Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Morgenblatt — 1842

DOI chapter:
No. 168
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0681

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Dienstag den 19. Juli




X„. 168.


Herzog von Orleans.
Paris, 14. Juli.
Unter allen Journalen geben die ,-Dcbats» den umständlichsten und treuesten
Bericht über die Katastrophe des gestrigen Tages. Ihrer Schilderung sind nachste-
hende Details entnommen. Auf die gestrige Mittagsstunde war die Abreise des
Herzogs von Orleans nach St. Omer bestimmt, wo Se. königl. Hoheit mehrere der
für daS Opcrations-Arincecorps an der Marne bestimmten Regimenter zu rnspici-
ren beabsichtigte. Um 1t Uhr fuhr der Prinz vom Pavillon Marfan ab, um sich
nach Neuillp zu begeben und von dem König, der Königin und der königl. Familie
Abschied zu nehmen. Der Wagen, dessen sich der Herzog zu dieser Fahrt bediente,
war ein vierrädriges Cabriolet, in Form einer Calesche, mit zwei Pferden bespannt.
Se. königliche Hoheit befand sich allein im Wagen. Auf der Höhe der Port Mail-'
lot wurde das Pferd, auf welchem der Postillon säst, scheu und ging durch; die
Pferde rascten in der Richtung des Chemin de la Revolte hin. Der Prinz trat,
als er sah, daß der Postillon nicht mehr im Stande war, die Pferde zu bewälti-
gen, auf den fast bis zur Erde reichenden Fußtritt, sprang hinaus, blieb aber
wahrscheinlich (er war in Uniform) mit den Sporen hängen und stürzte. Der
Sturz war fürchterlich; der Prinz blieb auf der stelle, wo er auf Kopf und Brust
nicdcrgestürzt war, bewußtlos liegen. Leute eilten herbei und trugen de» Prinzen
in das zunächst gelegene, einem Krämer gehörige Haus. Unterdessen hatte der Po-
stillon die Pferde gebändigt und kehrte zurück, sich wieder zur Verfügung des Prin-
zen zu stellen. Dieser aber lag bewußtlos auf einem Bette in einem Zimmer des
Erdgeschosses. Ein Aderlaß, den ein schleunigst herbeigeholtcr Arzt vornahm, brachte
keine Besserung. Inzwischen war die Schreckcnsknnde nach Neuillp gelangt. Die
Königin eilte schleunigst zu Fuß fort, ebenso der König. Die Wagen, die ihnen
mit de» Prinzessinnen Adelaide und Clemcntine folgten, holten sie indeß bald ein
und brachten sie nach dem Trauerhaus. Der Herzog gab fast kein Lebenszeichen;
unbeschreiblich ist der Schmerz, der Ihre MMaj. und Ihre kkön. HHoheit bei einem
solchen Anblick ergriff. Mittlerweile waren auch der Herzog von Aumale, von
Eourbevoie, der Herzog von Montpensier, von Vincennes, unv Dr. Pasquier, der
erste Chirurg des Kronprinzen, herbeigeeilt. Dr. Pasquier erklärte, nachdem er
Len Zustand des Verwundeten untersucht, dessen Lag- für höchst bedenklich. Bon
Minute z,t Mimirr verMMimM fftch vas Hebel. Sämmtliche Minister, Marschail
Gerard, der Kanzler von Frankreich, der Polizeipräfect, Gcncrallieutenant Pajol,
General Aupick, die Offiziere des Hauses des Königs und der Prinzen fanden sich
rn dem Hause ein, wo der Prinz im Sterben lag, und das mit Wachen umstellt
wurde. Der Prinz war noch keinen Augenblick zu sich gekommen; nur ein einziges
Mal hatten einige unznsammenhängende deutsche Worte, die er auststteß, einen
Hoffnungsschimmer geweckt, der aber, eben so schnell, wie er entstanden, wieder
schwand. Um 2 Uhr mehrte sich rasch die Gefahr, in welcher der Verwundete
schivebte. Der König ließ die Herzogin von Nemours, welche auf seinen Wunsch
in Neuillp zurückgeblilbc» war, rufen; sie erschien einen Augenblick darauf mit
mehrerer ihrer Hofdamen. Keine Feder vermag den herzzerreißenden Anblick zu
schildern, den das Zimmer, in welchem der Kronprinz lag, in diesem Augenblicke
darbot» Die Königin und die Prinzessinnen knickten weinend und betend am Lager
des sterbenden Prinzen; die Prinzen schluchzten; der König, a> stecht stehend, unbe-
weglich, die Augen auf das bleiche Gesicht seines Sohnes starr hingerichtct, folgte,
in schmerzlichem Schweigen, mit dem Blick den Fortschritten des UebeiS. Der
Pfarrer von Neuillp und sein Clerus, die auf Befehl des Königs gekommen, wa-
ren zugegen. Und uni das Haus her wuchs mit jeder Minute die Volksmenge mehr
an, überall Bestürzung und Trauer. Indessen, unter den energischen Bemühungen
der Acrzte, verlängert sich der Todeskampf des Prinzen; .Vas Leben schwand iiur
langsam; heftig war der Kampf der Jugendkraft gegen den nahenden unerbittlichen
Tod. Einen Augenblick war der Athen» des Sterbenden freier, der Puls fühlbarer;
und da verzweifelnde Herzen sich an die.geringste Hoffnung festklammcrn, fing man
wieder zu hoffen an. Ein Augenblick Ruhe unterbrach die ganze Traucrsccne.
A ffin bald entschwand wieder dieser Hoffnungsstrahl Um 4 Uhr war der Kron-
b^uz "ne Beute aller und der unzwcideutigstcn Spmptome eines naben Endes.
U>» Uhr hauchte er seinen Geist ans, gesegnet von den Dienern der Kirche, in
den Urm.cn des Königs, seines Vaters, welcher seine Lippen auf die kalte Stirne
dcS HlMchcidendcn drückte, »iitcr den Thränen seiner unglücklichen Mutter, unter
dem Schmerzensschrei seiner ganzen Familie. Als der Prinz verschied, zog der Kö-
nig hie Königin in ei» anstoßendes Gen,ach, wo die Minister, die Marschälle und
die übrigen, welchen der Zutritt gestattet worden, sich befanden. Alles drängte sich
""inend um die Königin.; sie aber sprach, in Thränen zerfließend: »Welches Un-
stunsere Familie! aber welches schreckliche Unglück auch für Frankreich!"
Der König näherte sich Marschall Gerard, der weinend dastand, und drückte ihm
die Hand mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke väterlichen Schmerzes, hoher Er-
gebung und wahrhaft königlicher Festigkeit.
.. Die Leiche des Kronprinzen wurde auf eine Bahre gelegt und mit einem wöl-
ben Tuche überdeckt. Die Königin weigerte sich in ihren Wagen zu steigen; sie
erklärte den Körper ihres Sohnes bis in die Capelle des Palastes von Neuillp bc-
stikitrn zu wollen, wo er nach ihrem Wunsche ausgestellt werden sollte. Eine Cvm-
pagMe tzftten des 17-^leichten Infanterieregiments umgab den Trauerzug, der sich
um. a Uhr nach dem Schlosse von Nenxlli bewegte; viele von den Kriegern wein-
ten, alle erinnerten sich, mit welch glänzender Tapferkeit der Herzog von Orleans


