No. IW. Mittwoch den 24. August. 1842.
Ltmdtagsvcrhattdlungen.
CarlSruhe, 19. Aug. 41. öffentl. Sitzung der 2. Kammer. (Fortsetzung.)
Hecker fährt fort: DaS sind zwei schwere Folgen, welche diese Circulare hät-
ten hervorbringcn können, ja sie hatten absolut hervorbringen muffen, und die sie
auch zum Theil hervorgebracht haben. Ich gehe aber noch weiter und frage, ob
man glauben sollte, daß in einen, civilisirten und in einem konstitutionellen Staate
selbst die Post angewiesen werde, über die Wahlen zu wachen, und die ihr verlie-
hene Kraft zu Wäblbciwrrschnngen zu benutzen. Ich will Niemanden beschuldigen.
Allein es gibt überall Schwächlinge und Wohldiencr. Was wäre es gewesen, wenn
ein solcher Mensch es gewagt hätte, das Briefgcheimniß zu verletzen, um nach
Wahlunitrieben zu forschen; — und Mißtrauen hat auch in dieser Hinsicht im Volke
geherrscht. Die heiligsten Bande wären durch die Verletzung solcher Geheimnisse
gelöst worden. Der Bruder hätte nicht dem Brnder, der Freund nicht dem Freun-
de, der Vater nicht dem Sohne seine politischen Ansichten über Wahlangclegcnhci-
tcn aussprechcn, Keiner dem Andern zarte Geheimnisse des Freundes- und Fami-
lienlebens »nttbeilen können, weil er fürchten mußte, sie dem entweihten Auge ei-
nes solchen Wohldicncrs oder Schwächlings Preis zu geben, sich Verfolgungen anS-
gesetzt zu lehen. Endlich aber, und diest ist mir das Aergste, hat man selbst das
heilige Gewand des Priesters nicht geschont. Auch diese sollten sich in. Staub der
Wahlumtricbe hcrumtrcibcn. Der Priester, sage ich, er, der an Sonn- und Fest-
tagen, in den Fällen der Roth, der Krankheit und des Todes Worte des Trostes zu
sprechen hat, wozu ihn die Würde seines Amtes beruft, der Priester, zu dem ein
hülfs- und trostdcoürftiges Innere sich flüchtet, er, der als Prediger des Evangeliums
als Lehrer des Volks von der Kanzel aus dasselbe zur Moralität nur, Religion
durch und durch führen soll. Der Priester also sogar in seinem pricstcrlichen Ge.
wände wurde mißbraucht, um sich in den Staub der Wahlumtricbe zu mischen. Wie
kann aber das Volk noch seine frühere Achtung gegen eine» Priester bewahren, den
es auf solchen Abwegen getroffen hat. Es kommt aber noch ein gefährlicherer Punkt
in Betracht. Wo bleibt, frage ich, die Moral dcS Volks, wenn durch schriftliche
Versprechungen, welche die einzelnen Wablmänncr beurkunden mußten, sic verbind^
lich gemacht werden, an ihrem Wahleid nicht zu halten, wenn man ihnen sägt, iyd
unterschreibt dies und jenes ohne Rücksicht auf eueren Eid, und stimmt wie ihr un-
terschrieben habt. Wie ist dies vereinbar mit dem Wahleid, und wie sehr kommt
Pier die Mcnschcnfurcht in Anschlag. Den» glaubt man, ein schüchterner, die Dro-
hungen und Einschüchterungen des Beamten fürchtender Mann werde seine Wahl-
stimme anders abgebcn, als er sich anheischig machen mußte, wenn er sieht und
weiß, baß er im Fall einer solchen Aenderung durch die Gewalt verfolgt wird?
Man hat daher, indem man sich solche Handschläge geben ließ, die Moralität des
Volkes tief untergraben; man hat mit der Heiligkeit des gegebenen Wortes, des Ei-
des, ein Spiel getrieben. Man hat bei dem Volke den Glauben a» ein gegebenes
Wort als Bagatellsache erklärt, sobald es sich um die Durchführung eines politischen
Ehstems handle.
Die Folgen dieser Circulare, um sie in einem Eollectivwort zusammcuzufaffen,
heilen Vo lks korrup ti 0n. Daß das Volk brav geblieben ist, daran sind wahr-
lich die Herren Minister nicht schuld. Es hat aber 'wirklich seinen braven Sinn
bewährt; es hat auf die Appellation, die man an dasselbe richtete, durch die Mehr-
heit dieser Kammer geantwortet und darin liegt auch die beste Widerlegung der
Bemerkung des Abg. Trefurt, daß das Volk unmündig sei und nicht wisse, was cs
thue, ja daß sogar einzelne Mitglieder der frühern Kammer bei Abgabe ihrer Stim-
men nicht gewußt hatten, was sic thun. Ich bedaurc, daß bei solchen Grundsätzen
der Abg. Trefurt nur noch in diesem Saale sitzen mag. Ich möchte von keinem
unmündigen Volke gewählt sein und keine Kollegen neben mir haben, von denen
ich wüßte, daß sie nicht wisse», was sie thun.
