Auf der Basis der in Kap. 1 bis 17 beschriebenen Grabbefun-
de soll im folgenden ein Bild der Entwicklung der Bestat-
tungssitten im Untersuchungsgebiet von der jüngeren Römi-
schen Kaiserzeit bis in die Karolingerzeit entworfen werden.
Den Ausgangspunkt der Betrachtungen bildet eine zusam-
menfassende Beurteilung der in Teil 11 ausgebreiteten Brand-
grabbefunde aus den in Katalog I und II verzeichneten
Bestattungsplätzen Nr. 1 bis 37 und 40 bis 49 (s. Karte 1).
Es handelt sich bei diesen Bestattungsplätzen um Areale zur
Beisetzung von Knochenresten eingeäscherter Toter. Die über-
all vorherrschend nachweisbare Form der Beisetzung des Lei-
chenbrandes ist die Bestattung in einem Keramikgefäß
(s. Kap. 6). Wann diese Plätze erstmals zur Beisetzung von
Urnen aufgesucht worden sind, ist im Einzelfall schwer zu fas-
sen, denn - außer vielleicht mit Ausnahme des Friedhofs auf
dem „PFINGSTBERG" - kann keiner dieser Bestat-
tungsplätze als vollständig erfaßt gelten. Von den meisten sind
nur wenige Fundkomplexe überliefert, deren chronologische
Repräsentativität für die Gesamtnutzungsdauer der Bestat-
tungsplätze nicht einzuschätzen ist (Kap. 5). Hinzu kommt,
daß zur Datierung der bekannten Grabbefunde meist nur die
keramischen Leichenbrandbehälter zur Verfügung stehen und
diese nur teilweise in eine Spanne zweier Jahrhunderte oder
präziser datiert werden können (s. Kap. 2.1.3.2 und 2.1.3.3).
Gleichwohl ist festzustellen, daß die ältesten datierbaren Ur-
nenbeisetzungen auf diesen Friedhöfen stets dem 2. oder 3. Jh.
bzw. den Stufen C1 bis C2 der Römischen Kaiserzeit zuweis-
bar sind. Urnen dieser Zeitstellung sind von den Bestattungs-
plätzen bei DRÜTTE, HOHENASSEL, LAATZEN/GRAS-
DORF, LEHRTE, MEERDORF (21a), NEINDORF, „OLE
HAI", „PFINGSTBERG", SÜPPLINGENBURG und
WATENSTEDT bekannt (s. Kap. 2.2, 2.3 u. 3)964.
964 Zu den einzelnen Befunden s. Katalog I. Auch aus HARXBÜTTEL
und LAUINGEN werden Urnen dieser Zeitstellung überliefert, aber
diese der älteren Literatur entnommenen Angaben sind nicht über-
prüfbar, da die Funde verschollen sind. Mit Ausnahme älterkaiser-
zeitlicher Funde liegen von allen übrigen Bestattungsplätzen keine
sicher in oder vor das 3. Jh. datierbaren Urnengräber vor.
20. Zur Ausbreitung der Urnengrabsitte ab der jüngeren
Römischen Kaiserzeit
Um zu klären, ob diese im 2. und 3. Jh. praktizierte Form der
Leichenbrandbeisetzung ältere Traditionen fortführt oder ob
sie ein neues Element im mit der Totenfürsorge verbundenen
Brauchtum darstellt, gilt es nach dem Bestattungssitten der
älteren Kaiserzeit im Untersuchungsgebiet zu fragen.
Exkurs: Bestattungssitten der älteren Römischen Kaiser-
zeit
Die Bestattungs- und Siedlungsplätze der älteren Römischen
Kaiserzeit im südlichen Niedersachsen werden derzeit im
Rahmen einer Dissertation bearbeitet965. Den momentanen
Forschungsstand dokumentiert eine 1985 von I. Rötting vor-
gelegte Verbreitungskarte966. Sie verzeichnet die bis dahin in
der Literatur erwähnten Grab- und Siedlungsbefunde der
Römischen Kaiserzeit in Niedersachsen. Rötting kartierte
diese Fundplätze nach vier Zeithorizonten: solche der älteren
Römischen Kaiserzeit, Fundplätze, die Funde sowohl der älte-
ren als auch der jüngeren Römischen Kaiserzeit erbrachten,
Fundplätze der jüngeren Römischen Kaiserzeit und Fundplät-
ze, die nur allgemein in die Römische Kaiserzeit datiert wer-
den konnten967.
Als Fundorte von Bestattungsplätzen mit Brandgräbern der
älteren Römischen Kaiserzeit verzeichnet Rötting im Untersu-
chungsgebiet die Ortschaften Bemerode, Dettum, Dörnten,
Garbsen, Gielde, Helstorf, Hohenassel, Holle, Königslutter,
Querum, Rhode, Uhry, Warle, Watenstedt, Weddel und
Wehmingen.
