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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 261
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#1065

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1059

zu sprechen. Ich begab mich zu ihr und fand sie aufgeregt, zitternd,
mit ganz veränderten Zügen. Thränen schienen über ihr Gesicht geflos-
sen zu sein, das noch bleicher war als gewöhnlich. Der Pfarrer von
B., der den Verhandlungen beigcwohnt hatte, trat bei meinem Ein-
tritte eben aus dem Zimmer heraus.
Ach, redete mich die Angeklagte an, ich bin Ihnen viel Dank schul-
dig. Sie haben sich so viele Mühe gegeben, eine Unglückliche zu retten.
Das war meine Pflicht, antwortete ich mit einiger Verlegenheit;
Sie sind mir keine Verpflichtung schuldig, uud wenn ich Ihnen setzt
noch nützlich sein kann....
Ach, Alles ist vorbei, nicht wahr? Sie werden mich verurtheilen.
Ein Zögern mit der Antwort wäre grausam gewesen.
Warum verzweifeln? sagte ich. Sie behaupteten immer, daß Sie
unschuldig wäre»; die Geschworenen glauben eo vielleicht.
Mir glauben? Mich freisprechcn!
Sie äußerte dabei eine Freude, bei der mir unheimlich wurde.
Ach nein, fuhr sie mit ruhiger Ergebung fort, die ich vorher nicht
an ihr bemerkt hatte; nein, das ist nicht möglich. Gott würde nicht
gerecht sein.
Mich schauderte. Es war dies fast ein Geständniß, und ich fand
keine Wo.te, um sie zurückzuhalten oder zu Weiterem zu ermuthigen.
Ja, sagte sie weiter, ich muß verurtheilt werden, man muß mich
sterben lassen, wie den armen alten Vater. Dies verlangt die Ge-
rechtigkeit. Aber Peter!
Hat er keinen Autheil an dem Verbrechen genommen?
Nein; bei Gott, dessen Barmherzigkeit ich anrufe. er ist unschuldig.
Er liebte und ehrte seinen Vater. Er ihn so schlagen — ein Mal —
zwei Mal — ohne Mitleiden mit seinem Jammer und seinen Thrä-
nen! Ich sehe es noch, wie er sich am Boden wehrte,... ich höre
seine flehentliche Stimme... Ach, ich habe Mein Schicksal verdient.
Aber retten Sie den Unschuldige», denn Peter war nicht dabei, ich
schwöre es Ihnen, Peter nicht.
(Schluß fol,ss.)
D u n r e O.
-s Die Pariser Gerichte wird nächstens ein seltsamer Vorfall be-
schäftigen. Ein bekannter Marquis wurde lange von einem hartnäck-
igen Katarrh gequält, von dem ihn die Aerzte nicchi befreien konnten.
Er wendete sich endlich an einen homöopathischen Arzt, der ihn an ein
Gläschen riechen ließ. Dies half nicht, und das Riechen wurde, vH e
bessern Erfolg, noch zwei Mate wiederholt. Da verließ den Kranken
die Geduld; er wollte sich von dem Homöopathen wieder los machen
und ihn bezahlen, fragte deshalb, was er ihm schuldig sei. Der Arzt
forderte eine so hohe Summe — 300 Franken — daß der Marquis
in Unwillen gcrieth, eine Banknote nahm, sie dem Arzte mit den Wor-
ten unter die Nase hielt: „dg riechen Sie d'can," und sie dann wie-
der kinfchloß. Tnr Arzt hat sich an das Gericht g wendet.
Eine Scene auf Der Eisenbahn.
Dienstag, der ll. October 1842 war für die gute Anna B. eiü recht herber
Tag. Wer kennt Anna B. nicht? In L. kennt sie Jedermann. Sie ist ein schönes,
hochgewachsencs Mädchen von 18—19 Jahren, mit gar hübschen braunen Augen,
seelengut, fromm und freundlich gegen alle Menschen. Jedermann weiß, daß ihre
brave Mutter jahrelang in Heidelberg kränkelte und Anna bei einer reichen Bcr-
wandtin in dem 2 Stunden entfernten Städtchen L. «lS eine Art Gesellschafterin
lebte, von wo sie ihre Mutter unterstützen konnte.
Wie gesagt. Dienstag, der ll. October 1842 war für sie ein recht herber Tag.
Als sie Vormittags um lO UHr das Zimmer räumte, trat ei» Bote von Heidelberg
herein und überbrachtc ihr einen Brief. Darin stand: „Liebes Kind! Ich hghx m
der lctztvergangencn Nacht wieder einen schmerzvolle» Anfall meines Uebels gehabt.
