Die Pariser Weltausstellung in Wort und
ild.
Blick von der Strasse von Algier auf den Trocadero.
Stellungsraum im Freien ihren Platz finden können, und hierzu
war die Erlaubnis nicht zu erlangen, da man fürchtete, einen
Präzedenzfall zu schaffen und so auch an anderen Orten eine
Einengung der Wege herbeizuführen. Dieser Obelisk ist aber
in bildlicher Darstellung auf der grossen statistischen Tafel
enthalten, welche die Hauptzahlen der deutschen Arbeiter-
Versicherung vorführt.
Das mittlere Stück, das den Anteil' der Unternehmer
an diesen Beiträgen bezeichnet, ist das grösste, darunter etwas
kleiner der Beitragsanteil der Arbeiter und darüber am
all erkleinsten der durch den Reichsadler bezeichnete Reichs-
zuschuss. '•■ ,
Angesichts dieser in die Augen fallenden Leistung em-
pfängt der Besucher den Eindruck, dass in der Sozialpolitik
alle Völker der Erde im Dunkeln tasten, während die Deutschen
die einzigen sind, die wissen was sie wollen: sie schützen den
Arbeiter wenigstens gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und
geben schon jetzt täglich eine Million Mark dafür aus. Man
tritt nun der deutschen Sozialpolitik nicht zu nahe, wenn man
sagt, dass dieser imponierende Eindruck nicht in vollem Um-
fange ein Verdienst ihrer Leistung, sondern zu einem sehr
bedeutenden Teil ein Verdienst der Geschicklichkeit und des
sicheren Taktes ist, mit dem diese Ausstellung geleitet wurde.
Es wäre eine masslose Selbstüberhebung, wenn wir behaupten
wollten, in der Sozialpolitik das erste Volk der Welt zu sein.
Eine Ueberhebung schon um deswillen, weil der Begriff der
Sozialpolitik viel zu wandelungsfähig ist, als das man ein
Recht hätte, den Zweig, in dem wir etwas leisten, als „die"
Sozialpolitik zu bezeichnen, wiewohl diese Begriffs Verschiebung
in Deutschland nicht eben selten ist. Im Arbeiterschutz bei-
spielsweise (d- h. in der Hauptsache in der Gesetzgebung
über Arbeitsvertrag und Gewerbeinspektion) wird man Eng-
land, die Schweiz und Oesterreich an erster Stelle nennen.
In Veranstaltungen zur Hebung der technischen Bildung der
Arbeiter, also hauptsächlich im Fachschulwesen, nimmt vielleicht
Frankreich selbst jetzt eine der ersten Stellungen ein, ebenso
wie in „Universitäts-Ausdehnung" und „Volksschulen" schon
diese beiden aus dem Englischen und dem Dänischen uns zu-
geflossenen Wörter beweisen, dass wir auf die Nachahmung
des Auslandes angewiesen sind. Wenn man das Hauptgewicht
nicht auf einzelne Zweige der Sozialpolitik, sondern auf ihre
Stellung und Bedeutung für die Staatsverwaltung im allge-
meinen legt, so berichten uns diejenigen, die Australien und
Neuseeland kennen, dass alles was in
dieser Beziehung die alte und die neue
Welt leistet, von dieser „neuesten" Welt
in Schatten gestellt wird. Hätte Deutsch-
land was es an Einrichtungen zum
Schutze der rechtlichen Stellung des
Arbeiters, zum Schutze seiner Gesund-
heit, zur Hebung des Fachunterrichts
u. s. w. leistet, ebenfalls hier ausgestellt,
so würde unter dem vielen wohl auch
manche ansehnliche Einzelleistung ge-
wesen sein, im grossen und ganzen aber
würde die deutsche Ausstellung den
Eindruck unberechtigter Ruhmredigkeit
gemacht haben. Es war daher ein glück-
licher Gedanke, alles was Deutschland
auf anderen Gebieten der Sozialpolitik
geleistet hat, in das deutsc'.e Haus zu
verweisen, wo es als Bestandteil des
gewerblichen Lebens und der gewerb-
lichen Verwaltung mit geringerer Prä-
tension auftritt und einer Anerkennung
des Anerkennungswerten sicher ist:-:,
das internationale Paradehaus des Sozial-
Paiastes aber ganz ausschliesslich auf den Teil der Sozialpolitik
zu beschränken, den man mit gutem Gewissen und nach dem
übereinstimmenden Urteil der Sachverständigen der ganzen
Welt den Völkern der Erde zur Nachahmung vorführen darf.