ihnen vorgeleuchtet, als er sie in dem Desile der Höllenthore und ans den Höhen
von Muzäia gegen den Feind geführt. Vor der Bahre, die von vier Unteroffizie-
re» getragen worden, ging Gcnerallicntenant Athalin; dicht hinter ihr folgten zu
Fuß der König, die Königin, die Prinzessin Adelaide, die Herzogin von Nemours,
die Prinzessin Clemcntine, der Herzog von Aumale, der Herzog von.Montpensier;
dann kamen Warschau Soult, die Minister, Marschall Gerard, die Generaloffiziere,
die Offiziere deS Königs und der Prinzen und die ganze Menge, welche das Traucr-
Erreigniß versammelt hatte. Ihre MMai. und Ihre kk. HHoh. geleiteten die sterb-
lichen Nebcrreste des Hingeschiedenen bis in die Capelle des Schlosses, knieten heiß
betend am Altäre nieder und ließen hier dann die thcuere Leiche unter dem Schutze
Gottes zurück. Um 9 Uhr reisten die Her;ogin von Nemours und die Prinzessin
Clemcntine in Begleitung einer Hofdame und des Generalliciitenants Rumignp nach
Plombiörcü ab, uin der Herzogin von Orleans Schreiben des Königs und der Kö-
nigin zu Überbringer!.
Gestern Abend waren die Minister bei dem Conscilpräsidcnten Marschall Soult
versammelt. Man beschäftigte sich mit der Regentschaftssrage; heute soll Hr. Mar,
tin du Nord dem König ein Rcsumo der DiScussro» des Ministerraths erstatten. —
Die Nacht über fühlte sich der König äußerst aufgeregt. Erst gegen 4 Ubr brachte
ihm ein beruhigender Trank Schlaf. Die Königin ist höchst niedergeschlagen. Man
ist für ihre Gesundheit besorgt. — Ein Adjutant des Königs ist gestern Abend um
6 Uhr nach Brüssel abgereist. — Mit dem Telegraphen ist der Befehl für Auflö-
sung des Operationscorps an der Marne abgeschickt worden. — Es ist der Wille
des Königs, daß die sterblichen Ueberreste des Herzogs von Orleans in der Fami-
liengruft zu Dreier beigcstellt werden. — Diesen Morgen hat der König selbst die
Anordnungen in den Gemächern der Herzogin von Orleans, welche schwarz aus-
geschlagen werden verfügt. — Der König hat das Haus des Krämers, wohin ^dcr
Herzog von Orleans nach seinem Sturze gebracht worden war, kaufen lassen. Der
Laden ist schon heute geschloffen. Dem Krämer ist eine Pension ausgeworfcn worden.

