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Die Lesestunde: wöchentliche Beilage des Pfälzer Boten — 1934

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GarnStag, den 29. Dezember 1834

Seite vv

könnte! Aber da HM nichts mehr . . . Was
wird nun geschehen? Es kann nicht verborgen
bleiben, daß er in der Schm-elzhütt-e drinnen
gewettet hat, er werde Petronilla 'm die
Schenke bringen, um mit ihr zu tanzen. Dieses
Wort haben zu viele Menschen gehört. Nicht
alle werden reinen Mund halten, ganz sicher
verplaudern sich die Weibsbilder. Sobald man
das tote Mädchen entdeckt, fällt der Verdacht
auf ihn, er habe es über die Palfenwand hin-
unt-evgeworfen, weil es nicht seinen Willen tat.
Dann steht die ganze Gemeinde wider ihn aus,
sie wevden ihn Hetzen, fangen, dem schmählich-
sten Henikertod überantworten. — Nein, nein,
das soll ihnen niemals gelingen. Er, der Gem-
senhirt, nimmt es, wenn nötig, mit dem gan-
zen Enzental auf. Er kennt Wege und Stege,
auf denen außer Hm noch kein Mensch gegan-
gen ist, er hat Schlupfwinkel, wo ihn kein
Häscher erreicht. Und im äußersten Fall ist es
ihm ein Leichtes, über die Grenzen zn flüchten
. . . Wie er so an den quälenden Gedanken
hevumspann, vernahm er plötzlich menschliche
Stimmen droben am Grüneck. Was ist das?
Ah, der Mesner Ionas wird es sein mit Dorf-
leuten. Jedenfalls kommen sie, wegen Petro-
nillas langem Ausbleiben besorgt, das Mäd-
chen suchen. — Wie ein Piei-l schnellte der
Gemsenhirt empor und sprang links hinüber
in das Waldesdickicht. Dann rannte er auf un-
betretenen Steigen, häufig auch ohne Pfad
durch den Vorderwald und die Arzla-Hne hin-
ein, wich der Schmelzhütte im weiten Bogen
aus, stapfte der Hinterallm zu und erreichte
bald nach Mitternacht den Keesgarten.
Der Keesgarten ist ein fast kreisrunder,
ebener Boden, der im Durchmesser etwa tau-
send Schritte mißt und rings von sehr hohen,
steilen, schwarzen Felswänden umschlossen
wird. Den Hintergrund rundet die sogenannte
Furgsl, ein mäßig hoher, finsterer Steinwall,
ab, der in der Mitte von einem engen Spalt
durchbrochen ist. Hinter dem schwarzen Fels-
wall steigt in schimmernder, ungeheurer Ma-
jestät die Hohe Albe empor, ein riesenhafter
Eiskegel, Wendend weiß, schier ohne ein dunkles
Fleckchen vom Fuß bis zum kirchturmspitzen,
himmelragenden Gipfel. Der ebene Boden des
Keesgartens war vor Zeiten in seinem ganzen
Umfang vom Gletscher ausgöfüllt. Als Spuren
davon liegen noch viele Schutthaufen und grö-
ßere und kleinere Steinblöcke umher, zwischen
denen spärliches Gras, aber auch viel glut-
äugige Blümlein und manch seltenes Wpen-
kvaut wachsen. Durch den engen Talspalt der
Furg-Ä'leckt noch eine grauweiße Gletscherzunge
heraus. Die schwarzen Felswände rundum
vagen nicht unmittelbar in einem einzigen
senkrechten Aufbau in die Höhe, sondern gehen
