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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 206
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7<o. 206.


Donnerstag den i. Septbn

1842.

LandtaqsverhKnstlungcn.
CarlSrnbe, <9. Aug. 41. öffentl. Sitzung der r. Kammer. Fortsetzung 1
Schn aff. Der Abg. Gottschalk hat vorhin bedauert, daß die Hrn. Minister
nicht auf ihren, Platze sind, da es nun nicht möglich sei, ihnen freundlich und brü-
derlich die Hand zu reichem Der Hr. Abgeordnete der zuletzt sprach, hat den Com-
»icntar zu dieser freundlichen und brüderlichen Einladung und damit auch die Gründe
initgetdeilt, warum die Hrn. Minister nicht auf ihrem Platze sind. Die Hrn. Mi-
nister sprechen gern deutsch. Heute ist schon von der deutschen Sprache die Rede
gewesen, und es hören jene Herren auch gerne die deutsche Sprache; allein es scheint
daß sie das Frcsco-dentsch bis jetzt nicht begriffen haben, und dies der Grund ist,
warum sie beute nicht kamen. Ich bedauere es aus mehr als einer Rücksicht, daß
die Herren Minister nicht da sind. Insbesondere bedauere ich, daß jener hart an-
gegriffene Minister nicht anwesend ist, weil es ihm so nicht möglich ist, sofort auf
die schweren Angriffe dcS Abg. Weicker antworten zu können. Der Adg. Hecker hat
vorhin auch solche freundliche Worte gesprochen, die als Einladung für die Mini-
ster gelten konnten, auf ihrem Platze zu erscheinen, indem er sagte, wir haben sie
vorgcfordert, warum find sie nicht da?
Ich gehe nun zur Sacke selbst über. Wahlumtricbe, Wahlbcdcrrschnng, Wahl,
venalschnng waren die Schlagwortc der Convcrsation wahrend der letzten sechs
Monate an allen Enden und Orten des Großhcrzogthums. Wer hat
Wahlumtricbe, gemacht, wer hat die Wahle» beherrscht und verfälscht? Das wurde
durch und durch deklinirt und konjugirt. Ich will von den Wahlvcrfälschungen nicht
reden, denn es sind mir keine solche bekannt. Ich will auch die Wahlbeherrschun-
gen nicht durchgehen, weil ich nicht aufregen, sondern versöhnen will. Aber einige
Worte erlaube ich mir rücksichtlich der Wahlunitriebe, worunter ich einen erlaubten
Einfluß auf die Wahlen verstehe Ich spreche der Regierung vor Allem aber das
Recht zu, daß sie ans die Wahle» einen gesetzmäßigen Einflug üben könne. Was
will die Negierung? beantworten sie diese Frage unbefangen. Unsere jetzige Re-
gierung will wahrlich nicht anderes, als die Aufrechtung und Handhabung der Ver-
fassung in allen ihren Bestimmungen und in allen Richtungen nach oben wie nach
unten. Die Negierung will die Handhabung deS geordneten Staatsspstems, wie
cs bei uns besteht, Mid des geordneten Staatshaushalts, sie will eine gewissenhafte
treue Verwaltung der StaatSgeldcr. Die Regierung Win dem Lande alle lene wohl-
tbätigen Institutionen zilkommen lassen, welche die Zeit gebietet. Allein sic geht
mit Vorsicht zu Werk und berücksichtigt Verhältnisse und Umstande. Die Regierung
rlt cmo dem eons rvativen System erbeben. Was wollen dagegen die Männer der
Deweguna ^ Sne wollen nn Ganzen nichts anderes, als was die Regierung will.
