die These von der „Ausrottung der Besten“ mit allen Folgerungen für Religion, Moral,
Staats- und Wirtschaftsgesinnung durchzieht das Gesamtwerk und läßt erkennen, daß
zu bestimmten Zeiten in Hellas und Rom Leistungen durch jene „Besten" geschaffen
worden sind, die folgenden Generationen unerreichbares Vorbild bleiben mußten.
Seecks berühmte These ist von einer verfeinerten Demographie, von Soziologie und
Psychopathologie aufgegriffen und erweitert worden, das Problem selber harrt immer
noch der Lösungsversuche 1. Weder eine forcierte Eugenik, Anthropologie und Geopolitik
haben die Phänomene des Blühens und Vergehens der Eliten restlos klären können, noch
scheint sich das Quellenmaterial, das sich überall vermehrte, auf dem anthropologischen
und demographischen Gebiet in einer Weise erweitert zu haben, die die These Seecks von
vornherein ad absurdum führte. Seeck nennt es die Tyrannenweisheit im Altertum, nach
der bei Herodot überlieferten Geschichte von Periander, der in Korinth alle Bürger hin-
richten oder verbannen ließ, die sich vor den übrigen auszeichneten. Diese „Weisheit“
sei im Altertum immer wieder, und zwar häufiger noch von Freistaaten als von Tyrannen
angewandt worden. (I, 275)
Auch wenn man Seecks These nicht gelten läßt, sei es weil man die Kausalität in der
Geschichte überhaupt leugnet, sei es weil man das Problem der „Besten“ nicht als ent-
scheidend ansehen will, so wird man es doch begrüßen, daß das Werk des Autors, das
in unseren Bibliotheken selten geworden ist, auf die Tragfähigkeit dieser Theorie oder
überhaupt einer Untergangstheorie überprüfen zu können. Man wird ferner in keinem
deutschsprachigen Werke die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft des 19. und beginnen-
den 20. Jahrhunderts in ähnlicher Weise ausgebreitet und durchgearbeitet finden wie in
Seecks Lebenswerk. Er hat sich nicht nur auf die bereits vorliegenden oder ihrer Voll-
endung zugehenden großen Quellenwerke, aie Akademieausgaben der kirchlichen und
profanen Geschichtsschreibung stützen können; Seeck selbst ist der Autor von Ausgaben
und Regesten gewesen, die den Leser der „Geschichte des Untergangs“ eine intime Kennt-
nis der Quellen merken lassen. Man wird es insofern gerechtfertigt finden, daß der Ver-
lag eine Neuausgabe vorlegt, weil These und Materialsammlung des Werkes nicht obsolet
sind. Man wird aber auch zustimmen, daß nicht der Versuch gemacht wurde, durch
Streichungen von nicht mehr Gültigem oaer durch Uberarbeitung von Text und An-
merkungen die Bände auf den Stand der heutigen Wissenschaft zu bringen. Der folgende
Überblick wird zeigen, daß weder in der Konzeption noch in Einzelheiten Seecks Werk
Verbesserungen vertrüge.
Mit dem 1. 5. 305, dem Datum der Abdankung Diokletians und Maximinians springt
der Verfasser gleichsam in sein Thema hinein, dessen erster Teil „Die Anfänge Constan-
tins des Großen“ und „Verfall der antiken Welt“ lautet. Seeck ignoriert damit in gewis-
ser Weise, was als „Krise" der alten Welt im 3. Jahrhundert seit den Severern und den
Soldatenkaisern zum Dekadenzproblem zu sagen wäre und sdieint das Rom des Prin-
zipats und des Dominats nicht scharf genug zu trennen. In der Ausführung geschieht dies
dann doch und die Charakteristik der „illyrischen“ Kaiser - der Name fällt nicht - weist
wesentliche Merkmale auf, die den Zeitwandel verdeutlichen. Der zweite Teil des ersten
Bandes enthält die eingangs erwähnte These von der „Ausrottung der Besten“, einge-
bettet in die beiden entscheidenden innen- und außenpolitischen Probleme: - Entvölke-
rung des Reiches - und -Barbaren, vor allem Germanen im Reich - mit den Konsequen-
zen für das Heer und für Sklaven und Klienten. Mommsens Vorarbeiten, besonders die
Edition der Cronica minora, Friedländers Darsteliungen aus der Sittengeschichte wer-
den benutzt, für den germanischen Bereich Müllenhoff, Lamprechts Deutsche Geschichte
und Brunners B.echtsgeschichte; Harnacks „Mission und Ausbreitung“ bietet eine der
Grundlagen fiir den kirchengeschichtlichen Teil. Eine Auseinandersetzung mit der Ras-
senlehre findet sich auf Seite 548; dort wird der mit den Arbeiten von Ammon und von
Vacher de Lapouge in den 90er Jahren erreichte Standpunkt zum Ausgangspunkt der
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Staats- und Wirtschaftsgesinnung durchzieht das Gesamtwerk und läßt erkennen, daß
zu bestimmten Zeiten in Hellas und Rom Leistungen durch jene „Besten" geschaffen
worden sind, die folgenden Generationen unerreichbares Vorbild bleiben mußten.
