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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 209
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Sonntag dm -4. Septbr.

1842.


LanDtagsVcrhKndlungcn.
Carlsruhe, !9. Ang. 41. offene!. Sitzung der 2. Kammer. (Schlug.)
Sander fahrt fort: Meine Herren,'vor einigen fahren sprach ein ehrwürdi-
ge- Mitglied des uralten deutschen Kaiserhauses die schönen Worte: »Eine neue
Zeit verdrängt die alte Zeit, und ihren WaruungSruf hat ffc erschallen lassen, sich
ihr anzuschließen." Jenes ehrwürdige Mitglied des uralten deutschen Kaiserhauses
sprach dies freilich nur in Beziehung auf Handel und Gewerbe aus. Es gilt aber
dieses schöne Wort, ja cs gilt nach viel inehr von den öffentlichen Zuständen und
den politischen Verhältnissen der Staaten. Ja, eine neue Zeit verdrängt die alte
Zeit, und ihren WaruungSruf hat ffc erschallen lassen, sich ibr anzuschUcßcn, und
wer ffch ihr nicht freiwillig anschließt, der wird von ibr erfaßt und weiter mit fort-
gerissen werden, als es der Fall gewesen, wenn er sich ihr angeschloffcn und ihre
Leitung übernommen hätte, und wer sich ihr sogar noch widersctzt, der wird von
ihr ergriffen und erdrückt, zernichtet und zertrümmert werden. Das ist die Lehre
der Geschichte, die durch alle ihre Blätter geht, daS ist die rächende -Hand der Ne-
mesis, die früher oder später, aber immer gewiß, alle Jene ergreift, die ffch der
Anerkennung der Rechte des Volks und den vernünftigen Fortschritten der Zeit ent-
gegenstcllcn: --er.-, „umiius vmüicto, keck vo ovttior. (Allgemeines Bravo. Der
Präsident gebietet Ruhe.)
v. Jtzstein. Die Kammer hat bereits ausgesprochen, daß sie gehörig unter-
richtet sei und die Rede des Abg. Sander, vorgctragcn mit der Kraft die ihm ei-
gen ist, hat wohl ergänzt, was allenfalls noch fehlte. Ich kann mich deßhalb kurz
fassen. Ich werde-dieß schon um deßwiilcn' thuu können, weil ich bereits in meiner
Motion ansgcfnhrt habe, was nöthig war und was das Herz drückte. Lurch die
heilige Pflicht des Abg. war ich gedrungen, diese Motion zu stellen; ich hielt es
in meiner Pflicht, den Gefahren entgegen zn treten, die der Verfassung drohten,
den Gefahren, die das heiligste Recht des Volks, nämlich die Wahlfreiheit beein-
trächtigen und schwächen sollten. Die Herren Minister sind nicht erschienen, ohnge-
achtet sie uns selbst mehrmals erklärt hatten, daß wir unsere Aenßernngen über
spezielle Fälle verschieben möchten, bis zu dem Tage der großen Schlacht, wie sie
ihn zn nennen belieben; dort werde cS sich zeigen, wie auch die Opposition in ei-
ner Weise auf die Wahlen eingcwirkt habe, die der Einwirkung der Regierung daS
Gleichgewicht Halle! Ich habe die Herren Minister mit Freude erwartet und gehofft,
daß ffc dieses Nachweisen und der Welt zeigen würden, wie die Opposition ihre Ein-
wirkung dnrchgeführt habe. Wenn es ihnen hierzu an Materialien gefehlt hätte,
io würoe ich sic ihnen selbst bereitwillig gegeben haben, woraus sie übrigens die
Ucberzcugung hätten gewinnen müssen, welch schwacher Grund es sei, wenn sic ihre
Schritte dadurch in Schutz nehme» wollen, daß die Männer der Opposition dem
Volk ebenfalls gcrathcn haben. Diesen oder Jenen als Deputaten zu wählen. Die
Opposition, wie man sie zu bezeichnen beliebt, hat nicht die Mittel, wie die Re-
gierung. Sic kann weder belohnen noch strafen, weder versetzen noch Amtssitze ver-
legen, weder Garnisonen schicken, noch wegnehmcn, noch irgend etwas dieser Art
thnn. Wenn wir einen Mann dem Volke als Deputirten Vorschlägen und ihn cm-
feblcn, so ist cs dem Willen der Bürger überlassen, ob sic unfern Rath annehmcn,
vH sie Werth darauf legen wollen oder nicht. Wenn aber der Beamte und die Re-
gicrungsdirectorcn anftrctcn, umgeben mit der amtlichen Gewalt und verbunden
mit Drohungen aller Art, in die ich speziell nicht affngehcn ffvill, weil manche mäh-
lich cckclhaft sind, so ist dies etwas ganz anderes, als wenn der Bürger dem Bür-
ger einen Nath gibt. — Denn hier wirken Befangenheit, Furcht und . Rücksichten
aller Art auf die Wähler. Aber! warum, frage ich, sind denn heute die Hrn. Mi-
nister nicht erschienen, nachdem cs ihre heilige 'Pflicht war, der Kammer selbst zn
erklären und nachzuweisen, was sic nun durch einen dritten sagen ließen? daS wir
nämlich verfassungswidrig handelten! Haben sic nicht auch die Verfassung beschwo-
ren? Muffen sie nicht die Verfassung schützen und vertheidigcn, wenn sie dieselbe
angegriffen glauben? Sind sic nicht deßhalb die Näthe der Krone, daß sie hier cr-
sch"nen, um zu schützen, was den: Lande gebührt? Kino sie nicht die Angegriffenen
ew Männer, welche vre Cirkularschrciben in ihrem Namen erlassen haben? Wenn
ich, der den Antrag wegen dieser Eirkularien und der daraus hcrvorgegangcncn
Wahlbchcrrschung gestellt hat, heute weggcbliebcn wäre, und mich mit einem Brief-
chen oder mit einem Boten an den Hrn. Präsidenten entschuldigt hätte, so frage
ich, was die Herren Minister, was die Kammer und was die öffentliche Meinung
gesagt haben würde? Man würde mit Recht erklärt haben: der Mann hat Lärmen
machen wollen, aber nun ist er zu feig, seine Sache zu, vertheidigcn! Ich will kei-
nen Schluß ziehen, sondern überlasse das Urtheil der öffentlichen Meinung; allein
ich kam, diese wahrlich nicht hindern, zu schließen, was ans der flachen Hand liegt.
Die Minister müssen aber auch da sein, um die Rechte der Krone zn vertheidigcn,
wenn sie glauben, daß wir ffc und die Verfassung verletzen wollten! Statt ihrer
scheint nun aber der Abg. Treffurt daS Wort genommen zn haben; er predigt Frie-
den, wie er denn, überhaupt, auch seit einiger Zeit die Rolle des - Sittenpredigers
in der Kammer spielt. Auf welche Weise aber Predigt er den Frieden? Er verun-
glimpft die Kammer von 1831, indem er ihr und den folgenden Kammern, wie
, s, ietzigea vorwirst, daß sie die Schuld der Zerwürfnisse trage, daß sie Unrichtig,
ketten und Unwahrheiten und Erbitterung in der Kammer auSstrcuc, und sie mit
^""keit aussprcche. Ob dies der Weg zum Frieden ist, und zu dem Ziele, wel-
ches der Herr Abgeordnete erreichen wollte, bezweifle ich. — Ich wende mich hicr-
vem ad, zu dem Abg. Böhme. Derselbe hat uns ausgeführt, daß die Regierung

