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Lehrs, Max [Hrsg.]
Geschichte und kritischer Katalog des deutschen, niederländischen und französischen Kupferstichs im XV. Jahrhundert (Band 3, Textbd.): [Die Anonymen, 1] — Wien, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.34186#0020
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DER MEISTER DER BERLINER PASSION

Zwolle, wie es z. B. am Baldachin des heiligen Augustinus B. 11 vor-
kommt. Bei den großen Querfüllungen vermißt man die den Orna-
mentstichen des Meisters °(3°,J33° eigene klare Einfachheit der An-
ordnung. Sie haben immer etwas Überladenes, Unorganisches. Es
fehlt ihnen die logische Entwickelung, die zielbewußte Empßndung für
das künstlerisch Wichtige, die den Meister °(3 °^° als Persönlichkeit
hoch über seinen niederdeutschen Nebenbuhler stellt.
Die Belaubung der Bäume wird durch gruppenweise zusammen-
gestellte Horizontalstriche wiedergegeben, die nicht wie beim Meister
°(3 °,Jb° die Form von Bienenkörben oder Heuhaufen haben, sondern
ohne Kontur, pyramidenartigen, auf Äste gespießten Schwämmen glei-
chen. Der Stamm ist in der Regel dünn und lang, unter dem horizon-
talen Ansatz der Laubkronen gegabelt. Die Luft läßt der Stecher zwar
in der Regel weiß, bedeckt sie aber auch häufig — eine bei anderen
Stechern nicht übliche Gepflogenheit — mit kurzen, durch Horizontal-
striche gebildeten Wolkenflocken.
Die Tiere, die der Meister der Berliner Passion gern in seinen
Stichen anbringt, und deren Darstellung er eine ganze Folge von
Blättern als Vorlage für Miniatoren und Goldschmiede gewidmet hat,
zeigen nur in geringem Grade wirkliche Naturbeobachtung. Den
Vierfüßlern, unter denen die Pferde noch die besten sind, fehlt ge-
wöhnlich der Knochenbau. Sie haben wie die menschlichen Gestalten
unseres Stechers weichliche Formen, Beine, auf denen sie nicht fest
stehen können, und Gelenke, die nicht naturgemäß funktionieren.
Besser sind die Vögel gezeichnet, obwohl auch bei ihnen die dem Zeit-
geschmack entsprechende heraldische Stilisierung den Künstler oft ver-
leitet, gewissermaßen aus dem Handgelenk zu schaffen. Beim heiligen
Christoph (Nr. 61) hat er einen biegenden Vogel echt goldschmieds-
mäßig linear gezeichnet. Man bewundert an den betreffenden Blättern
der Tiervorlagen (Nr. 90— 100) mehr den Schwung der Linienführung
oder die ornamentale Raumausnutzung als die Proportionen und Stel-
lungen dieser Phantasiegeschöpfe. Auch hierin steht der Meister der
Berliner Passion weit hinter dem Meister °(3 oder gar hinter dem
Meister der Spielkarten zurück, an deren köstliche Kartenspiele man
nicht denken darf. Dagegen gehört gerade die Tierfolge technisch zu
 
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