten und auf
den sie den Blick richteten, um zu sehen, ob ihn ein Vogel
durchflog. Infolge dieses unverwandten Hinschauens zum temp-
lum reden wir daher von einer kontemplativen Betätigung dann,
wenn wir den Blick wie festgebannt auf den Gegenstand unseres
Forschens richten. Unter der Bewunderung, um nunmehr auf
sie zu kommen, versteht man jenen Zustand der Betroffenheit,
der bei einer über unser Fassungsvermögen gehenden Wahr-
nehmung eintritt. Wenn wir nämlich bei unserem Forschen
Dinge erfahren, die sich mit unseren bisherigen Anschauungen
ganz und gar nicht vereinen lassen, geraten wir meist in einen
Zustand der Bewunderung. Den Ausdruck Spekulation endlich
wird man, dem göttlichen Augustinus folgend, von ,speculum*
(Spiegel) ableiten müssen 25. Denn wer nach Wahrheit strebt, der
sieht in den durch die jeweiligen Ursachen bedingten Wirkungen
gleichsam Abbilder der Wahrheit, ebenso wie wir im Spiegel Ab-
bilder der Körper wahrnehmen. Soviel über diese Ausdrücke.
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