Tagsbcricht.
Freidurg, 16. Juli. Dem Vernehmen noch hat Hr. Professor
Srengkn- von Marburg einen an ihn ergangenen Ruf an die philoso-
phische Fakultät der hiesigen Universität angenommen, und sott seine
Vorlesungen über Logik re. schon im künftigen Halbjahr beginnen.
Karlsruhe. Durch das Ableben des Schullehrers Fries ist die
evangelische Schulstelle zu Großeichenholzheim, Schulbezirks Adelsheim,
mit dem neu regulirten Gehalte von 173 ff. nebst freier Wohnung und
42 kr. Schulgeld von jedem Schulkind, in Erledigung gekommen; die^ Be-
werber um dieselbe haben sich bei der fürstl. leiningenschen Standesherr-
schaft binnen 6 Wochen zu melden.
F-reiburg, 16. Juli. Wir wissen aus guter Quelle, daß dem
Landtags-Abgeordneten Pfarrer Kuenzer von Constanz der neuerdings
nachgesuchte Urlaub zum Eintritt in die Kammer von der erzbischöflichen
Curia wiederholt verweigert worden ist. Als Verweigerungsmotiv wurde
angegeben, daß, nachdem derselbe von der zweiten Kammer auf sein
Ansuchen Urlaub erhalten, zum Eintritt also nicht verbunden sei, so
hindere ihn nichts an der Fortbesorgung seines Pfarrdienstes, und die
Curia finde sich nicht veranlaßt, ihm gleichwohl Behufs eben dieses
Eintrittes Urlaub zu erthcilen.
Stuttgart, 16. Juli. Heute verläßt der König unsere Stadt,
um sich, wie man sagt, nach Baden und von da nach Dresden zu
begeben.
Hannover, 12. Juli. Das Eabinet befolgt jetzt wie es scheinen
möchte, die Politik, die man schon im Juni v. I. erwartete, und wel-
che die damalige zweite Kammer lediglich durch ihr energisches Han-
deln unmöglich machte, nämlich die Poliiik: die Stände so lange zu-
sammen halten, bis Einer nach d.em Andern abfällt und die Negie-
run,Marter', von der nicht Einer Reiseurlaud erhält, das Feld allein
bebauptet. Nachdem die Mitqliedcrzahl der zweiten Kammer auf 80
hcrabgesunken, die der Opposition nicht über 12 stark ist, sind die Stände
gestern mit den wichtigsten neuen Vorlagen in großer Zahl übeifluthel
worden.
Madrid, 9. Juli. Aus Lissabon schreibt man vom 2. d., es
sei ein Commiffär nach London geschickt worden, um der englischen Re-
gierung die Ceffion sämmtlicher Besitzungen Portugals in Indien anzn«
 
Annotationen