stufenförmig empor und sind oickfach geglie-
dert durch breitere oder schmälere Steinbänke,
aus denen Zwergkiefern, Bergwachblder und
andere Büsche wuchern. Hier ist das eigentliche
Revier der Gemsen. Unter den überhängsnden
Wänden und an den von Felsen geschützten
Grasplätzen 'halten sie sich am liebsten auf.
Rudel von zwanzig bis sechzig Stück sind oft
beisammen, weiden die Gvasbänder und die
dichtbelaubten Steinklufte ab, vergnügen sich
mit übermütigen Spielen und Scheinkämpfen,
stoßen einander mit den Hörnchen, springen
wie toll über die schmälsten Felsenkanten hin
und lagern in verdeckten Steinmulden, doch
lieber noch drinnen am Rand des Gletschers
und schier am liebsten auf dem blanken Fer-
nereis.
Das Blockhaus des Gemsenhirts stand an
der linken Abrundung des Bergkesfels, fest an
eine überhängende Wand geschmiegt, die dem
Bau hinreichenden Schutz bot gegen Steinschlag
und Lawinenstürze, Nur ein Paar Stunden
'lang hielt sich der Gemsenklaus, als er nach der
fluchtartigen nächtlichen Wanderung seine Be-
hausung erreichte, dort auf. Sobald der Mor-
gen zu grauen begann, packte er einen Vorrat
von Lebensmitteln, sein Lederwams, eine Wol-
lendecke und andere Bedarfsgegenstände in den
weiten Rucksack, "band sich die Flinte quer über
den Leib, nahm den Sack auf die Schultern
und kletterte dann über eine sehr steile Lehne
zum ersten Felsabsatz empor. Nach kurzer Rast
kroch er über ein schmales Felsband zu einer
vorspringenden Steinzacke, wo von oben ein
starkes Seil herunterhing. Etwa sechs Klafter
hoch turnte er sich am Seil hinauf und kam zu
einer tischgroßen Platte, hinter der ein schwar-
zes Loch in die Felswand hineinging. Auf der
Platte stehend, zog er das Sei! hinter sich Her-
auf und nun konnte kein Mensch die Stelle
mehr erreichen. Nicht einmal die Gemsen ver-
mochten hieher zu gelangen, weil der Felsen
schief gegen vorn stand, außerdem von dünnen
MHerfädsn überrieselt und eisglatt war. Vor-
sichtig schlüpfte der junge Mann durch die
schwarze Oeffnun-g, das sogenannte Geierloch,
in eine FÄshöhle hinein, die so geräumig war,
daß er aufrecht stehen und wohl an die zwanzig
Schritte darin herumgehen konnte. Nachdem
er seine Augen an das Dunkel der Höhle eini-
germaßen -gewöhnt hatte, barg er den Rucksack
und die Flinte in einem Spalt des Felsens,
warf sich dann im Hintergrund auf ein nest-
artiges, mit Laub und Moos ausgebettetes
Lager und versuchte zu schlafen. Allein der
Schlaf mied seine Augen. Immer wieder
mußte er an das furchtbare Geschehnis der
letzten Nacht denken. Er war ein Mörder, ein
dem Henkertod Verfallener. Und selbst wenn es
ihm glückte, der Todesstrafe zu entgehen, Web
er ein Geächteter sein Leben lang. Er durfte
sich unter Menschen nicht mehr blicken lassen,
mußte auf jeden Verkehr mit ehrlichen Leuten
verzichten. Mer sein eigenes Los war nicht

