Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Morgenblatt — 1842

DOI chapter:
No. 220
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0895

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
1842.



No. 220.

Samstag den 17. Septbr.



Der badische Landtag.
(Schluß.)
Indem wir, MN billig zu sein, der vielfach angefcindetcn Kammer diese Ge.
rechtigkcit angcdeihen lassen, wollen wir freilich nicht Alles gut heißen, was über.
Haupt geschehen ist oder unterblieb. Tadeln müsse» wir nämlich, daß einige Male
die Debatte in Scenen ausartcte, die in guter Gesellschaft nicht Vorkommen solle»,
und daß Einzelne sich Ausdrücke erlaubten, die von geringem parlamentarischen
Takte zeugen. In diesem, wie in so Manchem, könnte Hr. v. Jtzstei», unbedingt
einer der besten parlamentarischen Redner, und in hohem Grade Das, was die
Engländer einen Dcbater nennen, der stets schlagfertig ist, und immer treffende
Antwort zu geben weiß, mit seiner Würde und seinem Anstande zum Muster dienen.
Tadeln müffen wir ferner, daß die für Deutschlands Vcrtycidigung und Wehrkraft
so wichtige Angelegenheit des Festungsbaucs von Rastadt nicht die gebührende Be-
achtung gefunden zu haben scheint, was von politischer Weitsichtigkeit eben kein Zeug-
niß adlest. Ferner: Wir wünschen die allgemeine Einführung der Landwehr, aber
neben einem kräftigen stehenden Heere, das uns zur Landesvertheidigung, der ersten
und höchsten Pflicht jeden Staates, unentbehrlich zu sein scheint. Wir zweifeln nicht
daran, daß Hr. Welcker es grundehrlich mit seinen Ansichten von stehendem Heere
und Volksbewaffnung meint, aber das Maß, mit welchem er mißt, ist zu kurz und
eng, wenn wir so sagen dürfen, zu schweizerisch. In diesem Punkte ist die höchste
Sparsamkeit oft die größte Verschwendung. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht
Reformen in der Militärverwaltung thunlich und nöthig seien; aber gegen Ver«
Minderung der stehenden Truppen müffen wir entschieden protestircn.
Endlich machen wir der Lämmer einen Vorwurf über ihr Verfahren in der
Judensrage. Mit politischen Rechten soll Niemand, der cs ehrlich mit der Freiheit
und mit der gesetzlichen Gleichheit für Alle meint, kippen und wippen. Hier hat
die Kammer jeder Konsequenz ins Gesicht geschlagen. Einem Kaffuben von der Ost-
see oder irgend einem Landstreicher von Zigeuner, der cs bequem findet, sich für
einen EHristm auszugeben, weil er getauft ist, würde sie politische Rechte ohne An-
stand bewilligen; aber einem Moses Mendelssohn, einem Mepcrbeer, »nd hundert
andern Ehrenmännern jüdischer Konfession würde sic dieselben verweigern muffen!
Komme man uns doch nicht mit der hundertmal ausgepochten vorsündfluthlichcn Be-
hauptung, daß die Juden eine Nation seien! Unser moderner Polizei- und Beam-
tcnstaat duldet ja ohnehin keine Rationen in seinem Schooße. Die Juden ha-
ben ein hebräisches Ritual und verehren den Gott ihrer Väter auf ihre Weise;
sonst reden sie deutsch und zahlen deutsche Steuern. Liegt denn etwas so Süßes
darin, .daß bei den gar nicht so ausgedehnten Richten, welche das deutsche Volk
überhaupt besitzt, im Lande noch etliche tausend Leute wohnen, die eine noch gerin-
gere Summe von Rechten besitzen? Sind wir denn so sehr Spartaner, daß wir
absolut Heloten haben müssen? Es gibt Leute, die sich für sehr human halten, aber
das ABC der Gerechtigkeit und der> Gleichheit der Rechte und Pflichten außer Acht
lassen. Als weiland Hr. v. Nottcck, dem Zopfthum seiner Wähler von Lenzingen
und Emmendingen zulieb, die Fahne sophistischer Inhumanität aufpflanzte, war
ein großer Thcil seines frühern Prästigiums, im Norden von Deutschland wenig-
stens, dahin, lind in den Nekrologen, eie dem übrigens ausgezeichneten Manne ge-
schrieben wurden, hat man ihm diese Inkonsequenz nicht vergessen. Es süw manche
Leute noch weit von der Höbe der Zeit entfernt, indem sic an einer Frage hcrum-
mäkeln, die in Belgien, Holland, Frankreich, und Amerika längst praktisch gelöst
ist. Es fällt keinem Ultralcgitimistcn ein, Anstoß daran zu nehmen, daß ein fran-
zösischer Bürger jüdischer Konfession z. B. Abgeordneter wird oder General; und
die genannten Länder werden in letzter Instanz doch auch „christliche" sein wollen.
Hr. Rettig hat zwar an den christlichen Staat appellirt, aber uns will bedünken,
daß in manchen europäischen Staaten und Gesellschaftskreisen in Betreff des poli-
tischen Systems das Christcntimm sehr dünn gesäet und nicht viel von ihm zu ver-
spüren sei. Und Hr. Hecker, ein junger, offenbar latent- und gestnnungsvoller Mann
hatte seine politische Laufbahn, so will uns bedünken, mit mehr Humanität eröffnen
können, als mit seiner alt-testamentarischen Rede, die den Beweis liefert, wie we-
nig tief er den Gegenstand in Erwägung gezogen, über welchen er sich Mit so viel
Behagen verbreitete. Es ist nicht beneideiiswcrth, den „Teufel der Intoleranz"
zu überzuckern. Will der ehrenwcrthe Abgeordnete vielleicht, wie neulich ein Wie«
ver Professor, die Juden auch aus der Arzneikunde verdrängen, weil sie angeblich
„Unbehagen" i» derselben verbreiten? Wir reichen die Palme Hrn. Wassermann,
dem überhaupt das Verdienst der entschiedensten Konsequenz gebührt, und der jetzt
schon zu den besten und prägnantesten Rednern der Kammer gehört. Vom Mini-
stertische hatte man auch wohl erklären können, daß Leuten, die volle Steuern zah«
len und Waffendienste thnn, auch volle und nicht halbe Rechte gebühren.
Dies ist es, was wir heute, von unserm, wie wir glauben, durchaus vorur-
theilsfrelen Standpunkt aus, über den Landtag bemerken wollten.