Ihnen ist die Verfassung vor Allein heilig; allein sic geben einzelnen Bestimmun-
gen derselben eine Interpretation, wie sie eben gerade mit ihren Gesinnungen har-
monirt. Sie wollen besonders auch, daß die Institutionen, die sie für wohlthatig
und zeitgemäß erkennen, urplötzlich ins lieben treten und kümmern sich nicht um
die Verhältnisse; sic sehen weder rechts »och links, sonv rn gehen gerade ans ihrem
Ziel zu. Nehmen Sie an, die Pallästc der Ministerien rer Justiz, deS Innern,
der Finanzen, dcS Kriegs und der auswärtigen Angelegenheiten werden mit Män-
nern der Bewegung besetzt. Fünf Minister von der Bewegungspartci regieren mit
kräftiger Hand den staatowagcn. Nun stehen die Wahlen bevor. Die konserva-
tive Partei wendet alles auf, um Leute von ihrer Art in die Kammer zu bringen,
weil sic glaubt, der Staatüwagcn eile zu schnell dahin, cs sei Gefahr vorhanden,
daß am Ende die Minister die Zügel verlieren, die Rosse zu unbändig werden, der
Wagen ans dem Geleise komme, Umstürze und Unglück entstehe. Wenn nun vol-
lends die Männer der conservativen Partei zu unerlaubten Mitteln schreiten, um
ihren Wahleinstuß geltend zu machen, wenn sie Verdächtigungen auS'treueu uno
etwa sagin würden: »hütet euch, Männer der BcwcgungSpartei in die Kammer zu
Wahle», denn das Ministerium geht damit um, die Regierungsform zu andern,
StaatSgctder zu verschleudern und ungeheuere Steuern zu erheben.« Werden sie
nicht zunächst au ihre Freunde sich wenden, und die StaatSdicner als ihre Freunde
anerkenne»? das muffen Sie gewiß zugebe». Wenn Sie aber einem Ministerium
von der Bewegungspartei einen Einfluß auf die Wahlen zugestchen, so muffen Sie
auch »ntcrericttS dcr^eciiscrvatisen Partei, wenn diese au: Ruder ist, einen solchen
E'umuü gestatten, so rst es überall in der Welt, wo Nepräsentativ-Berfaffungen
bestehen^ Wenn auch der Abg. Welker dem Abg. Böhme crwiedertc, er habe seine
staatsrechtliche Theorie über diese Materie in keinem Handbuch gelesen, so mag dieS
sein; allein unsere Praxis ist dafür und unsere Staatsverfassung nicht dagegen.
Dies führt nnch nun z>, dem Schluß, das der Einfluß, welchen sich die Regierung
auf die Wahlen erlaubt hat, an und für sich nicht ungesetzlich und nicht vcrfafsungs-
w'.erig ist. Die Art und Weise, wie cs geschehen ist, die Erlassung, der Reskripte
kann uian mißbilligen!, aber nichts gesetzwidriges darin finden und man kann also
auch nicht z» dem Schluß kommen zu dem die Kommission insbesondere kommt.
Der Herr Antragsteller verlangt, die Kammer solle, eine Mißbilligung förmlich aus-
sprcchen. Er hat aber die Sache noch etwas klarer dargestellt, indem er sagt, die
Kammer soll zugleich als Kläger und Partei aufrreten, und damit sie des Urtheils-
lpruchs gewiß ist, soll sie auch zugleich das Erkenntniß geben; sie soll jedoch dieses
^'^ffainiß in ihr Protokoll legen, nicht in einer Form wie sie die Verfassung vor-
Kommiffionsbcricht behandelt die Sache etwas zarter. Er stellt den
Antrag so sanft, so mild, süß und weich hin, daß man sich dazu hingezogen suhlt,
indem man Wunder denkt, mit welch zarter Rücksicht man die Herrn Minisicr noch