das 'Schwerste, dos ihn bedrückte. Viel ävger
quälte ihn der Gedanke an das heldenhafte
Mädchen, das er in den Tod getrieben. Er
wurde das Bild des Mädchens, wie es strah-
lend in Schönheit, in Unschuld, in jungfräu-
licher Würde auf der Baumwurzel gestanden

und dann den furchtbaren Todesspru-ng getan
hatte, nicht los. Wenn er die Augen schloß,
stand das Mädchen schier leibhaftig vor Hm,
wenn er sie öffnete, schwebte es in klaren Um-
rissen vor seiner Seele. Die erregte Einbil-
dungskraft gaukelte ihm das Bild noch strah-

-. Nr. SÄ
lender vor die Sinne, als er es im Mondschein
auf der Baumwurzel gesehen hatte. Und im-
mer war es die ihm bisher fremde, blendende,
sieghafte Unschuld, die ihn wie eine Zauber-
macht, wie ein Bann umfing.
(Fortsetzung folgt.)

H der Mädchenhandel heute tot?
Wege und Umwege des Mädchenhandels in Südamerika

Genf, im Dezember 1934.
Der Völkerbund, der sich gemäß einem Ar-
tikel seiner Satzung auch mit der Ausrottung
des Mädchenhandels beschäftigen soll, hat bis-
her von zwei aus zahlreichen Mitgliedern be-
stehenden Kommissionen die wichtigsten Ge-
biete, welche für den Mädchenhandel in Frage
kommen, untersuchen lassen: Südamerika und
Ostasicn. Die Untersuchungen über Südame-
rika liegen schon mehrere Jahre zurück, doch
scheint nach den regelmäßigen Berichten, d'e
das Völkerbundssekretariat in jedem Jahre
aus den meisten Staaten erhält, in den süd-
amerikanischen Ländern in dieser Beziehung
bisher noch kein Wandel eingetreten zu sein.
Die Enthüllungen, welche der mehrere hun-
dert Seiten umfassende Bericht der Südame-
rikakommission macht, sind furchtbar. Zwei
große Handelswege haben die Sachverstän-
digen für dieses Geschäft aufg-edeckt. Der eine
führt von Europa, namentlich den Mittel-
meerhäfen Genua, Marseille und Nizza nach
Südamerika, der andere von Osteuropa über
Mittel-, West oder Südeuropa zu den glei-
chen Häfen der französischen und italienischen
Küste. Zuweilen bewegt sich dieser östliche
Handel auch auf Umwegen, etwa von Polen
über Rumänien bis Griechenland, von wo
aus dann die Verschiffung zu einem der Mit-
telmeerhäfen erfolgt. Die großen südameri-
kanischen Länder, und unter ihnen an erster
Stelle Argentinien, sind das Ziel der meister
Transporte dieser Art. Buenos Aires, die
Hauptstadt von Argentinien, wird in dem
Bericht als das „Zentrum der Spekulation
auf das Laster" bezeichnet. Im Jahr 1923
gab es in dieser Stadt 600 öffentliche Häu-
ser, 1200 eingeschriebene und schätzungsweise
10 000 heimliche Prostituierte. Von diesen
Frauen waren drei Viertel Ausländerinnen,
davon die meisten Europäerinnen. Die ar-
gentinische Negierung gab und gibt sich zwar
die größte Mühe, die Einwanderung uner-
wünschter Elemente, namentlich der Mädchen-
händler und ihrer Frauen, zu verhindern,