LanVtagsverhanölungen.
Nachtrag
zur 54. öffentlichen Sitzung der 2. Kammer vom 2. September, die Motion wegen
Preßfreiheit betreffend.
Mordes fährt fort: (Fortsetzung.)
Der Abg. Bassermann sicht dieselbe Maßregel im Geiste wiederkchren, so-

bald wir die Residenz verlassen hzben werden. Wäre dem also, alsdann dürste
die Regierung eine bittere Frucht von dergleichen Schritten erwarten und schlimme
Folgen erleben, schlimmer noch als diejenigen, weiche sie bisher dafür gecrndet. Ich
will daran so wenig glauben, als ich vie hoffnungsreiche Erwartung theile, es
werde sich bald Niemand mehr mit dem noblen Berufe eines Censors besann, da
es Leute genug gibt, welche ihre Dienste um Sold anbieten, waS auch immer ihre
eigene bessere Ueberzeugung dabei ihnen znrnfen mag.
Geh. Res. Eichrodt: Es erschien an die Zensoren die Verfügung, daß über
die Wahlen im Allgemeinen, sowohl für als gegen die Kandidaten, nichts ausge-
nommen werden solle.
Mördcs: Dadurch ist meine Bemerkung nicht widerlegt, denn es handelt sich
hauptsächlich um die Zeit, in welcher diese allgemein lautende Verfügung erlassen
wurde. Sic vatirt wahrscheinlich erst von da an, wo man den Geifer bereits über
die Kammer entladen und es dann gcrathen finden mochte, das letzte Wort zu be-
halten, indem man jede weitere Erörterung abschnitt.
Jung Hanns würde die Freiheit der Presse, welche uns von dem Bund gege-
ben würde, mit Vergnügen anfnehmen; so lange dies nicht geschieht, wird der
heutige Antrag ein frommer Wunsch bleiben und wir werden wohl thun, uns auf
den zweiten Antrag der Konimission zu beschränken, welcher eine genaue Vollziehung
der gegebenen Instruktion bezweckt, wonach frcimüthige und anständige Erörterun-
gen über innere Landcsangelegenhciten von der Zensur nicht gestrichen werden sol-
len. Diesem Anträge schließe ich mich an und füge nur wenige Bemerkungen hin-
zu. Die eine ist der Wunsch, bestimmte, möglichst kurze Fristen von 1 bis 2 Ta-
gen für die Behandlung der Rekurse festzusetzcn; die zweite ist die, daß die Schrift-
steller sich nicht durch die Vorgänge in den letzten Monaten der Aufregung abschre-
cke» lassen möchten, wo es geschehen sein mag, daß Zensoren ihre Instruktion auf
eine Weise ausgedehnt haben, wie cS dem Geiste derselben nicht entsprach, und wo
Maßregeln getroffen worden sein mögen, die vielleicht kurze Zeit ihre Anwendung
finden und dann wieder verschwinden müffen. Endlich wünsche ich, daß die Schrift-
steller, wenn ein Rekurs in der ersten Instanz keine Folge hat, sich nicht abhalten
lassen mögen, sich an die höheren Instanzen zu wenden. Eine böhcrc Behörde, ein
Kollegium, besonders das Ministerium, hat einen andern Gesichtskreis, als der oft
ängstliche Zensor. Ich glaube auch nicht, daß die Besorgniß eines Redners Platz
greift, daß nach dem Schluffe des Landtags Artikel, welche die Kammer verun-
glimpfen, in ver Presse ausgenommen, andere dagegen keinen Eingang finden wer-
den. Ich bin fest überzeugt, daß in der einen, wie in der andern Richtung, wenn