nothwcndig cinwirken müsse, ja er hat sich sogar harter Ausdrücke gegen die Re-
gierung bedient, welche sogar den Regenten selbst treffen. Ich werde ihm dies zei-
gen: Er hat gesagt, daß es gegen die Pflicht der Regierung gewesen wäre,
wenn sie nicht in die Wahlen eingcwirkt hätte und daß es mehr als ein unschn l-
digeS Benehmen sein würde, wenn fle müßig geblieben wäre! Ich überlasse dem
Abg. Böhme, diesen Vorwurf, den er der Regierung, und ich füge abermals hinzu,
den er dem Regenten damit machte, und ich muß es ihm erlassen, solchen Vorwurf
wieder gut zu machen. Er hat vergessen, was die Regierung im Namen desselben
Regenten, der Baden jetzt noch Vorsicht und dem wir Alle unsere Huldigung und
Verehrung gern darbringen, am 26. Nov. 1830 in dem damaligen Manifest er-
klärt hat. Es habe der Regent, heißt cs darin, gelobt, die Verfassung treu und
wahr zu halten, und weil er dies thuu wolle, habe derselbe seine Negierung ange-
wiesen, zu erklären:
„Die Regierung kann sonach nicht den Gedanken hegen, die Staatsbürger des
Großhcrzogthmns in einem der wichtigsten Verfassungsrechte zu beschränken, oder
auf die Wahlen zu Gunsten oder Ungunst irgend einer Person, durch welche Mittel
cS auch sei cinznwirken. Im Gcgcntheil eS ist ihr Wille, daß auf die einzelne»
-Wahlen von Seiten der Regierungsbcamtcn weder mittelbar noch unmittelbar ein-
gewirkt werde," Nun behauptet der Abg. Böhme gegenüber derselben Regierung
und desselben Regenten, daß sic ihre Pflicht verletzt haben würden, wenn sie nicht
eingewirkt hätten! — Ich habe in meiner Motion die Wahlbeycrrschung, die trau-
rige Wahlbeherrschung, wie sie an „ns allen vorüber ging, geschildert; ich habe sie
in allgemeinen Grnndzügcn dargestcllt und es scheint mir daher nicht mehr am Platz
zu sein, jetzt noch einzelne Fälle zn erwähnen. Das allgemeine Bild, welches ich
gegeben, bietet hinreichenden Stoff zur Bcnrtheilung dieses betrübenden Ereignis-
ses und genügt wohl vollkommen. Aber nicht das badische Volk allein ist darüber
einig, nicht dieses allein wurde entrüstet über eine solche Wahlbeherrschnng, durch
die man dem badischen Volk wahrhaft Hohn sprach, und cs behandelt hat'wic ein
unmündiges Kind, eine Maschicne und Ballen, die man durch die Beamten fortsto-
ßcn lassen könne, Deutschland war entrüstet und jeder muß bestätigen, der in den
verschiedene» Gegenden Freunde und Bekannte hat, und der die, von Furcht und
Knechtssn» nicht gelähmten Stimmen vernehmen konnte, Deutschland war entrüstet,
daß eine Regierung, die als der selige Winter ihr Vorstand, die Zierde von Deutsch-
land, und Baden ein Staat war, den man uni seine Negierung beneidete, nun
auf einmal mit so traurigen Beispielen vorangehcn konnte. Ich bitte die Kammer
fcstzuhalten den Beschluß, den die Kommission in Antrag gebracht hat. Er ist das
Wenigste, was die Kammer thnn kann, wenn sie, wie der Abg. Sander mit Recht
erklärt hat, die Schmach nicht auf sich laden will, daß sie zurnckweiche m einem
Kampf, denn sie beginnen mußte, weil der geschworene Berfassungseid und die Pflicht
des Volksvertreters ihn geboten hat. Wir sprechen, wenn wir diesen Antrag an-
»ehmen, nichts anderes aus, als waS das Volk längst allgemein ausgesprochen hat.
Es ist aus meiner Motionsbegründnng zn ersehen, daß kein weiterer Angriff von
meiner Seite erfolgen sollte. — Ich wollte Nicht das Aenßerste ergreifen, ob ich
gleich weiß, daß iw nach der aufgeregten Stimmung des Volkes einen Antrag hätte
stellen können, wie ihn der Abg. Richter vorgebracht hat. Weil aber Versöhnung
unsere Absicht war, und weil wir nicht mehr erbittern wollten, alS schon geschehen
war, ging ich nicht weiter, als meine Pflicht gegen das Volk gebot, nrü'ßte mich
aber auch schämen, einen geringen! Antrag als diesen anzunchmen!
Schaaff. Ich stimme für den gelinder» Antrag und schäme mich nicht.
Der Präsident.schließt die Diskussion und bringt den Antrag der Kommis-
sion zur namentlichen Abstimmung, deren Ergcbntß wir in Nr. 1S7 mitgethcilt
haben.