Es wird wohl der letzte gewesen sein, denn ich bin nun sehr schwach und werde wohl
sterben. Wie Gott will, ich habe mich ihm ganz ergeben. Doch möcht ich dich
gerne noch einmal sehen. Komme sogleich und bringe auch den Vetter mit, wenn
cs möglich ist. Solltest du zu spät kommen, so hast du hiemit meinen mütterlichen
Segen. Bleibe fromm und gut, damit du einst so ruhig sterben kannst, wie deine
M u tt er."
Es war ein sehr trauriger Brief. Anna füdlte ihre Kräfte verschwinden, eS
wurde ihr wehe. Die thettnchmende Base aber sprach ihr Trost zu, kleidete die
schmerzlich Weinende, die sich nicht zu helfen wußte, mit eigener Hand an und sag-
te: „Beruhige dich doch, du weißt' ja schon lange, daß cs so kommen mußte und
erwartetest täglich die Trauerbotschaft. Erhole dich, nnv mache dich fertig, cs ist
noch gerade Zeit. Die Eisenbahn kommt um prciviertel auf ll Uhr nach Fried-
«ichsfcld, und dann bist du in einer Viertelstunde in Heidelberg bei der Mutter."
Sie benachrichtigten sogleich den Vetter von dem Traucrfall, und auch er be-
eilte sich mit kein Anzug aufs beste, damit sic die Eisenbahn nicht verfehlten. Sie
begaben sich schleunigst auf den Weg, und das halbe Stündchen bis zum Bahnhof
jn Friedrichsseld wäre wohl schnell zurückgclegt gewesen, hätte die gute Tochter sich
nicht so unendlich beklommen gefühlt. Aber das Herz wollte ihr vor Schluchzen und
Kummer zerspringen, und so eifrig ihre Füße vorwärts wollte», so wenig war ihre

beengte Brust im Stande, eine große Anstrengung zu ertragen. Endlich nahten
sie sich Friedrichsfeld und in nicht großer Entfernung brauste auch der rauchende
Koloß des Eiscnbahnzugos daher. Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren und Anna
nahm alle Kräfte zusammen. Sie eilten so lehr sic immer nur konnten.
Der Eisenbahnzug hielt still, die Thüren öffneten sich, Viele stiegen aus, und
jetzt kainen auch jene Beiden glühend, athemlos und keuchend auf dem Platze an;
sie sehen die Thüren offen, springen in den Waggon, setzen sich einander gegenüber
und ein lautes „Gottlob" steigt tief aus ibren gepreßten Herzen.
In diesem Augenblick tritt der Konducteur vor ocn Waggon.
„Haben Sie eine Karte?"
„„Nein"" antwortet der Vetter „„ich konnte keine mehr lösen, aber hier ist
das Gelb"" und reichte dem Konducteur das Geld hin. Dieser verschmähte es.
„Gehen Sic heraus."
„„Aber ich sitze ja schon hier, ich muß schnell nach Heidelberg.""
„Sie muffen heraus, dort holen Sie eine Karte."
Der gute Vetter springt heraus und mit einem Satz die Treppe hinauf, um
sich eine Karte z» holen.
„Haben Sie eine Karte?"
„„Nein"" antwortet schüchtern Anna B. „„aber hier ist das Geld.""
„Heraus!"
Und er nimmt sie, die zunächst an der Thüre sitzt, unterm Arm, zerrt sie her-
aus und schließt die Waggonthüre ab.
In diesem Momente erscheint der Vetter wieder auf der Treppe, rufend: „daS
Bureau ist ja geschloffen, ich kann keine Billette bekommen." Aber der Konducteur
antwortet ihm kein Wort, wendet ihm verächtlich den Rücken zu, geht nach vorn,
es pfeift und dahin braust der Eisenbahnzug. Glühend sieht der Vetter ihm nach,
aber erbleichend die arme Anna, die zur sterbenden Mutter eilen will.
Sie gehen klagend zurück nach Friedrichsfeld, nehmen ein Chalschen und kom-
men anderthalb Stunden später als der Ciscnbahnzug in Heidelberg an. Die Mut-
ter aber ist ^vvr einer halben Stunde verschieben. Die arme Anna! Sie hätte noch
eine ganze Stunde mit der lieben Mutter reden, noch ihren setzten Segen erhalten
können, hätte der Konducteur sie nicht herzlos aus dem Wagen gerissen!
Und diese Geschichte ist wahr?
Ich weiß es nicht, aber die Umstände, derentwegen ich sie erzählte, sind voll,
kommen wahr, ich bin selbst Augenzeuge gewesen. Waö liegt daran, ob das Mäd-
chen Anna oder Mechtildis hieß; ob sie zu einer sterbenden Mutter oder scheidenden
Schwestcp eilen wollte, und ob der Begleiter ihr Vetter oder Vater war? Aber
wahr ist, daß die Beiden im Moment unsrer Ankunft in Friedrichsseld erhitzt und
athemlos ebenfalls von L. her bei der Fricdrichsfeldcr Station ankamen und sich
mit einem warmen Gotttob! gerade noch schnaufend in den Wagen setzen konnten.
