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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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Beilage zum Mannheimer Morgenblatt No. 156
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0633

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Beilage zum Manuheimce NoegenAall
Ra. 156.

Lanvtagsverhanvlungen.
CarlSruhe, 28. Juni. I6te öffentliche Sitzung der 2. Kammer. (Schluß
der Motion des Abg. Welcher.)
6) Mein sechster Antrag geht auf eine Bitte:
„um Einführung volksinäßiger Friedens- oder Vergleichsbehör-
den zur Verminderung der sich täglich mehrenden, verlängernden und
kostspieliger werdenden, so unendlich verderblichen Prozesse.
Vollends seit der neuen Prozeßordnung und weil ihr mündliches Verfahren von
unfern Richtern nicht begünstigt wird, steigt dieses Uebel noch täglich und hat den
Punkt erreicht, daß für viele besonnene Bürger aller Rechtsschutz für einen Verniö-
genswerth unter 30—50 fl. fast ganz aufgehört hat, indem sic die langen, kostspie-
ligen und doch stets so unsichern Prozesse für dieselben nicht riskiren mögen. Schon
ans dem Landtage 1837 begründete ich defihalb einen Antrag auf solche, nach den
höchst erfolgreichen Vorgängen in vielen andern Ländern, durch das Vertrauen der
Bürger zu erwählende Vergleichsbehördcn. Die Commilsion der zweiten Kammer,
die erste Kan,,»er, Alle traten mit einstimmigem Beifall bei, und eine Adresse ge.
langte in Folge so seltener Einstimmigkeit an den Thron. Auch in dem Landchatte
man, wie Kammermitglieder und Petitionen versicherten, diesen Antrag mit Freu-
den begrüßt. Selbst der Hr. Präsident des Justizministeriums mußte die Einriss,-
tung als wohlthätig anerkennen. Unkostspielig, ungefährlich in jeglicher Weise war
sie dazu. Aber bei der mehr als stoischen Unempfindlichkeit, mit welcher in der Re-
actionSzeit die Herren Minister oft die Anträge der Kammern auf Erleichterung des
Volks oder aut Verbesserungen seiner Einrichtungen unbeachtet zur Seite schoben,
düeb auch dieser Antrag beider Kamniern völlig unbeachtet. Es half auch nichts,
lnchrö, daß auf dem nächsten Landtage viele Petitionen, vaß der Gemeinderath der
Stadt Müllheim, daß die Gemcinderäthe von 21 Gemeinden des Amts Mültheim
um die Einführung der Einrichtung als um eine dringende große Wohtthat baten,
daß die zweite Kammer, jetzt so wie auch auf späteren Landtagen einstimmig ähre
früher» Wünsche wiederholte. Nicht einmal eines ernsthafte» Grundes, warum diese
einstimmigsten, gerechtesten, billigsten Wünsche des Landes und beider Kammern so
gänzlich unbeachtet blieben, würdigte uns bei jener stoische» Unempfindlichkeit der
Herr Chef des Justizministeriums. Dennoch wiederhole ich jetzt, mit Beziehung auf
die früheren Ausführungen, die der Artikel Friedensgerichte im Staatsle-
rikon ergänzt: Den früheren Antrag.

