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Lübke, Wilhelm; Lübke, Wilhelm [Hrsg.]
Geschichte der italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Band 1) — Stuttgart: Ebner & Seubert, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.47045#0130
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104

I. Buch. Das Mittelalter.

Drittes Kapitel.
G-othische Epoche.
(Von 1300—1420.)
Die Zeit war gekommen, wo das Mittelalter seinen Höhepunkt
erreichen und sein Ideal in mächtigen Gestaltungen künstlerisch aus-
sprechen sollte. Den germanischen Nationen, Deutschland, mehr noch
dem stark germanisirten nordöstlichen Frankreich, ward die Mission zu
Theil, die mittelalterliche Weltanschauung am schärfsten auszuprägen
und denjenigen Stil zu schaffen, der als das eigentliche Kind jener
Zeit sie am reinsten vertritt: den gothischen. Die letzten antiken
Reminiscenzen, welche in der romanischen Architektur, Plastik und
Malerei sich noch erhalten hatten, wurden nunmehr dort abgestreift,
und das architektonische Ideal des Mittelalters im Spitzbogenstil mit
seinem kühnen Gewölbsystem verwirklicht. Alle produktive Kraft der
Zeit strömte in die Architektur, und so gering war die Begeisterung
für die menschliche Gestalt, dass diese nur noch als Ornament der
alles an sich reissenden Baukunst zur Verwendung kam. Die Wand-
malerei verschwindet fast gänzlich und verkümmert zur Glasmalerei,
die als eine neue Art von Mosaik die Kunst wiederum in Fesseln
schlägt. Selbst der herrliche plastische Schmuck französischer Kathe-
dralen beweist, wie sehr auch die bildnerische Kraft der Zeit sich
unter das Joch der Architektur beugen musste. So mächtig aber war
diese Strömung, dass selbst Italien sich ihr nicht ganz zu entziehen ver-
mochte. Der klare offne Realismus antiker Anschauung tritt zurück
vor dem scholastisch grüblerischen Tiefsinn und der träumerischen
Phantastik des Nordens: der gothische Stil bricht sich Bahn und
schafft schon seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, mehr noch im Laufe des
14. eine Reihe grossartiger Werke. Diese ganze Entwicklung ist wie
ein fremder Tropfen im Blute der italienischen Nation; aber unterstützt
von .der künstlerischen Zeitströmung, die vom Norden mit Macht sich
 
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