Rötting betont, daß das Ziel ihrer Arbeit eine nicht quellen-
kritische Zusammenstellung aller bis dato in der Literatur
genannten Fundstellen war968. Die von ihr vorgenommene
chronologische Kategorisierung der kaiserzeitlichen Grab-
funde mußte daher im Rahmen der Materialaufnahme zur
vorliegenden Untersuchung geprüft werden. Wie im folgenden
erläutert, ergaben sich dabei einige hinsichtlich der Beur-
teilung der älterkaiserzeitlichen Grabsitten nicht unerhebliche
Neubewertungen:
Bei dem bei Weddel lokalisierten Brandgräberfriedhof handelt
es sich um einen Bestattungsplatz der jüngeren vorrömischen
Eisenzeit969. In die ältere Römischen Kaiserzeit zu datierende
Funde sind von dieser Fundstelle bislang nicht bekannt.
Die Fundorte Garbsen, Warle und Königslutter können nur
unter Vorbehalt als mögliche Fundplätze älterkaiserzeitlicher
Bestattungen geltend gemacht werden. Im Fall von Garbsen ist
der einzige Hinweis auf Grabfunde dieser Zeitstellung der
Fund "eines verschlackten Gefäßes der frühen Kaiserzeit" aus
einem ansonsten vorgeschichtlichen Urnenfriedhof der jün-
geren Bronzezeit und älteren Eisenzeit970. Auch für Warle läßt
sich ein sicherer Nachweis für die Existenz älterkaiser-
zeitlicher Bestattungen nicht erbringen, da entsprechend
datierbare Keramikfunde, die aus dem mutmaßlichen Gräber-
965 Susanne Schmidt (Universität Kiel), Die Ältere Kaiserzeit im südli-
chen Niedersachsen.
966 RÖTTING 1985
967 Einzelfundstücke ohne Befundzusammenhang, wie z. B. Münzfun-
de, blieben bei dieser Zusammenstellung unberücksichtigt.
968 RÖTTING 1985,V
969 Materialausbreitung zuletzt R. Busch et al., Römische Funde aus
Ostniedersachsen. Veröffentlichungen des Braunschweigischen
Landesmuseums 20, 1982,21 ff.
970 Literatur bei RÖTTING 1985,24.
120
de soll im folgenden ein Bild der Entwicklung der Bestat-
tungssitten im Untersuchungsgebiet von der jüngeren Römi-
schen Kaiserzeit bis in die Karolingerzeit entworfen werden.
Den Ausgangspunkt der Betrachtungen bildet eine zusam-
menfassende Beurteilung der in Teil 11 ausgebreiteten Brand-
grabbefunde aus den in Katalog I und II verzeichneten
Bestattungsplätzen Nr. 1 bis 37 und 40 bis 49 (s. Karte 1).
Es handelt sich bei diesen Bestattungsplätzen um Areale zur
Beisetzung von Knochenresten eingeäscherter Toter. Die über-
all vorherrschend nachweisbare Form der Beisetzung des Lei-
chenbrandes ist die Bestattung in einem Keramikgefäß
(s. Kap. 6). Wann diese Plätze erstmals zur Beisetzung von
Urnen aufgesucht worden sind, ist im Einzelfall schwer zu fas-
sen, denn - außer vielleicht mit Ausnahme des Friedhofs auf
dem „PFINGSTBERG" - kann keiner dieser Bestat-
tungsplätze als vollständig erfaßt gelten. Von den meisten sind
nur wenige Fundkomplexe überliefert, deren chronologische
Repräsentativität für die Gesamtnutzungsdauer der Bestat-
tungsplätze nicht einzuschätzen ist (Kap. 5). Hinzu kommt,
daß zur Datierung der bekannten Grabbefunde meist nur die
keramischen Leichenbrandbehälter zur Verfügung stehen und
diese nur teilweise in eine Spanne zweier Jahrhunderte oder
präziser datiert werden können (s. Kap. 2.1.3.2 und 2.1.3.3).
Gleichwohl ist festzustellen, daß die ältesten datierbaren Ur-
nenbeisetzungen auf diesen Friedhöfen stets dem 2. oder 3. Jh.
bzw. den Stufen C1 bis C2 der Römischen Kaiserzeit zuweis-
bar sind. Urnen dieser Zeitstellung sind von den Bestattungs-
plätzen bei DRÜTTE, HOHENASSEL, LAATZEN/GRAS-
DORF, LEHRTE, MEERDORF (21a), NEINDORF, „OLE
HAI", „PFINGSTBERG", SÜPPLINGENBURG und
WATENSTEDT bekannt (s. Kap. 2.2, 2.3 u. 3)964.
