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Feininger, Lyonel [Ill.]; Langner, Johannes [Bearb.]
Lyonel Feininger - Segelschiffe — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 76: Stuttgart: Reclam, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.65783#0045
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GEORG MUCHE
ÜBER FEININGER AM BAUHAUS

Feininger war am Bauhaus das Beispiel für das geheim-
nisvolle Wirken des Menschen, der in der Stille und
aus der Tiefe schöpft, des Künstlers, der in sich ruht und
ausstrahlt. Keiner mochte sich dieser unaufdringlichen
Wirkung entziehen, die niemanden zum Widerspruch
herausforderte und die nur das Gute hervorrief. In die-
sem Sinne konnte es für Feininger keine pädagogische
Methode geben, keine Kunstlehre mit festgelegten
Begriffen, durch die er hätte überzeugen können. Er
lehrte absichtslos durch das Beispiel seines Daseins als
Mensch und bildender Künstler.
Es gibt viele, die sich an einen Besuch in seinem Atelier
erinnern und die so stark beeindruckt wurden, daß sie
diese Erinnerung über Jahrzehnte hinaus nie vergessen
haben, weil Feiningers Worte für sie von entscheidender
Bedeutung geworden waren. Man darf nur nicht denken,
daß Feininger den Eindruck eines ernsten Eremiten ge-
macht hätte, der sich seiner Mission bewußt gewesen
wäre. Er konnte kindlich fröhlich sein, und dazu war er
klug und auf vielen Gebieten bewandert. Er liebte das
heitere Spiel im Kreise seiner drei Söhne ebensosehr wie
die Musik, die Literatur. Er komponierte Fugen und
spielte sie auf dem Harmonium, das im Atelier stand.
Einmal sah ich1, wie ein Bauhausschüler zu ihm kam und
voller Stolz erzählte, daß er Kandinskys, Klees und
Feiningers Bilder nach den Gesetzen der harmonischen
Reihe und des Goldenen Schnittes geprüft habe und daß
ein Bild von Feininger in großartiger Weise nach dem
Goldenen Schnitt komponiert sei. Feininger lachte ihn
an — und aus. Er war voller Verwunderung und Freude
über diesen gelungenen Trick des Zufalls und über den
Vermittler dieser Botschaft. Es erwachte sein Sinn für
das Groteske, sein Spaß an Clown und Zirkus. Auf
Tischen ringsum standen seine selbstgeschnitzten Loko-
motiven und Eisenbahnzüge wie zur Ruhe erstarrte Ge-
schwindigkeiten, und daneben lagen die schnittigen

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