betäubet! habe. Zergliedert man aber den Antrag genau, so findet man darin eine
Straferkenntniß und die Ueberzeugung ausgesprochen, was gerade das Abentbeucr-
liche ist, nämlich die Ueberzeugung, die eine Mehrheit nnch für die Minorität auS-
spricht. Dies habe ich auch noch in keinem staatsrechtlichen Handbuch gelesen. Diese
Ueberzeugung soll die sein, daß die Herrn Minister die verfassungsmäßige Wahl-
freiheit beeinträchtigt, damit also die Ueberzeugung, daß sic die Verfassung verletzt
haben; ferner die Ueberzeugung, daß sie gegen die Grundsätze einer guten und wei-
sen Staatsverwaltung gehandelt haben, worin die weitere Ueberzeugung liegt, daß
sie unfähig seien zu regieren; denn wer die ersten Grundsätze der Staasweisbeit
aus den Augen läßt, ist unfähig z» regieren. Ich will damit nur Nachweisen, wie
zart und mild dieser Antrag ist. Es beißt ferner, die Minister hätten eine Demo-
ralisation über das ganze Land gebracht; allen Staatsdienern das Vertrauen der
Staatsangehörigen entzogen, und letzteren die Meinung beigebracht, daß die StaatS-
dicner der Staätsverfaffung nicht mehr treu und ihre Gesetzeslicbc verschwunden sei.
Dieß sind solche Kleinigkeiten, die in ganz zarter Form im KommiffionSantrag Vor-
kommen.
Zu einem solchen Antrag könnte ich nimmermehr stimmen. Ja eS können
selbst Dieienigen nicht dafür stimmen, die wirklich die Ueberzeugung in sich tragen,
daß die Herren Minister mit den Wahlreskripten etwas Verfassungswidriges gethan
haben. Diese müssen den Weg «»schlagen, den die Verfassung verschreibt, nämlich
eine Vorstellung, oder, wenn sic schärfer auflretcn wollen, eine Beschwerde gegen
die Minister an den Großherzog richten. Es muß dies in der Form einer Adresse
geschehen, die an die erste Kammer geht, und wenn diese ihr beitritt, so kann sie
vor dem Throne des Großhcrzogs nicdcrgelegt werden. Scheuen sie diesen Weg
und glauben Sie, die Adresse werde in der ersten Kammer keine Billigung erhalten,
so ist dies noch kein Grund von der verfassungsmäßige» Bahn abzilwcichen.
(Fortsetzung folgt.)
Carlsruhe, 2). August. 43. öffentliche Sitzung der zweiten Kammer. (Forti.)
Basscrmann fahrt fort: Ich halte aiich den Zweck, den er sich vorletzt,
nämlich Läuterung des JudenthumS vom veralteten RabviniSmuS, für einen löbli-
chen, o-schon ich der Meinung bin, daß eine solche Reform am besten dann erfolgt,
wenn man nicht, uno am wenigste» von Seite Andersgläubiger dazu auffordcrt.
Aber ich kann dem Berichterstatter nimmermehr glaupen/daß rer Weg, den er vor-
schlägt, der rechte sei; ja ich glaube, daß nicht? mehr geeignet wäre, diese Reform
zu verhindern, als gerade die Annahme seiner Vorschläge. Was schlägt er vor?
Er schlägt vor, auf die religiöse und sittliche Reform einen weltlichen Preis zu se-
tzen. Ja, so ist'SI obschon er sich dagegen verwahrt. Denn was Anderes sagt die
Stelle: »Wir sagen iiicht, thut ihr das, so soll euch das verliehen werden, sondern
wir sagen nur, so sehen wir w«ter keinen Grand, warum euch das, was ihr be-
gehrt, versagt bleiben sollte." Der Berichterstatter mag dabei die Absicht nicht ge-
habt haben, aber der Erfolg wäre gewiß der, daß sich die Gewissenlosen unier den
Juden von ocr alten Gemeinde lossagen, um den mit der staatsbürgerlichen Eman-
cipation verbundene« Vortheil zu erhalten, während die Edlere» unter den Inden,
wenn ihre Ueberzeugung sie auch noch so sehr über rabbioische Gebote hinwegsetztc,
doch schon Ehrenhalber gezwungen waren, den Eintritt in diese neue Gemeinde zu
verschmähen, um nicht vor ihren Glaubensgenossen als Verkäufer dis Glaubens
ihrer Baker zu erscheinen. Wir würden somit gerade die Unwürdigen cmancipiren.
Auch läßt der Berichterstatter sie selbst sagen: »Würden wir nicht, w.nn wir dies
tdatcn, vor aller Welt als die verächtlichsten dastehen?« Wir würden aber ferner,
eurem wir zu einem solchen feierlichen Lossagen aufforrertcn, den stillen aber mäch-
tigen Prozeß der veredelnden Reform, in welchem das Iudetilhum setzt begriffen ist,
auf das Ungeschickteste stören. In solchen geistigen Ucbergangen kann nur der Geist
wirken. Cr uno er allein muß den Durchbruch zum Licht bewirken; er mul der
Führer sein. Wo aber materieller Bortheil damit vermengt wird, da sicht die
Menge in dem.Reformator nicht mehr den Panicrtrager eines bessern Glaubens,
sie folgt ihm nicht und die Knospe der Aufklärung verwelkt, noch che sie sich zur
Blüthe entfaltet. So wird es sein, denn so war cs immer Nie hing ein Volk
fester an feinen religiösen Gebräuchen, als wenn mit deren Bekeantniß keine äuße-
ren Vortheile verbunden waren; ja, nie fester, als wenn es wegen derselben ver-
folgt worden. Es haben'S die Hugenotten in Frankreich, die Katholiken in Eng-
land, cs Haben'S die Christen in der Türkei, es Haben'S die Juden in Deutschland
bewiesen. Hätte inan die Juden vor hundert Jahren de» Christen gleichgestellt, ick'
behaupte, sie wären längst nicht mehr die Juden von jetzt. In dem Maße, al»
inan anfgchört bat äußere Nachtheile mit dem Bekcnntniß ihrer Religion zu ver-
binden, 'in dem Maße bat die Aufklärung unter den Juden zugcnonime». Heben
wir allen äußern Unterschied auf, und die geistige Entwicklung wird sich ganz voll-
enden. Das fühlt auch der Thcil der Juden, der noch am alten hängtf und d>r
Berichterstatter sagt ja selbst, »sie würden fürchten, daß solches zu einer Reform
führe, bei der sich ihr religiös-gesellschaftlicher Zustand auf die Dauer nicht würde
erhalten können.« Ja, das ist's! Diese Gleichstellung mit den Christen ist der
größte Feind des alten RabbiniSmus. Der Berichterstatter hat hier einen liefen,
richtigen Blick gethan. Wer diese» Eingang gelesen, erwartet nun sicher, daß der
Berichterstatter, aus dieser Erkenntniß fortbaucnr, gerade die staatsbürgerliche Eman-
cipation beantragen werde, um die geistige Emancipation zu vervollständigen.
Aber dem iß nicht so.
 
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