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Luschka, Hubert von
Die Lage der Bauch-Organe des Menschen — Tübingen, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.14570#0019
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C. Die Eegio pt

Nachdem man übereingekommen ist, den engeren Begriff von Bauch
blos nach den äusseren Formen des Körpers zu bemessen, kann als
unterer gemeinsamer Bezirk desselben nur die in die Höhle des
grossen und des kleinen Beckens stattfindende Fortsetzung desjenigen
Raumes verstanden werden, welcher zunächst noch von dem Perito-
neum umschlossen wird. Damit stimmt denn auch die Auffassung der
praktischen Heilkunde überein, welche die von unten herauf, z. B.
zwischen Mastdarm und Blase, oder zwischen Scheidengewölbe und
Rectum bis in's Peritonealcavum vordringenden, oft genug mit Vorfall
von Darmschlingen verbundenen Läsionen nicht weniger als penetrirende
Bauchwunden aufzufassen pflegt, als diejenigen, welche von der Ober-
fläche des Körpers aus den Bauchraum eröffnen. Aus dem Umstände,
dass die Regio pelvino-abdominalis alle diejenigen noch mit dem Bauch-
felle in Berührung stehenden Organe in sich begreift, welche nach
aussen hin von der festen Wand des Beckens umschlossen sind, kann
es nicht befremden, dass auch durch sie hindurch penetrirende Wunden
des Peritonealsackes möglich sind. Schon aus diesem Grunde, aber
auch deshalb, weil gewisse Zustände von Bauchorganen durch die
Beckenwand hindurch mittelst der Perkussion erforscht werden können,
darf die Topographie der Bauch-Becken-Organe hier nicht ausser Acht
gelassen werden. Wir müssen aber zunächst daran erinnern, dass sich
das Bauchfell keineswegs bis zum unteren Ende des Beckens erstreckt,
also auch die Höhle desselben nicht in ihrer Gesammtheit zum Bauch-
raume gezählt werden darf. Es ist nämlich leicht den Nachweis zu
liefern, dass zwischen der unteren Peritonealgrenze und der Aussen-
seite des Bodens der Beckenhöhle ein im Maximum 6 Ctm. hoher
Zwischenraum existirt, in welchen ausser dem unteren Umfange der
Blase und dem Ende des Mastdarmes gewisse Organe, wie die Saamen-
blasen, die Prostata, beim Weibe die Scheide eingeschlossen sind. Doch
kann man einwenden, dass diese infraperitonealen Bestandteile zum
Bauchfelle sich ähnlich verhalten, wie gewisse retroperitoneale Gebilde,
z. B. die Nebennieren, das Pankreas etc., welche gleichwohl als Bauch-
organe angesprochen zu werden pflegen. Insofern könnte denn auch
der von Bland in aufgestellten Behauptung eine gewisse Berechtigung
zuerkannt werden, dass nämlich der untere Abschluss der Höhle des
kleinen Beckens zugleich als Boden des Bauchraumes angesehen werden
müsse. Trotz des obigen Einwurfes, welcher keine consequente Wider-
legung erlaubt, möchte es aus Gründen der Zweckmässigkeit für topo-
graphische und operative Erörterungen doch zulässig sein, das Peri-
toneum als untere Grenzmarke des Bauches gelten zu lassen. Aber
dennoch kann bei der Lehre vom Situs viscerum abdominalium ohne
Störung einer zusammenfassenden Schilderung nicht Umgang von den-
jenigen Bruchstücken im Uebrigen vom Bauchfelle überzogener Ein-
geweide genommen werden, welche einer peritonealen Verhüllung ent-
behren.

Es dürfte den practischen Bedürfnissen angemessen sein, die Ein-
geweide der Regio pelvino - abdominalis nach ihren räumlichen Be-
ziehungen zu den verschiedenen Wänden des Beckens näher in's Auge
zu fassen. Doch muss zuvor daran erinnert werden, dass weder der
Inhalt des Beckens, noch der Zustand der constanten Beckenorgane
sich gleich bleiben. Wenn die Blase sowie der Mastdarm leer und in
sich zusammengezogen sind, dann nimmt die hiedurch weit gewordene
Höhle des kleinen Beckens einen grossen Theil des Dünndarm convolutes
in sich auf, in Folge dessen die vordere Bauchwand einigermaassen
einsinkt. Die Erleichterung, welche mit Athmungsbeschwerden be-
haftete Individuen nach ergiebiger Harn- und Kothentleerung empfinden,
beruht nun eben darauf, dass der Dünndarm jetzt in das Becken aus-

ino-abdominalis.

weichen kann und somit in geringerem Grade gegen die Organe der
Oberbauchgegend und durch sie gegen das Zwerchfell andrängt.