nur das Maß nicht überschritten wird, Artikel werden zugelassen werden, und wen»
wir wieder zusammen kommen, wollen wir uns fragen, ob diese Ueberzeugung nicht
zur Wahrheit geworden ist.
Mordes: Ich werde mir erlauben, seiner Zeit den Abg. Junghanns daran
zu erinnern, und werde dann mit Freuden seine glückliche Voraussicht anerkennen.
Junghanns: Ich spreche wiederholt meine Ueberzeugung aus, daß meine
Behauptung zur Wahrheit werden wird, und ich selbst will so viel als möglich hie-
zu beitrage». In Beziehung auf den Antrag der Petitionskommisston, welche da-
hin geht, dem Staatsmlnisterium das Gesuch der Redaktion des Kirchenblattes mit
Empfehlung und dem ausdrücklichen Wunsche der Kammer zu übergeben, daß ge-
genüber dem Kirchenblatt die Zensur mit besonderer Schonung möge geübt wer-
den, wünscht der Redner den Zusatz „mit besonderer Schonung" wegznlaffcn, weil
auf denselben Zusatz alle anderen Blätter unseres Landes Ansprüche machen könn-
ten, und wir wünschen, daß die Zensur überall mit Schonung geübt werde.
Mordes findet diese Bemerkung richtig und fügt hinzu: daß auch ihm der
Ausdruck „Schonung- durchaus nicht behage.
Züllig bemerkt, daß dieses Blatt nicht zu den gewöhnlichen Zeitungen gehöre
und für dasselbe nichts weiter in Anspruch genommen wird, als was nach der Zen-
surordnung de» literarischen Blättern gebührt.
Baum erwähnt, wie die Verfügung, daß nichts über die Wahlen ausgenom-
men werden soll, von einigen Zensoren so verstanden wurde, daß sie sich hauptsäch-
lich angelegen sein ließen, nach dem Wort „Wahl" zu fahnden, so »war, daß der
Fall möglich gewewn wäre, daß wenn ein Ehepaar seine Vermählung mit dem
Beisatz angezeigt hätte, „wir haben eine glückliche Wahl getroffen" und hier die-
ses Wort gestrichen worden wäre. Um über den Gegenstand selbst etwas zu sagen,
muß ich einen Blick auf die Karte der zivilisirten Länder werfen. ES ist bedauer-
lich für einen Deutschen, wenn er steht, daß unter allen zivilisirten Böllern nur
drei der Preßfreiheit entbehren, nämlich Rußland, Italien und, leider, Deutsch-
land. Es ist höchst traurig, daß wir in Baden, die wir die Preßfreiheit hatten,
und bei dem Zurückziehen derselben von Seiten der Minister die Erklärung hörten,
sie eristire noch für das Inland, jetzt eine härtere Zensur haben, als vielleicht Preu-
ßen oder andere deutsche Länder. Nur mein Bedauern kann ich darüber aussprc-
chen, daß dieser Zustand eiistirt, und nochmals sage ich: es ist betrübend für einen
Deutschen, wenn er sieht, daß nur Rußland, Italien und Deutschland unter dem
Preßzwang schmachten.
Richter: Ich habe einen Beleg dafür in Händen, wie die Regierung in
Betreff der Zensur bei den Wahlen vor dem jetzigen Landtag verfahren ist. Wir
Jedermann welß, wurde ln den Spalten der inländischen Zeitungen jedes Wort,
das auch nur im Entferntesten eine Beziehung auf die Wahlen hatte, gestrichen.
Es haben sich deshalb einige Vaterlandsfreunde an auswärtige Redaktionen gewen«
 
Annotationen