964 Zu den einzelnen Befunden s. Katalog I. Auch aus HARXBÜTTEL
und LAUINGEN werden Urnen dieser Zeitstellung überliefert, aber
diese der älteren Literatur entnommenen Angaben sind nicht über-
prüfbar, da die Funde verschollen sind. Mit Ausnahme älterkaiser-
zeitlicher Funde liegen von allen übrigen Bestattungsplätzen keine
sicher in oder vor das 3. Jh. datierbaren Urnengräber vor.
20. Zur Ausbreitung der Urnengrabsitte ab der jüngeren
Römischen Kaiserzeit
Um zu klären, ob diese im 2. und 3. Jh. praktizierte Form der
Leichenbrandbeisetzung ältere Traditionen fortführt oder ob
sie ein neues Element im mit der Totenfürsorge verbundenen
Brauchtum darstellt, gilt es nach dem Bestattungssitten der
älteren Kaiserzeit im Untersuchungsgebiet zu fragen.
Exkurs: Bestattungssitten der älteren Römischen Kaiser-
zeit
Die Bestattungs- und Siedlungsplätze der älteren Römischen
Kaiserzeit im südlichen Niedersachsen werden derzeit im
Rahmen einer Dissertation bearbeitet965. Den momentanen
Forschungsstand dokumentiert eine 1985 von I. Rötting vor-
gelegte Verbreitungskarte966. Sie verzeichnet die bis dahin in
der Literatur erwähnten Grab- und Siedlungsbefunde der
Römischen Kaiserzeit in Niedersachsen. Rötting kartierte
diese Fundplätze nach vier Zeithorizonten: solche der älteren
Römischen Kaiserzeit, Fundplätze, die Funde sowohl der älte-
ren als auch der jüngeren Römischen Kaiserzeit erbrachten,
Fundplätze der jüngeren Römischen Kaiserzeit und Fundplät-
ze, die nur allgemein in die Römische Kaiserzeit datiert wer-
den konnten967.
Als Fundorte von Bestattungsplätzen mit Brandgräbern der
älteren Römischen Kaiserzeit verzeichnet Rötting im Untersu-
chungsgebiet die Ortschaften Bemerode, Dettum, Dörnten,
Garbsen, Gielde, Helstorf, Hohenassel, Holle, Königslutter,
Querum, Rhode, Uhry, Warle, Watenstedt, Weddel und
Wehmingen.
Rötting betont, daß das Ziel ihrer Arbeit eine nicht quellen-
kritische Zusammenstellung aller bis dato in der Literatur
genannten Fundstellen war968. Die von ihr vorgenommene
chronologische Kategorisierung der kaiserzeitlichen Grab-
funde mußte daher im Rahmen der Materialaufnahme zur
vorliegenden Untersuchung geprüft werden. Wie im folgenden
erläutert, ergaben sich dabei einige hinsichtlich der Beur-
teilung der älterkaiserzeitlichen Grabsitten nicht unerhebliche
Neubewertungen:
Bei dem bei Weddel lokalisierten Brandgräberfriedhof handelt
es sich um einen Bestattungsplatz der jüngeren vorrömischen
Eisenzeit969. In die ältere Römischen Kaiserzeit zu datierende
Funde sind von dieser Fundstelle bislang nicht bekannt.
Die Fundorte Garbsen, Warle und Königslutter können nur
unter Vorbehalt als mögliche Fundplätze älterkaiserzeitlicher
Bestattungen geltend gemacht werden. Im Fall von Garbsen ist
der einzige Hinweis auf Grabfunde dieser Zeitstellung der
Fund "eines verschlackten Gefäßes der frühen Kaiserzeit" aus
einem ansonsten vorgeschichtlichen Urnenfriedhof der jün-
geren Bronzezeit und älteren Eisenzeit970. Auch für Warle läßt
sich ein sicherer Nachweis für die Existenz älterkaiser-
zeitlicher Bestattungen nicht erbringen, da entsprechend
datierbare Keramikfunde, die aus dem mutmaßlichen Gräber-
965 Susanne Schmidt (Universität Kiel), Die Ältere Kaiserzeit im südli-
chen Niedersachsen.
966 RÖTTING 1985
967 Einzelfundstücke ohne Befundzusammenhang, wie z. B. Münzfun-
de, blieben bei dieser Zusammenstellung unberücksichtigt.
968 RÖTTING 1985,V
969 Materialausbreitung zuletzt R. Busch et al., Römische Funde aus
Ostniedersachsen. Veröffentlichungen des Braunschweigischen
Landesmuseums 20, 1982,21 ff.
970 Literatur bei RÖTTING 1985,24.
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