aber es ist bisher noch nicht restlos gelungen.
Denn nach Argentinien kann man nicht nur
durch den La Plata-Hafen Buenos Aires, son-
dern gewissermaßen auf dem Landwege von
Uruguay aus über den Grenzfluß Uruguay,
der zwischen dem gleichnamigen Land und
Argentinien fließt, gelangen. Wer nach Ar-
gentinien will und nicht auf ordnungsmäß'-
gem Wege hinkomtnen kann, macht den Um-
weg über Uruguay. Viele Mädchenhändler
haben den Dampfer, der sie mit ihren Opfern
von Europa nach Südamerika brachte, in Rio
de Janeiro verlassen, weil ein echtes oder ge-
fälschtes Visum für Brasilien leichter zu be-
kommen war. Sie- sind bei der kleinen
Grenzstation Riviera von Brasilien nach Uru-
guay gegangen, denn dort ist keine Kontrolle
und man braucht nur eine Straße zu über-
queren. In Uruguay fuhren sie unbehelligt
bis Salto. Hier fließt zwischen Concord'.a
auf argentinischem und Salto auf uruguayi-
schen Boden der Uruguay, Wer den täglich
von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends eine
Fähre für wenige Pesos Menschen und Güter
befördert Während des Hauptverkehrs üben
die argentinischen Behörden dort ihre Kon-
trolle aus. Aber es gibt auch Fährleute, die
für zwanzig, dreißig oder mehr Pesos wäh-
rend der Nacht, wenn keine Kontrolle ist,
Personen übersetzen. Sie sehen nicht lange
zu, wer im Boote sitzt, ob Mann oder Frau,
und kümmern sich auch nicht darum, ob d'.e
Beförderten Papiere oder Pässe bei sich ha-
ben. Einer von diesen Schmugglerfährleuten
bat so in zebn Monaten mehr als 200 Per-
sonen übergesetzt und sich damit leicht die
stattliche Summe von rund 10 000 Pesos
verdient. Er wurde von Montevideo oder
Rivera aus durch jene harmlos abgefaßten
Telegramme benachr'chtigt, in denen von Ar-
beiterinnen, Näherinnen oder Mädchen die
Rede ist. Es sind aber nichts anderes als
Minderjährige oder Prostituierte, die so am
allen nur erdenklichen Umwegen nach Buenos
Aires auf den „Markt mit der größten Nach-
frage" geschafft werden.
Die großen Mädchenhändler, die meistens
unter den verschiedensten Decknamen auftre-
ten sollen nach den Ermittelungen des Völ-
kerbundes ständig zwischen Europa und Süd-
amerika unterwegs fein. Einer von ihnen sit
dafür bekannt, daß er die Reise jährlich sechs-
mal macht. Jedes der Schiffe, die von Eu-
ropa nach Südamerika fahren, führt nach
einer abschätzenden Berechnung mindestens
vier oder fünf Frauen oder Mädchen mit
ihren Unterhaltern unter den Reisenden. Der
Mann tritt dabei in den verschiedensten
Formen auf: als Impresario, als Freund,
als Verwandter, selbst als Gatte. In Buenos
Aires gibt es ein Bevgnügungslokal, in dem
sich dauernd 150 bis 200 europäische Frauen
aufhalten, welche für die Weiterverschiebung
bestimmt sind. Sie werden lediglich als Ware