Seecks berühmte These ist von einer verfeinerten Demographie, von Soziologie und
Psychopathologie aufgegriffen und erweitert worden, das Problem selber harrt immer
noch der Lösungsversuche 1. Weder eine forcierte Eugenik, Anthropologie und Geopolitik
haben die Phänomene des Blühens und Vergehens der Eliten restlos klären können, noch
scheint sich das Quellenmaterial, das sich überall vermehrte, auf dem anthropologischen
und demographischen Gebiet in einer Weise erweitert zu haben, die die These Seecks von
vornherein ad absurdum führte. Seeck nennt es die Tyrannenweisheit im Altertum, nach
der bei Herodot überlieferten Geschichte von Periander, der in Korinth alle Bürger hin-
richten oder verbannen ließ, die sich vor den übrigen auszeichneten. Diese „Weisheit“
sei im Altertum immer wieder, und zwar häufiger noch von Freistaaten als von Tyrannen
angewandt worden. (I, 275)
Auch wenn man Seecks These nicht gelten läßt, sei es weil man die Kausalität in der
Geschichte überhaupt leugnet, sei es weil man das Problem der „Besten“ nicht als ent-
scheidend ansehen will, so wird man es doch begrüßen, daß das Werk des Autors, das
in unseren Bibliotheken selten geworden ist, auf die Tragfähigkeit dieser Theorie oder
überhaupt einer Untergangstheorie überprüfen zu können. Man wird ferner in keinem
deutschsprachigen Werke die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft des 19. und beginnen-
den 20. Jahrhunderts in ähnlicher Weise ausgebreitet und durchgearbeitet finden wie in
Seecks Lebenswerk. Er hat sich nicht nur auf die bereits vorliegenden oder ihrer Voll-
endung zugehenden großen Quellenwerke, aie Akademieausgaben der kirchlichen und
profanen Geschichtsschreibung stützen können; Seeck selbst ist der Autor von Ausgaben
und Regesten gewesen, die den Leser der „Geschichte des Untergangs“ eine intime Kennt-
nis der Quellen merken lassen. Man wird es insofern gerechtfertigt finden, daß der Ver-
lag eine Neuausgabe vorlegt, weil These und Materialsammlung des Werkes nicht obsolet
sind. Man wird aber auch zustimmen, daß nicht der Versuch gemacht wurde, durch
Streichungen von nicht mehr Gültigem oaer durch Uberarbeitung von Text und An-
merkungen die Bände auf den Stand der heutigen Wissenschaft zu bringen. Der folgende
Überblick wird zeigen, daß weder in der Konzeption noch in Einzelheiten Seecks Werk
Verbesserungen vertrüge.
Mit dem 1. 5. 305, dem Datum der Abdankung Diokletians und Maximinians springt
der Verfasser gleichsam in sein Thema hinein, dessen erster Teil „Die Anfänge Constan-
tins des Großen“ und „Verfall der antiken Welt“ lautet. Seeck ignoriert damit in gewis-
ser Weise, was als „Krise" der alten Welt im 3. Jahrhundert seit den Severern und den
Soldatenkaisern zum Dekadenzproblem zu sagen wäre und sdieint das Rom des Prin-
zipats und des Dominats nicht scharf genug zu trennen. In der Ausführung geschieht dies
dann doch und die Charakteristik der „illyrischen“ Kaiser - der Name fällt nicht - weist
wesentliche Merkmale auf, die den Zeitwandel verdeutlichen. Der zweite Teil des ersten
Bandes enthält die eingangs erwähnte These von der „Ausrottung der Besten“, einge-
bettet in die beiden entscheidenden innen- und außenpolitischen Probleme: - Entvölke-
rung des Reiches - und -Barbaren, vor allem Germanen im Reich - mit den Konsequen-
zen für das Heer und für Sklaven und Klienten. Mommsens Vorarbeiten, besonders die
Edition der Cronica minora, Friedländers Darsteliungen aus der Sittengeschichte wer-
den benutzt, für den germanischen Bereich Müllenhoff, Lamprechts Deutsche Geschichte
und Brunners B.echtsgeschichte; Harnacks „Mission und Ausbreitung“ bietet eine der
Grundlagen fiir den kirchengeschichtlichen Teil. Eine Auseinandersetzung mit der Ras-
senlehre findet sich auf Seite 548; dort wird der mit den Arbeiten von Ammon und von
Vacher de Lapouge in den 90er Jahren erreichte Standpunkt zum Ausgangspunkt der
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