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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 261
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#1064
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Eine Begnadigte.
^ „ (Fortsetzung.)
In Thronen auSbrechend verhüllte die Unglückliche ihr Gesicht, und
die Richter ihren Schmerz ehrend, vestummtcn. Eine lange Pause
folgte, nur unterbrochen von dem lauten Schluchzen der Armen,
zitternd, händeringend auf ihren Stuhl zurückgesunken war.
Endlich ermannte sie sich, sie trocknete ihre Thronen, erhob sich von
ihrem Sessel, und wandte sich mit anmuthiger Verneigung und einem
engklsgleichen Lächeln zu den Richtern hin. Verzeihung, meine Her-
ren, sagte sie mit weicher, flehender Stimme, Verzeihung, o ich bitte
Sie. Sie sehen ich bin schwach! Die ganze Rächt hatte ich mich auf
diese Stunde vorbereitet, und nun sie da ist, findet sie mich kraftlos.
Die weltliche Gerechtigkeit aber muß ihren Gang gehen. Fragen Sie
weiter, meine Herren!
Wann und warum geschah die That?
Vor sechs Tagen war cs, als der finstre Geist mich beschlich, und
mich mit wchnsinnigcr Lust lehrte, ihn zu tödten. O, ich hatte den
Tag so viel gelitten, so viel geweint. Ich liebte ihn ja so heiß.
Und crwiedcrte er diese Liebe nicht? fragte der Richter.
Das Weib seufzte schmerzvoll. Bis vor wenigen Monden noch,
sagte sie, nannte er mich seine Geliebte. Dann, — ja dann begann
die Qual! Er liebte eine Andere, die mit Zauberkünsten ihn umfangen,
und um derckwillen er mich und sein Haus vermied.
Wußte diese Andere, daß er verheirathet sei?
Ob sie es wußte! Ihre Knie habe ich umfaßt und zu ihr gefleht,
ihn frei zu geben , ihn mir wieder zu schenken. Umsonst, umsonst meine
Erniedrigung meine Quäl! Da krallte sich die Verzweiflung in meine
Brust, in mein Gehirn, und als mein Gatte, nachdem er die ganze
Nacht außer dem Hause verbracht, zurückkehrte in seine Wohnung, packte
mich der Wahnsinn, und vor ihm niedcrstürzend flehte ich ihn an, das
Weib zu lassen und mich zu lieben, mich sein Weib. Er lächelte aber
und schwur, daß ihr, dieser Andern, ewig sein Herz gehören sollte.
Da sprang ich aus, mein Kopf, meine Augen brannten, ein Messer
lag glänzend im Sonnenlicht auf dem Tisch, ich ergriff es, und —-
doch was nun folgte, weiß ich nicht. Ich kam erst zur Besinnung, aks
Petrowitsch in seinem Blute schwimmend, vor mir lag mit gebrochenen
Augen und sterbend. Dann, glaub ich, Hab ich geschrieen, denn mir
ist, als hätte sich das Haus mit Menschen angefüllt, die Alle ihn und
mich umstanden. Sie wissen Alles! setzte Olga fast tonlos hinzu, jetzt
urtheilen Sie!
Ohnmächtig sank sie zurück. Die Diener traten näher, sie zu stü-
tzen, die Richter zogen sich zur ernsten Berathung zurück in dos Neben-
zimmer. Ohnmächtig lag Olga noch immer, als aber aus dem an-
dern Zimmer, in welches die Richter gegangen, lautes Weinen ertönte,
als von dorther eine flehende, im Jammer schreiende Stimme rief:
Gnade, Gnade für mein Kind ! O habt Erbarmen, tödtet sie nicht!
da richtete Olga wie von einem elektrischen Schlag getroffen, sich auf
und sich mit der Hand über das bleiche Gesicht fahrend, murmelte sie:
Das war meiner Mntter Stimme.
Die Richter kehrten zurück, bleich, ernst, kalt wie zuvor.
Ihr bringt mein Unheil! Nicht wahr, cs ist der Tod! sagte Olga
mit flehendem, verlangendem Ton.
In Ansehung Deiner Jugend und der besonder» Umstände die Dich
zu der That bewogen, ist Dir die Todesstrafe erlassen, antwortete der
Richter, und umgewandelt in eine lebenslängliche Verbannung nach Si-
birien und Arbeit in den Bergwerken.
Also leben! seufzte Olga.
Der Richter fuhr fort: Das Flehen aber Deiner Eltern hat auch
diesen Spruch gemildert und umgeschaffen. Du wirst nach Omsk als
Aufseherin ins Hosspital gebracht werden. Dort magst Du durch schwere
Buße und strenge Pflichterfüllung Deine Schuld sühnen. Der Wagen
harrt, hülle —im in Deine Schleier, und geh!
Und meine Eltern, meine arme Eltern! fragte Olga mit bebender,
klagender Stimme, darf im ihnen kein Lebewohl sagen?
Unmöglich! war die Antwort.
Olga seufzte und hüllte sich schweigend in ihren schwarzen Schleier.
Lebt wohl! murmelte sie, und begleitet von den Soldaten verließ sie
das Gemach und Haus.
Die Menge war noch versammelt auf dem Platze, und als Olga
jetzt durch die Pforte trat, flüsterte man erwartungsvoll: Seht, seht
sie kommt! Wie mag das Urtheil lauten?