An dieser Nachahmung hat Deutschland auch ein offen
eingestandenes Interesse. Die deutschen Unternehmer klagen
vielfach über die ihnen aus der Arbeiterversicherung er-
wachsenen Lasten, durchs die sie im Konkurrenzkampfe mit
dem Auslande benachteiligt seien. Diese Klagen sind zwar
nicht berechtigt. Den 180 Millionen Mark jährlich, welche die
Unternehmer als ihre Beiträge zu den drei Arbeiter-
versicherungen zahlen, stehen in besserer Pflege, sichererer
Lebensführung des Arbeiters, sowie in vervollkommneter
Organisation der Industrie Gegenwerte gegenüber, die darum
nicht geringer sind, weil sie sich nicht in Mark und Pfennigen
ausdrücken lassen; und jedenfalls liefern gerade in der Pariser
Weltausstellung die Maschinenhalle, die elektrische Abteilung,
die TexuL, die chemische Industrie und zahlreiche andere den
schlagenden Beweis, dass die deutsche Industrie gerade in der
Zeit, in der sie angeblich von der Arbeiterversicherung so
schwer belastet sein soll, die gewaltigsten und schwung-
vollsten Fortschritte gemacht hat. Allein wenn es auch objektiv
nicht richtig ist, dass die deutsche Arbeiterversicherungs-Ge-
setzgebung dem deutschen Unternehmertum irgendwie geschadet
habe, so bildet doch der subjektive Glaube an die Bedrückung
eine Macht, auf die Rücksicht zu nehmen ist. Dass der
deutsche Unternehmer, der Geld zahlen muss, im Nachteil sei
gegenüber seinen englischen, amerikanischen Konkurrenten,
die nichts oder weniger zu zahlen brauchen, ist ein auf den
ersten Blick so täuschend einleuchtender Gedanke, dass man
nicht wohl darauf verzichten kann, aus diesem Grunde die
(an sich übrigens auch wünschenswerte) internationale Ver-
breitung der staatlichen Arbeiter-Versicherung zu befördern.
Dass Weltausstellungen für diese Propaganda der Ideen
ein geeignetes Mittel sind, hat das Reichsversicherungsamt
schon früh erkannt. Es hat diesmal den ernst und steif ge-
haltenen Veranschaulichungsmitteln noch ein ferneres hin-
zugefügt, das schon durch seinen skurrilen Charakter die Auf-
* Diese Abteilung ist bereits von anderer Seite in No. 1 dieser
Zeitschrift besprochen worden. Inzwischen ist im Auftrage des
Gruppenvorstandes aus der Feder von Professor Albrecht ein vor-
trefflich orientierender Ueberblick über die „soziale Wohlfahrtspflege
in Deutschland" erschienen.
ild.
Blick von der Strasse von Algier auf den Trocadero.
Stellungsraum im Freien ihren Platz finden können, und hierzu
war die Erlaubnis nicht zu erlangen, da man fürchtete, einen
Präzedenzfall zu schaffen und so auch an anderen Orten eine
Einengung der Wege herbeizuführen. Dieser Obelisk ist aber
in bildlicher Darstellung auf der grossen statistischen Tafel
enthalten, welche die Hauptzahlen der deutschen Arbeiter-
Versicherung vorführt.
Das mittlere Stück, das den Anteil' der Unternehmer
an diesen Beiträgen bezeichnet, ist das grösste, darunter etwas
kleiner der Beitragsanteil der Arbeiter und darüber am
all erkleinsten der durch den Reichsadler bezeichnete Reichs-
zuschuss. '•■ ,
Angesichts dieser in die Augen fallenden Leistung em-
pfängt der Besucher den Eindruck, dass in der Sozialpolitik
alle Völker der Erde im Dunkeln tasten, während die Deutschen
die einzigen sind, die wissen was sie wollen: sie schützen den
Arbeiter wenigstens gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und
geben schon jetzt täglich eine Million Mark dafür aus. Man
tritt nun der deutschen Sozialpolitik nicht zu nahe, wenn man
sagt, dass dieser imponierende Eindruck nicht in vollem Um-
fange ein Verdienst ihrer Leistung, sondern zu einem sehr
bedeutenden Teil ein Verdienst der Geschicklichkeit und des
sicheren Taktes ist, mit dem diese Ausstellung geleitet wurde.
Es wäre eine masslose Selbstüberhebung, wenn wir behaupten
wollten, in der Sozialpolitik das erste Volk der Welt zu sein.
Eine Ueberhebung schon um deswillen, weil der Begriff der
Sozialpolitik viel zu wandelungsfähig ist, als das man ein
Recht hätte, den Zweig, in dem wir etwas leisten, als „die"
Sozialpolitik zu bezeichnen, wiewohl diese Begriffs Verschiebung
in Deutschland nicht eben selten ist. Im Arbeiterschutz bei-
spielsweise (d- h. in der Hauptsache in der Gesetzgebung
über Arbeitsvertrag und Gewerbeinspektion) wird man Eng-
land, die Schweiz und Oesterreich an erster Stelle nennen.