Im Bereiche der vorderen, während ihres Verlaufes nach abwärts
mehr und mehr zurückweichenden Wand des Beckens hat die Harn-
blase ihre Lage, deren in die Urethra übergehendes Ende bei jedem
Fülhmgsgrade der Grenze des mittleren und unteren Drittels der Längen-
axe des Schoossgelenkes entspricht. Die volle, den oberen Beckenrand
mehr oder weniger übersteigende Blase reicht vorn jederseits bis zur
Mitte des horizontalen Schambeinastes. Die nach aufwärts schauende
Wand der vollen Blase erhebt sich entsprechend dem Halbirungspunkte
ihrer fast horizontal verlaufenden Längenaxe bis zur Grenze des unteren
und mittleren Drittels des Abstandes zwischen Supercilium acetabuli
und dem höchsten Punkte der Crista ossis ilei, während sie sich nach
abwärts bis in die Ebene der Spitze des grossen Rollhügels erstreckt.
Nach rückwärts kann die Ausdehnung der Blase bis zum unteren Rande
des Foramen ischiadicum majus stattfinden, den sie bisweilen noch
ein wenig überschreitet, so dass alsdann in transversaler Richtung in
diese Oeffnung eindringende Verletzungen noch ihre dem Mastdarme
zugekehrte Wandung betreffen können.

Die hintere, hauptsächlich durch das Kreuz- und Steissbein, ausser-
dem durch die Ligamenta sacro-spinosa und sacro-tuberosa gebildete
Wand des Beckens -steht mit dem Mastdarme, beim weiblichen Ge-
schlechte auch mit dem Uterus und seinen Adnexa in Beziehung. Von
der linken Articulatio sacro-iliaca an steigt das Intestinum egestivum
unter Beschreibung einer nach links convexen Krümmung gegen die
Mitte des Kreuzbeines herab, um jetzt eine die Medianlinie nach rechts
überschreitende und in dieser Richtung convexe Biegung zu erfahren,
welche sich bis vor das breite Ende des Lig. sacro-spinosum und sacro-
tuberosum dextrum erstreckt. Diese Flexur geht alsbald in eine dritte,
hinter dem Ende des Kreuzbeines und hinter dem ersten Steissbeine
verlaufende, nach links convexe Krümmung über, die bis auf das Lig.
sacro-spinosum und sacro-tuberosum sinistrum übergreift. Unter Bildung
der nach vorn und unten convexen Perinealkrümmnng überschreitet
das Intestinum egestivum schliesslich das Steissbein, welches es nach
beiden Seiten hin stark überragt, um mit seiner nach rückwärts an-
steigenden Analöffnung zwischen der beiderseitigen Tuberositas ischii
zu endigen. Aus diesem Verhalten des Mastdarmes zur hinteren Becken-
wandung wird es ersichtlich, dass rechts die obere Hälfte des Kreuz-
beines von ihm frei bleibt, so dass den Knochen dort perforirende
Verletzungen ohne Betheiligung des Darmes möglich sind, andererseits
aber auch das unter die Steissbeinspitze herabragende Endstück des
Darmes von der Rückenseite her, ohne Beschädigung eines Knochens
verwundet werden kann. Je nach der vom Grade der jeweiligen Aus-
dehnung abhängigen Grösse der geraden Durchmesser des Mastdarmes
springt er bald mehr bald weniger tief gegen die Höhle des kleinen
Beckens herein, woraus die Möglichkeit seiner Verletzung auch durch
solche Wunden verständlich wird, die in rein transversaler Richtung
durch das Foramen ischiadicum majus eindringen. Da nun im Be-
reiche dieser Lücke der Beckenwand die Excavatio recto-vesicalis liegt,
ist es recht wohl denkbar, dass Projektile beide Foramina ischiadica
majora durchsetzen können, ohne dass weder der Mastdarm noch die
Harnblase beschädigt wird.

In eine theilweise sehr nahe räumliche Beziehung zur Innenseite
der hinteren Beckenwand sind der Uterus und seine Adnexa ge-
bracht. Nach der ziemlich allgemein adoptirten Vorstellung von J.
Marion Sims1) nimmt jedoch der Uterus im normalen Zustande eine
fast centrale Lage im Becken ein, so dass er weit von der Innenseite

1) Klinik der Gebärmutter-Chirurgie. Deutsch von H. Beigel. Erlangen 1870. S. 182.

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