Wahr ist, daß der Kondukteur- der dieses alles sah, zu ihnen trat und von
Wort zu Wort die obcnstehende Unterredung mit ihnen hielt, keine Silbe mehr
und keine weniger; wahr ist auf's Pünktlichste sein ganzes oben beschriebenes Be-
nehmen, daß er, das Geld zurückweisend, zuerst den Herrn mit der List, als könne
derselbe noch ein Billet losen, obschon er die Unmöglichkeit hievon wußte, und dann
das Frauenzimmer ohne weitere Umstände am Arm aus dem Wagen gebracht und
die Thüre darauf geradezu abgeschlossen hat, wahr ist, daß in diesem Augenblick
der Eisenbahnzug voran ging und der Herr beim verschlossenen Bureauschaiter mit
den oben bezeichneten Worten erglühend, daS arme Mädchen aber tief erbleichend
zurückgelaffen, aus dem schon eingenommenen Wagen wieder vertrieben, dastand.
Ja noch mehr ist wahr, der Waggon war von Vornehmen und Geringen, von
Geistlichen und Weltlichen, von Alten und Jungen besetzt, und wahr ist, daß
sämmtlichc Anwesenden nur von einem Gefühle durchdrungen waren, von dem
Gefühle der schmerzlichsten Empörung und im lauten Schrei des Unwillens sich
Lust machten; wahr ist, daß Einer sagte: „eine solche Handlung kann nur ein so
lungensüchtiger Mensch thun: der sich selbst und alle Menschen nicht mag;" wahr ist,
daß ein Anderer äußerte: „daS hätte aus der TaunuScisendahn passtren sollen, der
Mensch wäre Augenblicks aus dem Wagen hinansgeworfcn worden." u. s w.
Ich bin w frei, zwei Fragen zu stellen.
1) Ist cs gesetzlich, daß der Kondukteur also gehandelt hat? darf er Paffagiere,
die schon im Wagen sitzen, in, Fall sic kein Billet mehr lösen konnte» und
keines inehr lösen können, wieder herausjagen? Wenn die Kondukteure hie-
zu berechtigt sind, so handeln sic wenigstens inkonsequent, denn ich habe
schon sehr oft gesehen, daß sie, namentlich in Friedrichsfeld, wenn die
Paffagiere kein Billet hatten, auch das Geld dafür annehmen, ja mir
selbst haben sie es schon abgciiommcn. Und ich höre, daß sie hiezu berech-
tigt und verpflichtet sind, sie hätten hiezu eigene Tabellen. Wenn dies
wahr ist, so bat obiger Kondukteur nicht nur grausam, sondern auch straf-
würdig gehandelt, um so mehr, da jenem Mädchen und dem Herrn wirk-
lich unmöglich war, Billcte zu lösen, denn sic kamen erst im Momente
unsrer Ankunft, wie oben beschrieben, athemlos ebenfalls an, und bei uns-
rer Ankunft stand der Herr Erpeditior schon unten, war das Büreau schon
geschloffen — sie hatten also weder Zeit, noch Gelegenheit, sich Billcte zu
holen, waS Beides der Kondukteur wußte, vor Angen sah.
2) Ich begreife wohl, daß es nicht More werden darf, daß die Passagiere
erst im Wagen bezahlen, statt ihre Bllletc zu lösen; aber eine solche Mode
wird auch niemals entstehen. Ein jeder Passagier beeilt sich gewiß, einige
Minuten vor der Abfahrt auf rem Platze zu sein und sein Billet am Bu-
reau zu nehmen; keiner wird es auf die letzte Minute ankommcn lassen,
und auf die Gefahr, zu spät zu kommen.
Wenn aber unglücklicher Weise ein Passagier dennoch sich verspätet hat,
und ihm, wie jenen beiden keine Zeit mehr bleibt, als eben noch in den
Wagen zu kommen, liegt cs nicht in der Bestimmung der Eisenbahn, im
Interesse des Instituts und in der Humanität der Verwaltung, auch einen
solchen Passagier noch mitzunehmen und ihn seine Taxe im Wagen an den
Kondukteur entrichten zu lassen? Dies kann keine bedeutende Unordnung in
die Verwaltung machen und wird zuverlässig mehr den Beifall des Publi-
kums haben, als solche empörende Austritte, wie der oben erzählte, wo
schon im Wagen sitzende Passagiere wieder herausgejagt und herausgeris-
sen werden. ch
 
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