7) Mein siebenter Antrag in Beziehung auf die Civilverwaltnng endlich geht
dahin: / .
„daß durch Einführung einer zweckmäßigen volksmäßigen Landraths- oder'
KrcisrathSeinrichtung, dem Volke, ähnlich, jedoch in größerem Maße als
dnrch die Würtembergischcn Oberamtsverfammlungen, oder die Preußischen
und Baierischen Kreis- und LanbrathSeinrichtnugen, eine gewisse Theilnahme
in Beziehung auf die Provinzialversammlung, ein Recht zur Berathung und
Bewilligung provinzieller Einrichtungen, Straßen, Lehr-, Arbeits- und ähn-
licher Anstalten, und ein Recht der Bitte, Beschwerde und Controle in Be-
ziehung auf die amtliche Provinzialvcrwaltung eingeräumt werde."
Auch dieser Antrag wird nach dem Bisherigen keiner weitern Begründung be-
dürfen. Zu oft ist in dein Saale der 2. Kammer, und in vielfachen Beziehungen,
in Beziehung namentlich auch auf die schwierige» Angelegenheiten des Straßenbaues
und anderer Verwilligungen aus der Staatskasse für provinzielle Zwecke, der Wunsch
nach einer solchen Einrichtung ausgesprochen und begründet worden. Ein zu na-
türliches, nothwendiges und volksmäßiges Mittelglied zwischen der Gemeinde und
der Ständeversammlung bildet eine solche Behörde, wie fast alle konstitutionellen
Staaten unter verschiedenen Namen sie haben. Zu unnatürlich und verderblich ist's,
wenn die Verwaltung der wichtigsten Interessen und Rechte der Bürger lediglich von
entfernt wohnendcn studirten Regierungsbeamten in verschlossenen Stuben berathen
und entschieden werden, und die übrigen Bürger nur Passiv bleiben. Auch scheinen
die Hanptgrnndsätze über diese Einrichtung einfach, und eine lehrreiche Abhandlung
eenes erfahrnen Staatsmanns im Artikel Provinzialständc im «taatslcxi-
ko n diesexgx „och besonders ins Klare gesetzt. Diese übrigens wie alle übrigen
^"sslchtnngen würden ihre Hauptlebenskraft und ihren Schlußstein in einer freien
pouriiHe,, Prxss, finden; doch freue ich mich herzlich. Ihnen versprechen zu dürfen,
daß oer Mg. Sander eilien besondcrn Antrag auf dieses große .Hauptrecht begrün-
« wird Ihnen wohl auch Nachweisen, daß auch dieses politische Haupt-
recht, dieses Aug und Ohr für alle gesellschaftlichen Bestrebungen, so wie es vorzüg-
lich das reiche Mawtfizc Britannien veranschaulicht, neben der Förderung der mora-
lischen, gelingen und polijjschb» Interessen die größten materiellen Borthcile „fit fiH
bringt, viele theure Controlen erspart, und meist zehnmal wirksamer gibt, zahllose
Verletzungen verhindert, und materielle, industrielle und komerzielle Entwickelungen
fördert. Doch vielleicht über de« einzigen Punkt fordern Sie von mir, rücksichtlich
aller von mir hier beantragten Verbesserungen der Civitverwaltung noch einen Be-
weis, nämlich darüber, daß ste zugleich ökonomisch vortheilhaft sind, oder die Lasten
der Bürger erleichtern wurden. Nückstchtfich der Beschränkung der Anstellungen, Ge-
halte und Pensionen indessen, welche alle Anträge, und zunächst die beiden ersten
Anträge über den Normaletat und das Dteneredict zum Gegenstand haben, ist die
^ache klar. Klar ist insbesondere auch der Satz: „Je weniger Besoldungen, um
wsuiger Pensionen"! Auch das öffentliche und mündliche Criminalverfahren, und
DAs?ssrg!-richt verkürzen die Prozesse und Verhaftungen, reduciren sie von Jah-
- nate und Wochen. Vor kaum 14 Tagen lasen wir den Mordanfak auf
5'" von England. Lin wichtiger Criminalprozeß, vollends Hochverraths-
^ u> Deutschland mit all' seinen furchtbaren Apparaten und Gefolge
2 bis 8 Jahre. Drei bis 8 Jahre oft mit geheimer Hast und furchtbaren Jnguisi-