Trefurt. In dieser Weise habe ich mich nicht ausgesprochen.
Hecker. Der Hr. Abgeordnete hat gesagt, daß in der früheren Mehrheit der
Kammer Viele gewesen seien, die nicht gewußt hätte», wie sie gestimmt haben.
- Der Abg. Hecker hat mich sagen lassen, ich hätte das Volk der Un-
nninvigkeit beschuldigt, und davon steht kein Wort in meinem Vortrag.
A^rvings dxr Mg, Trefurt diese Beschuldigung ausgesprochen,
und werde dws beweisen, wenn ich an seinen Frieder»; komme. — Man hat
uns Vielfach entgegcngchaiten: wenn die Minister verfassungsmäßige Rechte verletzt
haben, so klagt sie an. Ich kenne das Gesetz über die Verantwortlichkeit der Mi-
nister und stlne lluvollständigkckt; cS ist keine Prozedur vorgeschrieben und man
weiß nicht, unter welchen Formcm inan klagen soll.
Ich weiß aber bei dieser Lage der Dinge ein anderes Forum, vor dem ste an-
zuklagen sind, nämlich das Forum der öffentlichen Meinung und das versammelte
Volk, und dort klage ich sie an. Fast ist übrigens eine solche Anklage unnöthig
und überflüssig; das Volk ist längst zu Gericht gesessen und hat längst gerichtet,
sein Spruch liegt in der Majorität dieser Kammer. Ich muß daher den Kommis-
sionsantrag unterstützen und mein Mißtrauens-Votum gegen die Minister hier in
mesem Saale niederlcgen. Ich komme nun an die einzelnen Bemerkungen von
«ertc der Abg. Goll und Trefurt und bcdaure vor Allem, daß die durch die Cir-
kutare beabsichtigte und zum Theil auch hcrbeigeführte Wahlbeherrschung, zuerst
eines Bürgers durch Ruf zur Tagesordnung vcrtheidigt werden.
Ich bedaurc dies, weil derselbe unabhängig und frei dastcht und mit seiner Einsicht
«nd selnem Verstand die Bedeutung dieser Cirkulare wohl ermessen konnte. Sodann
komme ich auf den Punkt, den ich vorhin auszuführcn versprochen habe, indem ich
zeigen wollte, daß der Abg. Trefurt behauptet, das Volk sei unmündig. Dem
Volk werden Rechte um Rechte entrissen, und der Abg. Trefurt verlangt nun vom
Volke, oder seinen Vertretern in der Kammer, man solle darüber zur Tagesord-
nung übergehen, sich mit einem zahmen Widerspruch gegen die bisherige» Schritte
der Minister begnügen, indem damit der Friede und alles klebrige hcrgestellt wür-
de. Wenn aber ein Volk sich damit begnügen wird und die Gewalt sich schrankenlos
ansdchnen und sich Rechte um Rechte entreißen läßt, so ist es unmündig und schwach,
und verdient mit der eisernen Zuchtruthc beherrscht zu werden. Wie der Löwe,
wenn er schläft, von dem Kinde überwältigt werben kann, so ist es mit dem Volke,
wenn cs nicht wachsam auf seine verfassungsmäßigen Rechte ist, wenn es zur Ta-
gesordnung übergeht, wo cs sich um diese handelt. — Ferner muß ich aber eine
schwere Anschuldigung zurückweifen. Die Anschuligung nämlich, daß seit 1891 eine
systematische Opposition hier bestehe und man spstematisch darauf losgche, alle
Handlungen der Regierung zu verdächtigen. Diese Behauptung ist unrichtig und un-
wahr, denn die Thatsachen sprechen dagegen. Seit 1831 haben wir Fortschritte ge-
macht, um die uns die Nachbarstaaten beneiden. Seit 1831 ist der Boden entfes-
selt und das Volk von vielen drückenden Lasten befreit worden; und dies wäre un-
möglich, wenn Regierung und Volk im steten Kampf begriffen wären. Kann man
also sagen, daß wenn auch die Vorlagen der Regierung hie und da Widerspruch
erfahren haben, eine spstematische Opposition hier gewesen sei? Oder sollen denn
die Volksvertreter zu nichts Anderem berufen sein, als Geld zu bewilligen, da-
mit successiv ein Heer von Beamten anwächst, wie Geharnischte aus Cadmus Dra-
chenzähnen, oder geschehen zu taffen, daß die Staatsausgabc» in verschiedenen Be-
ziehungen auf das Horrcntcste zunehmcn? Wenn das Opposition ist, daß ich mich
wehre, wenn dem Volke jährlich mehr und mehr aufgebürdet werden will, dann
wahrlich bin ich systematischer Oppositions-Mann.