CarlSruhe, 22. August. 43. öffentliche Sitzung der zweiten Kammer. (Schluß.)
Zettel fährt fort:
Es ist oft ausgesprochen und nie vollständig widerlegt worden, daß so lange
die Juden in der scharf ausgeprägten Nationalität beharren, ihr Eintreten in das
Leben eines andern Volkes nie ein wahres sein könne. Dagegen aber ist freilich
auch nicht zn verkennen, daß diese Nationalität thcilweise sich mehr und mehr ver-
wischt, aber auf der andern Seite auch nicht, daß in dem nämlichen Maße die
Emanzipation derselben fortschreitct; denn man kann doch nicht täugnen, daß die
bürgerlichen Verhältnisse der Inden ganz anders geworden sind, als sie noch
vor 50 Jahren waren. So wird nach meiner Ucberzengung, es auch in der Zu-
kunft der Fall sein; in dem Maaße, als der cigenthümlich nationale Charakter des
Judenthumes sich verwischt, wird auch die Emanzipation desselben zu Stande kom-
men. Hierin dürfen wir auch den Grund suchen, warum so viele Inden die Eman-
zipation selbst nicht wollen, sie fühlen, daß sie aufhörcn, ein Volk zu sein, und
eine blose religiöse Seele werde; sie fühlen, daß die Emanzipation der Grenzstein
der Geschichte des Jndenthumes ist. Daß außerdem der alsbaldigen vollen bürger-
lichen Gleichstellung der Inden auch materielle Hindernisse im Wege stehen, ist be-
reits gesagt worden. Aus allen diesen Grunde halte ich eine plötzliche Emanzipa-
tion ohne Uebergangsperiode für unmöglich.
Trefnrt glaubt der Kommission, daß sic den Juden ein Abläugnen ihres
Glaubens nicht zumuthet, daß sie nur eine antinationale Abscheidnng beseitigen
wolle. Er erkennt daher auch in dem Berichte keinen Schein einer Feindseligkeit
gegen daS Judenthum. Allein darum glaubt er auch, daß die Kommission zu einem
 
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