tionstorturen. In England branchle es keine 14 Tage, so hatte nach sorgfältigem
Vorverfahren und bei.aller Freiheit der Vertheidigung, ja ohne geheime Haft, her
Verbrecher vom großen Schwurgericht sein Urthcil über Versetzung in Anklagestand
und vom kleinen Schwurgericht sein Todesurtheil. Sv werden neben den furchtba-
ren Lasten und Leiden der Angeschuldigtcn, vollends der schuldlos Verhafteten, große
Kosten für vermehrtes Gcrichtspersonal, Gefängnisse, Prozeßverfahren erspart.
Die Ersparnisse der Bürger an Prozessen und der Staatskasse an Nichterperso-
nal durch zweckmäßige Vergleichsgerichte sind ebenfalls klar. Die Befreiung der
Administrativbehördcn von der Adniinistrativjustiz, die Ergänzung der Verwaltung
und Verwaltmigscontrolc durch die Landräthe würden das Adnfinistrativpcrsonalc zu
vermindern erlauben. Die durch Mitwirkung des Volks, und durch Oeffentlichkeit
vermehrte Controle würden eine wohlthätige, Zeit und Kosten ersparende Verkür-
zung der Geschäfte erlaube». Sic würden insbesondere erlauben, so wie die Justiz-
appellationen, so auch die Berwaltungsrecnrsc, allein erst auf zwei Instanzen zu
beschränken. So würde es zugleich bei Minderung der Geschäfte, wie der Lasten
und Kosten, für die Bürger möglich sein, unsere vier Kreisregicrungen, die jetzt
ein Beamtenheer von 82 Dienern bilden und jährlich 156,600 fl. kosten, unter die
Hälfte, vielleicht bei jeder Negierung ans einen Director, zwei Räthe und die an-
gemessenen Kanzleipersoncn zu rcoufiren. 1831 kündigte ich eine Motion aus Auf-
hebung dieser so theuercn und schwerfälligen Negieriingskollegien an und hatte die
Freude alsbald zwei derselben fallen zu sehen. Eine weitere Beschränkung würde
heute noch heilsam icin. Ein Mißstaud bei diesen achtbaren Behörden wird cs stets
bleiben, daß ihre Geschäfte zum Theii in einem thcuern verzögernden Briestragen
bestehen, in einem Einberichten über die Berichte der Unterämter, ohne daß die Re-
gierungsherren selbst hören und sehen, und so, daß das Ministerium auch ohne
ihre Dazwischcnkunft viele Sachen, die doch zu ihm gelangen, auf Vortrag der
selbst hörenden und sehenden llnterbeamten unv der Parteien wohlfeiler und kürzer
entscheiden konnte. Nur endlich in Beziehung auf die Trennung der Administration
von der Justiz — da hat man die Freunde derselben häufig durch eine angebliche
große Kostenvermchrung schrecken wollen. Dabei hatte man denn wiederum nur
allzu complicirte neue Bcamteneinrichtungen im Sinne. Unser Nachbarland Wür-
temberg aber liefert uns ein großentheils musterhaftes Beispiel, wie diese Trennung
und die neue Einrichtung der Justiz- und Administrativämtcr nicht blos höchst heil-
sam und ungleich besser, sondern wohlfeiler als unsere jetzige verkehrte gemischte
Einrichtung bei uns bestehen könnte. Würtembcrg hat 64 Obcrämtcr und in jed-m
Oberamt völlig getrennt eine« Obcramtmann für Polizei und Verwaltung und
einen Oberanitsrtchicr für die Justiz. Das Obcrauitsgericht aber bildet ein voll-
ständiges richterliches Collegium, bestehend aus dem Obcramtsrichter, einem
selbstständigen rechtsgelehrten Aktuar und aus drei Bürgern mit entscheiden-
den Stimmen bei der collegialen richterlichen Entscheidung. Diese Einrichtung hat
sich nun seit vielen Jahren nach dem Urtheil des Landes, der Regierung und der
Stände so vortrefflich praktisch bewährt, daß noch im vorletzten Landtag die zwei
Kammern und die Regierung die Competenz dieser Gerichte bedeutend und bis auf
zweijährige Freiheitsstrafe in Criminalsachen erweiterte. Und nun vergleiche man
einmal mit einem solchen würtembergischcn ein badisches Tribunal erster Instanz,
ein badisches Tribunal, vielleicht bestehend aus einem einzigen, unerfahrenen, ab-
hängigen, jeden Augenblick willkührlich entlaßbarcn snngen Rechtspraktikanten ohne
selbstständigen Aktuar. Wird inan lieber ihm und seinem Protokolle jahrelange ge-
heime Verhaftung und Inquisition, wird man ihm lieber Freiheit, Ehre und Leben,
und in Civilprozessen sein Vermögen anvertrauen — oder lieber dem stets collegia-
lisch vereinten würtembcrgischen Gerichtshof? Schon die erste Bedingung der Würde
für so mächtige richterliche Funktionen, die man stets für Attribute höheren, wenig-
stens erfahrenen Alters hielt, ist hier so verletzt, daß kein Ausländer solche Einrich-
tungen wie bei uns auch nur begreifen kann.
Ein ehrbarer Schweizer, der neulich vor einem badischen Gerichte sein Recht
vertreten sollte, trat in die Amtsstube, blieb aber harrend still, und als jbn ein
solcher junger Rechtspraktikant zur Vornahme seines Rechtsgeschäfts auffordcrte,
fragte er erstaunt: ja, wo sind denn die Herren Richter? Und nun: Diese würtem-
bergische Einrichtung einer wohtgetrennten und wohl eingerichteten Justiz und Adim-
nistration könnten wir nach der Vergleichung der neuesten würtembergischcn und ba-
dischen Budgets in Baden habe», könnten wir längst haben, nicht etwa mit einer
großen Kostenvermchrung — »ei», um beinahe 100,000 fl. jährlich wohlfeiler! Wür-
temberg, welches in Bevölkerung und Flächenrau»! ein volles Viertheil größer
ist als Baden, hat nur 64 Obcrämtcr mit 128 Beamten, mit einer Besoldung von
l79,200 fl., während Baden 86 Aemter bat mit 170 Beamten, welche ohne die Ak-
tuare und Rcchispraktikanten 229,000 fl. kosten. Zieht man nun von der würtcm-
bergischen Summe ein Viertel mit 44,550 fl. ab, so bleiben 134,760, also 94,360
weniger als unsere jetzige Einrichtung. Die würtembergischcn Aktuare, deren nnr
einer bei jedem Oberamt und Oberamtsgcricht ist, jeder mit 500 fl., werden noch
nicht so viel'kosten, als unsere Aktuare und Rcchispraktikanten. Meine Herren, ich
empfehle Ihnen meine sämmtliche Anträge auf eine volksmäßigcre, constltu-
toncllcre, mehr sicherende Militär- und Civitverwaltung Meine Vor-
schläge fördern die allerwichtigsten Interessen des Volks, die Volksmäßigkeit und Frei-
heit statt der Kastenherrschgst, Wehrhaftigkeit und Sicherheit des Vaterlandes, gute
Justiz und gute Verwaltung. Sie bezwecken große Ersparnisse da, wo cs gilt, da
wo gerade unsere größten Ausgaben sind: Militär, Besoldungen und Pensionen.
Diese Vorschläge sind nicht unpraktisch, sondern vom Land, von den Kammern, von
der Regierung seit zehn und zwanzig Jahren als heilsam und nothwendig anerkannt.
Sie sind sämmtltch bereits in vielen Staaten verwirklicht, nicht bloS bei den freien
europäischen Nationen, sondern sämmtlich auch in deutschen Staaten. Und wo sie
 
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