Man hat aber dann noch weiter vorgcbracht, der erste Anstoß zu all diesem
Zwiespalt sei von der Regierung ausgegangen und der Abg. Trefnrt hat den
Schritt der Regierung in Beziehung auf die Cirkulare selbst nicht gebilligt. —
Nun, wenn er denn Frieden haben will, wenn er den Fricdcnsruf erschallen läßt,
so komme er mit seiner Partei und allen denjenigen, die Krieg angefangcn haben
und nun fühlen, daß sie das Geschehene nicht vcrthcidigen können er komme zu-
erst mit dein P.ilmzweig des Friedens entgegen und dann wird sich die Hand des
Gegners nicht fern halten. Wo haben wir aber einen Schritt des Entgegenkom-
mens, oder auch nur ein Wort der Versöhnung gehört, haben wir heute in der
verlesenen Staatsschnft ein solches gehört? Die Ministcrbank ist leer, diefesmal
wie das letztcmal, und Niemand ist da, der uns den Friedenszweig varreicht.
Wenn wir daher ein Mißtrauensvotum in das Protokoll legen, so thun wir
nichts, als unsere Pflicht. Ob hintennach Friede werden soll, werden die Minister
uns zeigen, falls sie es nicht vorziehe», ihren Amtsstab niederzulegcn, indem das
Volk kein Vertrauen mehr zu ihnen hat, und ihnen den Amtsstab nicht mehr län-
ger anvertraucn will, den ste zu Verfafsungsverlctzungcn mißbraucht haben. (All-
gemeines Bravo auf der Gallcrie.) Der Präsident erinnert die Zuhörer daran,
daß alle Zeichen des Beifalls verboten seien und daß, wenn sich dieser Vorgang
wiederhole, er auf der Stelle die Gallcrie räumen lassen werde.
Goll. Ich hoffe, der Hr. Motionssteller werde mich gegen die Beschuldigung
des Abg. Hecker in Schutz nehmen. Nicht ein Wort von demjenigen, was mir
vorgeworfen wurde, habe ich gesagt.
Reichenbach: Meine Herren, nachdem schon so geistreiche Redner gesprochen
haben, ist cS einem Bürger sehr schwer, noch etwas beizufügcn; dessen ungeachtet
halte ich mich verpflichtet, heute einige Worte zu sprechen und bitte um ihre Nach-
sicht. Als mein Freund v. Jtzstein beim Beginn dieses Landtages sein Motion vor-
läufig ankündigte, hatte ich mir vorgenommen, an der Diskussion keinen Anthcil
zu nehmen; allein die während der Debatten über die Wahlprüfungc» von ver-
schiedenen Seiten gefallenen Acußerungen, namentlich die Aeußcrung des Abg. Fauth,
daß man alles, was bei den Wahlumtricben vorgekommen sei, zur Kenntniß der
Bürger bringen müsse, hat mich veranlaßt, jetzt das Wort zu ergreife». Uebcr
die rechtliche Natur der Cirkularien will ich nicht sprechen, wohl aber über deren
Folgen. Kaum waren die Kammern aufgelöst und die Cirkularien erlassen, als
man gegen die sogenannten Einunddicißig zu Felde zog. Hohe und niedere Beamte
bereisten die Bezirke in die Kreuz und Quer, was nie und nimmer geläugn-t wer-
den kann; an einem Orte drohten ste mit Verlegung des Amtssitzes unv der Post-
haltereicn, an anderen Orten versprachen sie die Errichtung von Amtssitzen und
Phpsikaten; man ließ Straßen auf Staatskosten bauen, man versprach Befördern»,
gen, ja man stellte sogar in Aussicht, verlorene Prozesse wieder zu gewinnen, und
Befreiungen vom Militärdienst. Die Regiernngs- und Bezirksbeamtcn haben in
den Bezirken, ohne daß sie Wahlmänncr waren, die Wahlmänncr in Gasthäusern
versammelt, ihnen reichliche Gastmähler bereiten lassen, und die Zeche flott bczablr.
Bei all' diesen schmählichen Wahlumtrieben hat man die Einunddreißig auf jede
mögliche Weise verdächtigt, ja man scheute sich nicht, zu sagen, daß, wenn auch
Einzclne von ihnen gewählt würden, ste doch nicht mehr in die Kammer eintreten
dürften, weil dle Regierung sie ein für allemal nicht mehr wolle.
Bemerken muß ich übrigens, daß die Einundreißig, wie mir bekannt, in drei
Klaffen getheilt und mit Strichen bezeichnet waren; die erste Klaffe wurde mit ei-
nem, die zweite mit zwei und die dritte mit drei Strichen bezeichnet. Ob ich mit