In Veranstaltungen zur Hebung der technischen Bildung der
Arbeiter, also hauptsächlich im Fachschulwesen, nimmt vielleicht
Frankreich selbst jetzt eine der ersten Stellungen ein, ebenso
wie in „Universitäts-Ausdehnung" und „Volksschulen" schon
diese beiden aus dem Englischen und dem Dänischen uns zu-
geflossenen Wörter beweisen, dass wir auf die Nachahmung
des Auslandes angewiesen sind. Wenn man das Hauptgewicht
nicht auf einzelne Zweige der Sozialpolitik, sondern auf ihre
Stellung und Bedeutung für die Staatsverwaltung im allge-
meinen legt, so berichten uns diejenigen, die Australien und
Neuseeland kennen, dass alles was in
dieser Beziehung die alte und die neue
Welt leistet, von dieser „neuesten" Welt
in Schatten gestellt wird. Hätte Deutsch-
land was es an Einrichtungen zum
Schutze der rechtlichen Stellung des
Arbeiters, zum Schutze seiner Gesund-
heit, zur Hebung des Fachunterrichts
u. s. w. leistet, ebenfalls hier ausgestellt,
so würde unter dem vielen wohl auch
manche ansehnliche Einzelleistung ge-
wesen sein, im grossen und ganzen aber
würde die deutsche Ausstellung den
Eindruck unberechtigter Ruhmredigkeit
gemacht haben. Es war daher ein glück-
licher Gedanke, alles was Deutschland
auf anderen Gebieten der Sozialpolitik
geleistet hat, in das deutsc'.e Haus zu
verweisen, wo es als Bestandteil des
gewerblichen Lebens und der gewerb-
lichen Verwaltung mit geringerer Prä-
tension auftritt und einer Anerkennung
des Anerkennungswerten sicher ist:-:,
das internationale Paradehaus des Sozial-
Paiastes aber ganz ausschliesslich auf den Teil der Sozialpolitik
zu beschränken, den man mit gutem Gewissen und nach dem
übereinstimmenden Urteil der Sachverständigen der ganzen
Welt den Völkern der Erde zur Nachahmung vorführen darf.
An dieser Nachahmung hat Deutschland auch ein offen
eingestandenes Interesse. Die deutschen Unternehmer klagen
vielfach über die ihnen aus der Arbeiterversicherung er-
wachsenen Lasten, durchs die sie im Konkurrenzkampfe mit
dem Auslande benachteiligt seien. Diese Klagen sind zwar
nicht berechtigt. Den 180 Millionen Mark jährlich, welche die
Unternehmer als ihre Beiträge zu den drei Arbeiter-
versicherungen zahlen, stehen in besserer Pflege, sichererer
Lebensführung des Arbeiters, sowie in vervollkommneter
Organisation der Industrie Gegenwerte gegenüber, die darum
nicht geringer sind, weil sie sich nicht in Mark und Pfennigen
ausdrücken lassen; und jedenfalls liefern gerade in der Pariser
Weltausstellung die Maschinenhalle, die elektrische Abteilung,
die TexuL, die chemische Industrie und zahlreiche andere den
schlagenden Beweis, dass die deutsche Industrie gerade in der
Zeit, in der sie angeblich von der Arbeiterversicherung so
schwer belastet sein soll, die gewaltigsten und schwung-
vollsten Fortschritte gemacht hat. Allein wenn es auch objektiv
nicht richtig ist, dass die deutsche Arbeiterversicherungs-Ge-
setzgebung dem deutschen Unternehmertum irgendwie geschadet
habe, so bildet doch der subjektive Glaube an die Bedrückung
eine Macht, auf die Rücksicht zu nehmen ist. Dass der
deutsche Unternehmer, der Geld zahlen muss, im Nachteil sei
gegenüber seinen englischen, amerikanischen Konkurrenten,
die nichts oder weniger zu zahlen brauchen, ist ein auf den
ersten Blick so täuschend einleuchtender Gedanke, dass man
nicht wohl darauf verzichten kann, aus diesem Grunde die
(an sich übrigens auch wünschenswerte) internationale Ver-
breitung der staatlichen Arbeiter-Versicherung zu befördern.
Dass Weltausstellungen für diese Propaganda der Ideen
ein geeignetes Mittel sind, hat das Reichsversicherungsamt
schon früh erkannt. Es hat diesmal den ernst und steif ge-
haltenen Veranschaulichungsmitteln noch ein ferneres hin-
zugefügt, das schon durch seinen skurrilen Charakter die Auf-
* Diese Abteilung ist bereits von anderer Seite in No. 1 dieser
Zeitschrift besprochen worden. Inzwischen ist im Auftrage des
Gruppenvorstandes aus der Feder von Professor Albrecht ein vor-
trefflich orientierender Ueberblick über die „soziale Wohlfahrtspflege
in Deutschland" erschienen.