betrachtet, die man besichtigt, weshalb das
Lokal in der Halbwelt der „Markt" heißt.
Lateinamerika ist einer der wichtigsten
Mittelpunkte des Mädchenhandels, und in
Südamerika sind es Argentinien, Uruguay,
Brasilien in Mittelamerika Havanna, Cuba
und Panama. Die meisten eingeführten Mäd-
chen sind hier Französinnen, darunter jede
zehnte minderjährig. Auch Aegypten ist ein
wichtiges Absatzgebiet, da es vorkommt, daß
die Opfer, welche iür den Transport von
einem der Mittelhäfcn aus nach Südamerika
bestimmt sind und vielleicht ein Schiff nach
Rio de Janeiro oder Buenos Aires nicht
mehr rechtzeitig erreichen, alsdann von Mar-
seille oder Genua aus nach Aegypten abge-
schoben werden, wenn die italienische ode,r
französische Polizei den Händlern auf die
Spur kommt. In Aegypten erhalten die
RWM MchtliiW, chinesische
Während der Oeffentlichkeit auch schon vor
den Untersuchungen des Völkerbundes be-
kannt war, daß Südamerika eine große Zen-
trale des Mädchenhandels bildet, hat der vor
kurzer Zeit erschienene Bericht der Genfer
Studienkommission für Ostasien eine große
Anzahl bisher völlig unbekannter Enthül-
lungen gebracht. Einmal zeigt er, daß der
ferne Osten, insbesondere das weite chine-
sische Reich, nach den großen südamerikanifchen
Staaten vielleicht die bedeutendste Zentrale
jenes furchtbaren Geschäftes ist, das man als
Mädchenhandel bezeichnet. Dann aber gesit
aus ihm -auch hervor, daß die Sitten und
Gebräuche sowie die zuu Teil aus dem Ge-
wohnheitsrecht entstandene Gesetzgebung in
den verschiedenen asiatischen Ländern den
Mädchenhandel geradezu begünstigen müssen.
In fast -allen orientalischen Ländern ist die
Prostitution und mit ihr der Mädchenhandel
verbreitet. In Persien wie im Irak, in Hol-
ländisch- wie in Britisch Indien, in Siam
wie in Jndochina, in China wie in Japan
Ganz besonders in China, wo neben den ver-
schiedenen Formen des Handels mit Chine-
sinnen seit dem Krieg die ans -der Sowjet-
union »geflüchteten Russinnen eine eigene
Rolle spielen.
' Es handelt sich bei den Russinnen meistens
um Angehörige de besitzenden, zum Teil so-
gar der ehemals in Rußland herrschenden
Schichten, die zum Teil unmittelbar nach der
bolschewistischen Revolution nach China ge-
flohen sind, aber auch jetzt noch ununterbro-
chen das Sowjetreich verlassen. Sie kamen
und kommen über Sibirien in die Mandschurei,
meistens im Winter, wenn die Flüsse vereist
-und überall passierbar sind. Dabei hat sich an
der Grenze ein ständiges Geschäft herausge-
bildet, indem -gewisse chinesische Führer sich
gegen hohes Entgelt anbieten, den Flüchtlin-
gen die abgelegenen und von den russischen
Wachtposten nicht beobachteten Pfade über
die Grenze zu zeigen, die sie allein kennen.
Kaum -auf fremdem Gebiet, beginnt das Mar-
tyrium dieser Flüchtlinge. Vielfach verstehen
sie die fremde Sprache nicht, oft sind ihre
Barmittel nicht sehr groß, oder, falls sie einen
Teil ihres Vermögens in Gestalt von Schmuck
und anderen Wertgegenständen gerettet haben,
schnell aufqebr-aucht. Denn in jedem Gasthost
wo sie übernachten, fordert man hohe Preise
von ihnen, und wenn sie Schmuck als Gegen-
wert anbieten, wird er ihnen schlecht bezahlt.
Je weiter sie reisen, desto kleiner wird ihre
Habe, bis sie schließlich ohne Geld dUtehen.
Dann machen ihnen die chinesischen Gastwirte
ucistens den Vorschlag, daß die Männer allein
ihre Reise fortsetzen, während die Frauen so-
lange in dem Dorfe, wo sie sich gerade auf-
halten, zurückbleiben sollen, bis die Männer
irgendwo Geld verdient haben und wieder-
kommen, -um die Frauen einzulösen. In zahl-
reichen Fällen kehren jedoch die Männer nie
mehr zurück, sei es, daß sie auf ihrer weiteren
Reise gestorben sind, sei es, daß sic irgendwo
kümmerlich leben und kein Geld haben, um
die Rückreise antreten und ihre Frauen ab-
hol-en zu können.
Was aber wird dann aus den zurückgelasse-
nen Frauen und Mädchen? Sie werden
Dienstboten, Gasthauskellnerinnen, oder sie
werden von denen, die sie als Pfand zurück-
behielten, schlechthin an die Inhaber öffent-
licher Häuser verkauft. So findet man Hun-
derte von Russinnen dieser Art als V-arietZ-
sängerinnen, als Kellnerinnen und Eintän-
zerinnen in allen großen chinesischen Städten,
in denen Europäer verkehren, in Charbin, in
Peking, Schanghai, Tientsin u. a. Fast im-
mer sind dabei diese Berufsformen mit ge-
heimer Ausübung der Prostitution verbun-
den, während die offene Form der Prosti-
tution, d. h. als Bewohnerinnen öffentlicher
Häuser, bei den Russinnen verhältnismäßig
selten ist. Die Zahl der Russinnen in China

