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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0566
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522

Hilfszeichnungen.

Nur die neugewonnene Sicherheit in der Wiedergabe aller menschlichen
Formen ermöglichte dieses Zeichnen im größten Maßstabe. Noch die Cartoni
des späten italienischen Barocks enthüllen, in der Nähe betrachtet, ein Wissen,
eine Gewandtheit und Technik, die alles Staunen erregen. Der Karton war
schon frühzeitig nicht allein Behelf zur Klarmachung der Formen und des
Lineargerüstes1, sondern zugleich der Weg, schon vor dem Schaffen auf der
Tafel allen geistigen Ausdruck herauszuholen (Abb. 243)2. Der Marienkopf
Leonardos enthält bereits das .Lächeln inneren Glücks und alle Anmut der
Seele', wie sie später in geänderter Form im Louvre*Bild erscheinen. Im Gegen*
satz zu solchen vollendeten Werken standen freilich jene handwerksmäßig ge*
haltenen Kartons für Teppichweberei, Mosaikarbeiten, Marmors
intarsien oder für Sgraffiti und Glasmalereien3.

Herkommen. Woher kam der Cartone grande? Ich meine, wohl nur von der kompli*
zierten Technik der Mosaikkunst und der Glasmalerei. Man kann sich die
Entstehung der Alexanderschlacht (Neapel) oder der musivischen Arbeiten in
den Chornischen und Seitenwänden der Basiliken christlichen Mittelalters nicht
ohne Vorzeichnung im großen Maßstabe vorstellen. LIaben wir für jene Zeiten
. auch keine Nachweise, so belehren uns Berichte aus späteren Jahrhunderten,
wie der des Theophilus über Glasmalerei, oder jener Vasaris über die Mosaik*
technik (Mil. I, 196), daß naturgroße Vorlagen in Verwendung standen.

Holzkarton. Die früheste, bereits S. 347 angeführte Quellennachricht über die Technik
der Glasmalerei haben wir aus Theophilus nach der Wende des 11. Jahr*
hunderts, darin uns die Beschreibung der Holzkartons überliefert wird4.
Papier* Diese Prozedur erfuhr ihre Vereinfachung, indem man zusammengeklebte Papier*
karton. bogen auf Brettern fixierte und darauf mit Kohle die einfachen Kompositionen
zeichnete. Cennini kennt sowohl diesen Vorgang der Glasmaler als auch das
Spolverare der Tuchmaler und den Ausdruck spolverezzi statt ,Cartone' in
unserem Sinne5. Es darf nicht wundern, wenn diese Hilfszeichnungen eines Tages
von den Malern für übergroße Wandfresken angewendet wurden und vielleicht
zuerst von jenen, die auch Entwürfe für Kirchenfenster zu liefern hatten und
mit dem Verfahren der Glasmaler vertraut waren.
Cennini. Zu Cenninis Zeiten hatte man sich sowohl in der Fresko* als auch Tafel*

mal er ei noch mit dem direkten Zeichnen beholfen (siehe Kompositionsskizze
S. 287). Nach vielen anderen Erklärungen, wie das Fresko weiter auszuführen
sei, schließt Cennini mit der Ermahnung: «Du aber richte dich nach dieser
Regel, da Giotto, il gran maestro, sich ihrer bediente» (Kap. 67). So war es
unter Agnolo Gaddi, von dem es Cennini gelernt hatte, aber auch weiterhin,
bis endlich die neue Erkenntnis der menschlichen Form und aller Dinge eine
genauere Übertragung forderte. In Ermanglung alter Kartonreste für jene erste
Zeit suchte ich durch Konstatierung von Griffellinien in alten Florentiner

1 Qui fanno i pittori tutte le fatiche deü'arte, del rittarre dal vivo ignudi e panni di naturale,
e tirano le prospettive . . . (Vas. Mil. I, 175).

2 Karton in der Royal Academy in London. Kreide, Ausschnitt aus Vas. Soc. VI, 2.

3 Vas. Mil. I, 192 u. 199.

4 Theophilus, DiversaAim artium schedulae, lib. II, C. 17 (Quellenschr. VII, S. 119).

5 Cennini K. 171: Wie man Fenster arbeitet, und K. 141: Von der Tuchbemalung.
 
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