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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0461
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Zweites Kapitel. Romanischer Styl.

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Ausnahme mit einer weiter an der Wand hinaufsteigenden Halbsäule für die
Gewölbe versehen, die dadurch sechstlieilig werden. Auch das System selb-
ständig gemauerter Rippen tritt hier frühzeitig auf.

Der Grundplan, dem der sächsischen Kirchen nahe verwandt, bildet Grundriß
ein einfaches Kreuz, dessen westlicher Schenkel jedoch eine beträchtlichere
Länge hat als dort. Aus dem bisweilen mit Nischen versehenen Kreuzschiff
treten in östlicher Richtung nicht bloss der Chor mit seiner Apsis, sondern in
der Regel auch Seitenchöre als Verlängerung der Nebenschiffe, diese jedoch
ohne Apsiden, hervor. Auf der Kreuzung, die ein weit höher geführtes Ge-
wölbe hat, erhebt sich meistens eiii kräftiger viereckiger Thurm. Zwei schlan-
kere viereckige Tkiirme steigen an der westlichen Fagade auf. Diese Anord-
nung gibt auch dem Aeusseren etwas Klares, Gesetzmässiges, dabei Ernstes
und Ruhiges. Die thürmereichen Anlagen Deutschlands, besonders der Rhein-
gegenden, die achteckigen Kuppeln auf der Kreuzung vermeidet dieser ein-
fachere Styl. Die Gliederung der Aussenmauern wird durch sehr kräftige
Lisenen, die an der Westfagade sich sogar zu Strebepfeilern ausbilden, be-
wirkt. Manchmal verbinden sich damit an den Obermauern Arkaden von
Blendbögen. Der Rundbogenfries fehlt fast gänzlich und wird durch ein auf
phantastisch geformten Consolen ruhendes Gesims ersetzt. Die Fagade hat
in der Mitte ein kräftig markirtes, durch Säulchen eingefasstes Portal, dessen
Archivolten meistens reich geziert sind, darüber aber statt der Rose mehrere
Reihen einfacher Rundbogenfenster, den Stockwerken des Inneren entsprechend.

Die Thürme, in schlichter Masse aufsteigend, haben ein schlankes; steinernes
Helmdach, und auf den Ecken vier kleine Seitenspitzen.

Dieses einfache, den constructiven Grundgedanken in allen Theilen klar netaii-
und anspruchslos darlegende bauliche Gerüst entbehrt nun an den geeigneten blk,uns-
Stellen der reicheren Auschmückung nicht. Aber auch in der Ornamentation
waltet ein entschiedener Gegensatz gegen die plastische, auf antiken Elementen
beruhende Schönheit und Anmuth der südfranzösischen Werke. Ein herber,
strenger Zug geht durch alle Details dieses Styles hindurch. Zwar ist die
Säulenbasis, zwar sind die horizontalen Glieder aus antiken Formen hervor-
gegangen, und selbst das Kapitäl zeigt bisweilen eine Nachbildung, wenn auch
eine starre, ungefüge, des korinthischen Schemas. Aber im Allgemeinen
herrscht ein ganz besonderer, nordischer Geist darin. Die Säulenkapitäle sind
vorwiegend würfelförmig, nicht wie in Deutschland mit mannichfachem Blatt-
ornament bedeckt, sondern in der Regel mit einer linearen Verzierung aus-
gestattet, die, in senkrechten Rinnen abwärts laufend, dem Kapitäl eine ge-
fältelte Oberfläche gibt. Am lebendigsten aber, ja in einer gewissen prunkenden
Fülle, entfaltet sich die Ornamentik an den Archivolten der Portale, den Bögen
des Inneren und den daselbst über den Arkaden bis zum Arkadensims sich
ausbreitenden Wandfeldern. Aber alle diese Verzierungen verschmähen das
biegsame, weichgeschwungene Pflanzenwerk, und beschränken sich allein auf
ein Spielen mit reich verschlungenen Linien. Der Zickzack, die Raute, der
Stern, der Diamant, das Schachbrett, der gebrochene oder gewundene Stab,
das Tau, die Schuppen- und Mäanderverzierung und ähnliche Combinationen
sind, oft in derber plastischer Ausmeisselung, die Elemente, aus welchen diese
Decoration sich zusammensetzt. Damit verbinden sich an Consolen und an-
deren besonderen Stellen Köpfe von Thieren und Ungethümen, die dem beinah
trocken mathematischen Spiele den Beigeschmack eines wild phantastischen
Sinnes geben.
 
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