Die Soldaten hoben das todesmatte Weib in den Wagen neben ihr

Pltck -nehmend, und geboten dem Kutscher: fahre tue Straße nach Omsk,
wshi» Olga, des Petrowitsch Weib, auf Lebenszeit als Aufseherin ins
Hösfpital kommt!
Dahin brauseten Rosse, die Menge schaute ihnen nach bis auch
das letzte Rollen der Räder verschunden war. Also nach Omsk! mur-
melte man. Also eine vergebliche Hoffnung! Keine Hinrichtung! Dies
schöne Schausspiel wird uns also diesmal nicht werden. Schade, schade!
(Forts, folgt.)
Ein Jrrthum öcr Justiz.
(Fortsetzung.)
Wo den Mörder finden, dessen Mitschuldige Margacthe war? Ihr
Mann wurde aufgefordert, Rechenschaft von der Verwendung seiner
Zeit an jenem Tage zu geben. Er behauptete, daß er ganz früh nach
der Stadt gegangen sei. Unverwerfliche Zeugen bestätigten aber, daß
er um neun Uhr noch in B. gewesen, und das Verbrechen war offen-
bar zwischen sieben und acht Uhr begangen worden. Erst um zehn
Uhr hatten andere Personen ihn unterwegs gesehen. Diese Lüge stürzte
ihn in das Verderben; er wurde des Vatermordes angeklagt.
Alle diese Thatsachen wiederholten sich noch eindringlicher vor den
Assisen. Nach jeder Frage an die Zeugen erschwerten neue Aussagen
die Lage meiner Clienten, und die meinige. Alle schilderten Marga-
rethe Dufaut als eine hartherzige, boshafte Frau, die Nch immer be-
sonders schlecht gegen ihre» Schwiegervater betragen habe. Sie hatte
immer mit einem gewissen Widerwillen von ihm gesprochen. Man
halte sie mehrmals die Verwunderung äußern hören, daß die Börse»
hung Leute leben lasse, die sich selbst nutzlos, langweilig und nur An-
dern zur Last da zu sein schienen.
Peter hatte ganz vor Kurzem einen lebhaften Streit mit seinem
Vater gehabt. Der Alte bssaß noch einige Grundstücke, die sein Sohn
zu verkaufen wünschte, um einen Sohn von den Soldaten loszukau-
fen. Der Großvater hatte sich hartnäckig geweigert, in diesen Berkaus
seines Elgenthums zu willigen. Petern war dieses Wider) "
höchsten Grade ungelegen gewesen, denn mit dem Eltiage j Ver-
kaufes würde er nicßt bloS seinen Sohn haben loskausen, fondern auch
noch einige Schulden abtragcn können, die ihn sehr drückten.
Nichts zeigte sich, das der Vertheidigung günstig gewesen wäre.
Vergeblich fragte ich die Zeugen, alle Antworten belasteten Dufaut und
seine Frau. Sie galten wohl für ehrliche, aber auch für habsüchtige
und eigennützige Leute, und geschieht der Batecmocd nicht immer auö
Eigennutz? Selbst ihre Züge machten einen Eindruck auf mich, gegen
den ich mich kaum wehren konnte. Der Mann war träge, scheinbar
jeder menschlichen Rührung unzugänglich. Seine frische blü-
hende Farbe, seine großen vorstehenden Augen, sein Blick, aus dem
nichts als dummes Staunen sprach, stachen seltsam ab bei den Ver-
handlungen, die bei der Untersuchung der Leiche s.ines Vaters began-
nen, und auf einem Schaffote endigen konnten. Er antwortete nur
einsilbig, und stellte keine einzige Frage. Es schien, als sei er nur
da, um eine unangenehme Pflicht zu erfüllen, bei der er kein eben
großes Interesse habe. . . .
Margarethe ihrerseits drückte sich zornig aus; ihre scharfe krelschenoe
Stimme schien die Zeugen zu bedrohen, die Nicht-r herauszufordern,
die Zuhörer zu beschimpfen; ihr von der Zeit mit Runzeln überzogenes,
und durch Krankheit abgemogertes Gesicht hatte trotz der Regelmäßig-
keit etwas Hartes, und fast Abstoßendes; 'hre hohlen grauen Augen,
ihr schielender, boshafter Blick verrietben ein redem Mitleide unzugäng-
liches Herz. Während der langwierigen und beschwerlichen Debatten
schien sie nichts anders ^ fühlen, als Vaß und Räche ge^en die, wel-
che sie des Verbrechens beschuldigte; Alles schien an ihr zusammenzu-
treffen, um sie auzuklagen.
Ich erfüllte nach dem Generaladvokaten, der die Klage aufrecht
hielt, meine schwere Aufgabe. Meine Gründe wirkten offenbar nur
schwach, doch batte man meine Worte, glaube ich, mit thcilnehmcnder
Nachsicht angehöet. Der Präsident sagte mir selbst einige schmeichelhafte
Worte darüber. ^
Man beriech M. Der Gerichtshof zog sich in das Berachungs-
zimmer, die Jury rn das ihr bestimmte Zimmer zurück. ^.^.^vrer
waren offenbar sehr bewegt und gespannt; es bildeten sich uderall
Gruppen. Margarethe Dufaut hatte nach Beendigung der Debatten
gebeten, einen Augenblick in ein Nebenzimmer gebracht zu werden. Ich
blieb erschöpft auf meiner Bank sitzen.
Bald aber meldete man mir, Margarethe Dufaut wünsche mit mir
 
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