Händler für ein Mädchen bis zu 100 ägyp-
tische Pfund.
Daß die Situation sich in Südamerika in
dieser Frage nicht wesentlich geändert hat,
geht daraus hervor, daß während des letzten
Jahres noch tausende von Mädchenhandels-
fällen, welche die Polizei entdecken konnte,
aus den hier genannten südamerikanischen
Ländern nach Genf berichtet wurden. Erfah-
rungsgemäß weiß man, daß stets nur eine
kleine Zahl der vorkommendcn Fälle aufge-
dcckt und verfolgt wird. Lediglich- durch die
Einführung schärferer Frc-mdenkontrolle in
Uruguay ist es jetzt den Händlern schwerer
gemacht, den Eintritt nach Argentinien auf
Umwegen, wie bisher, zu vollziehen. Aber
auch Fälle dieser Art kommen noch häufig
genug vor.

sitten, Muitjm und „Adoption"
ist so groß, daß neben ihnen die wenigen
sonstigen Europäerinnen, die meistens eben-
falls als Opfer des Mädchenhandels einem
dieser Gewerbe nach,gehen, verschwinden.
Riesengroß ist auch die Zahl der Chinesin-
nen, die als Opfer des Mädchenhandels ent-
weder ins Ausland oder in die Gebiete ver-
schleppt werden, die bevölkerungsmäßig zu
China gehören, aber einem anderen Staat
zugeteilt sind. So zählte man 1930 bis 1931
tausend solcher Chinesinnen in Siam. 5 bis
6000 im britischen Malaien-Archipel, eine
vom Völkerbundbericht selber als unbegrenzt
bezeichnete Zahl in Holländiich-Jndien, 4000
in Hongkong, 1000 in Makao und 500 in
Kwangtung.
Gerade in China begünstigen die sozialen
Verhältnisse den Mädchenhandel. Ueberall
namentlich bei den einfachen Bauern und
Arbeitern, ist nach dem Völkerbundbericht
noch die Auffassung verbreitet, daß allein die
männlichen Nachkommen zur Pflege des
Ahnenkults, der vor allem ein wesentliches
Element chinesischer Religionsvorstellungen
ist, befähigt seien. Deshalb sind namentlich
die minderbemittelten Chinesen leicht ge-
neigt, ihre Töchter, deren menschlichen Werl»
sie weitaus -geringer -anschlagen als den der
Söhne, an Fremde -abzutr-eten. Entweder ver-
mieden sie ihre weiblichen Kinder als Dienst-
boten oder als Muitsai an Bekannte, oder als
Schauspielerinnen an The-atergruppen. Die
Muitsais nehmen eine Zwischenstellun-g zwi-
schen Dienstboden und Familienmitglied ein.
Sie essen mit ihren Herrn bei Tisch und wer-
den zusammen mit den Kindern erzogen, zu-
gleich aber mehr -als die eigenen Kinder zur
Arbeit ungehalten. In den meisten Fällen
geben jedoch die chinesischen ärmeren Eltern
die Töchter oft im zartesten Kindesalter ohne
jeden weiteren Vertrag und auf unbegrenzte
Zeit -gegen sofort auszuzahlende Geldsummen
an sogenannte Vormunde ab, die bei den un-
wissenden Eltern den Eindruck hervorzuru-
fen verstehen, daß sie sehr reich seien und -daß
es den Kindern bei ihnen gut gehen werde.
Entweder sind solche Vormunde, die nach ab-
geschlossenem „Kauf" mit den Kindern weit
weg reisen und meistens später kein Lebens-
zeichen mehr senden, selbst Besitzer öffentlicher
Häuser, oder es handelt sich um alternde Pro-
stituierte, welche die Kinder von Jugend auf
in diesem Handwerk unterrichten, oder schließ-
lich um Händler, die mit Inhabern öffent-
licher Häuser in China oder Ausland in Ver-
bindung stehen.
Gerade an diesem chinesischen Beispiel zeigt
es sich besonders deutlich, wie sehr alte Ueber-
lieferungen und soziale Zustände den Boden
für den Mädchenhandel vorbereitet haben, und
wie aus dem Zusammentreffen der Welt der
Traditionen und der Welt moderner entarte-
ter Zivilisation (die europäisierten Hafenstädte
mit ihren öffentlichen Häusern) die Mädchen-
händler Nutzen zu ziehen verstehen.

Literatur
,„Karlsruhe, die junge deutsche Grenz-
stadt." Unter diesem Titel -wird wiederunzein
Werk über Karlsruhe vorgelegt, das man
gerne zur Hand nimmt, da. es in frischer und
lebendiger Art über alles Wissenswerte der
Landeshauptstadt unterrichtet. Das Buch -gibt
insbesondere auch ein klares Bild von den
umfassenden Aufgaben, die Karlsruhe als
Hauptstadt des badischen Grenzlandes zuge-
fallen sind. Das Werk ist nach -amtlichen
Stoffen, die von der Sta-dtverwaltung Karls-
ruhe zur Verfügung gestellt worden sind, von
Professor Dr. Albert Schneider in Karls-
ruhe verfaßt und in flüssiger Form -geschrie-
ben. Es bietet auch -allen denen wertvollen
Rat und Auskunft, die sich über die für indu-
strielle Ansiedlungen und sonstige Niederlas-
sungen in Karlsruhe in Betracht kommenden
Verhältnisse unterrichten wollen.
 
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