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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0565
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Hilfszeichnungen.

521

Bauernhäuschen oder zu einer Mühle führen, und dahinter hochaufragende Bäume,
die dem Blick die Ferne verschließen1. Neben dem ernüchternden Einfluß der
Holländer fühlen wir hier noch die Sehnsucht des Künstlers heraus, seine
endlosen Schäfereien, seine üppigen Parks, seine nackten Mythologien einmal
mit der schlichten Natur und bäuerlichen Einfachheit zu vertauschen und sich
in fleißigen Kreidezeichnungen auf blaufarbigen Papieren auszusprechen. Durchs
aus verarmte, ungepflegte Objekte mit viel Einzelheiten, die knapp vor dem
Beschauer stehen. Als Staffage waschende Frauen, fischende Knaben oder
Bauernkinder. Seltener finden sich Hofinterieurs, Gartenecken mit Gitterwerk
von durchaus nationalem Gepräge (Abb. 242)2. Im direkten Gegensatz zu
Claude und Poussin vermissen wir jecjes Streben ins Geräumig sWeite, Große
und Erhabene.

Als der dritte national schaffende Zeichner erscheint Fragonard. So per* Fragonard.
sönlich seine Note, so sehr er ein Stück Natur geistvoll zu steigern verstand,
so lehren seine landschaftlichen Studien, ob nun in Tivoli, auf heimatlichem
Boden oder aus Freiem mit genreartigen Motiven entstanden, daß sie seinen
Bildern gleichfalls ferne standen. Durchaus Werke seiner Jugendperiode, bilden
sie zum großen Teil Reiseerinnerungen in Rötelstudien, die er dann mit dem
Bisterpinsel umzeichnete.

Hilfszeichnungen.
1. Der Karton.

Cartone grande, Spolveri, Cartoncino — Cartocnen.

Kartons sind Hilfszeichnungen in Kohle oder Kreide, oft mit weißer Allgemeines.
Höhung, nach Bedarf auch mit Wasser* oder Deckfarben koloriert, seltener in
Federtechnik. Sie wurden nach einem gut durchgearbeiteten Entwurf entweder
frei oder mit dem Netze in Größe und Format des zu malenden Bildes aus;
geführt, um schließlich auf die Mauer, Tafel oder Leinwand übertragen zu
werden. Obwohl im allgemeinen Werkstattbehelfe, konnten sie sich bei ein*
zelnen Künstlern zu Kunstwerken erheben. Auch sie erlebten eine zeitliche
Entwicklung, einen zeichnerischen Aufschwung bis zur Monumentalität, um
mit der ins Ungeheure steigenden Flächenbemalung in Kirchen und Palästen
zur Zeit der späten Barocke und des venezianischen Rokoko wieder der Gering*
Schätzung zu verfallen. Leonardo strebte eine Höhe an, wie sie vor ihm noch
nicht bestand. Seine und Michelangelos Kreidekartons wurden für Florenz zu
Ereignissen. Man stellte sie aus und die Künstler umdrängten sie. Als Leonardo
jenen zur hl. Anna selbdritt vollendet hatte, wurde er dem öffentlichen Besuche
freigegeben und man sah zwei Tage lang Männer und Frauen, Jünglinge und
Greise wie zu einem glänzenden Feste wallfahrten (Vas. Mil. IV, 38). Raffael
erkannte den Vorzug dieser großzügigen, breiten Ausdrucksweise für ein
scharfes Gestalten seiner Ideen und ließ seine Phantasie in solchen kraftvollen
Konzeptionen ausleben.

'Vgl. A. P. 903. 2 Albertina, Inv. Nr. 12190; 24'2 X 35 cm; Kreide.
 
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