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Heine, Hans-Wilhelm
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Heft 28): Die ur- und frühgeschichtlichen Burgwälle im Regierungsbezirk Hannover — 2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.68709#0023
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Schränkung), Burg in Hanglage; geometrische Grundrissform; winklige Wallführung bei Abschnittswällen.
Zu bemerken ist, dass die aufgeführten Baumerkmale in oft unterschiedlicher Kombination vorkommen
können.46 Sehr viele frühmittelalterliche Anlagen besitzen aber diese Merkmale überhaupt nicht, wie z. B.
viele norddeutsche Rundwälle oder einfache Abschnittswälle mit vorgelegtem Graben, die dann nur durch
Grabungen oder Analogien in Bezug auf Lage und Topographie einzuordnen sind. Gerade in den nord-
deutschen Tiefebenen sind die in den Mittelgebirgen, besonders in Süddeutschland, herausgestellten Bau-
merkmale in ihrer spezifischen Kombination kaum vorhanden bzw. erst durch Grabungen nachzuweisen.47
W. Hübener hat versucht, eine weitere Regelmäßigkeit an karolingisch-ottonischen Wehranlagen auf-
zuzeigen, nämlich dass eine Proportion 1:2 zwischen senkrechter Entfernung von der Spitzgrabensohle bis
zum Schnittpunkt mit einer vom ehemaligen äußeren Fußpunkt der Mauer gezogenen Horizontalen und
dem Abstand von diesem Schnittpunkt bis zum äußeren Fußpunkt der Mauer eine häufige Erscheinung
sei. Da dieses Verhältnis auch bei spätlatenezeitlichen Anlagen beobachtet worden ist, bleibt dieser Frage
nochmals nachzugehen.48
Die fortschreitende Erforschung der Befestigungen vom Neolithikum bis ins Mittelalter wird die vorläufi-
ge Datierung durch Merkmalsanalyse in den Hintergrund drängen.49 Dies zeigt sich z. B. in Westfalen, wo
man den Mut hat, auch kleinere denkmalpflegerisch begründete Maßnahmen an Burgwällen forschungs-
orientiert anzugehen und so wichtige Grundlagen für die Denkmalpflege und Forschung zu schaffen. Dies
war in Niedersachsen seit den späten 80er Jahren aus organisatorischen und personellen Gründen seitens
der Landesarchäologie nicht mehr möglich.
6. Archäologisch-historische Einordnung
6.1. Neolithikum (Abb. 1)
Die bekannteste Form neolithischer Befestigungen und Einhegungen sind die sog. Erdwerke, die in ihre
Erscheinungsform und als Denkmalgattung seit dem Neolithikum vorkommen. Unter Erdwerk versteht
die Forschung mehr oder weniger umfangreiche z. T. mehrfache Grabenanlagen mit Durchlässen, Wällen
und Palisaden, die meist in Acker- und Wiesengelände z. B. bei großflächigen Bauarbeiten oder mit Hilfe
der Flugprospektion gefunden werden. Da Gräben die auffälligsten Hinterlassenschaften darstellen, wird
häufig auch der Ausdruck „ Grabenwerk“ verwendet.50 Nur selten sind derartige Anlagen des Neolithikums
noch im Gelände erhalten, wie z. B. die Beusterburg bei Betheln (254/1) (Abb. 36), die lange Zeit einzige
nach modernen Gesichtspunkten gegrabene und erforschte neolithische Befestigung Niedersachsens. Die
Zweckbestimmung ist in der Regel unklar und bedarf der näheren Erforschung durch Grundrissanalyse,
weitere Prospektion und Grabung. Die Deutungen schwanken je nach Befund und Anschauung zwischen
befestigter Siedlung, Viehkral, Fluchtburg, geschütztem Marktort, Kultstätte, wenn z. B. Tier- oder Men-
schenopfer nachzuweisen sind, Heiligtum, Festplatz und symbolischer Bedeutung für die jeweiligen Er-
bauer zur eigenen Identitätsstiftung bzw. in Abgrenzung zu Außenstehenden. Häufig wird eine Multifunk-
tionalität anzunehmen sein.51

46 Schwarz 1955,35 ff. Uslar 1964,215 ff. und passim. Zur Rolle der rechteckigen frühmittelalterlichen Befestigungen („ Wehrcurtis“)
in der Forschungsgeschichte vgl. Last 1976,391 ff.
47 Vgl. z. B. die karolingerzeitlichen Anlagen Höhbeck-Kastell an der Elbe bei Vietze, Ldkr. Lüchow-Dannenberg (Wachter 1986;
1998b, 164 Nr. 21) oder die Burg Esesfelth bei Itzehoe (Brachmann 1993,142 ff. Abb. 68).
') Hübener 1963.
49 Vgl. hierzu auch die wiederholten Bemerkungen bei Morrisey, Müller 1999, wo schon durch wenige Neubeobachtungen ältere
Versuche einer Einordnung in Frage gestellt oder widerlegt werden konnten. Dies sollte aber nicht zum Schluss verleiten, Lese-
funde als sichere Datierung von Befestigungsresten im Gelände anzusehen. Hierzu bedarf es auch weiterhin der gesicherten Gra-
50bung'
Meyer 1995,69.
Vgl. Steuer 1989,443 ff., der den Begriff „ Erdwerk“ verallgemeinernd weiter fasst. Zur Erforschung neolithischer Erdwerke, je-
weils mit weit. Lit. u. a. Burgess 1988; Lüning 1988; [Tagung Halle] 1990; Petrasch 1990; Eckert 1992; Meyer 1995; Günther
1997.

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