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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0286
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Der Weg zum Kunstwerk.
A. Zeichnerische Vorstufen.

Allgemeines. Die Goethesche Einteilung der der Wissenschaft Er*
gebenen in «Nutzende, Wissende, Anschauende und Umfassende» darf auch
von den Künstlern gelten, denn nach ihm ist Wissenschaft eine Kunst, so wie
nach Leonardo Kunst Wissen bedeutet. Während die ersten drei Stufen in die
Jahre der Einführung, der Erwerbung aller Kenntnisse und der Erleuchtung
fallen, steht die letzte auf einsamer Höhe, denn «die Umfassenden, die man
in einem stolzeren Sinne die Erschaffenden nennen könnte, verhalten sich im
höchsten Grade produktiv; indem sie nämlich von Ideen ausgehen, sprechen
sie die Einheit des Ganzen schon aus» (Naturwissenschaftl. Sehr., VI, S. 302).

Cennini, Alberti, Leonardo, Vasari, Armenino, Bernardino Campi u. a. m. Die drei
überliefern von einem zum andern dem Wesen nach immer dieselben Vors Stufen.
Schriften: daß der Weg zur Kunst mit dem gewissenhaften Ausnützen des
bereits Geschaffenen, mit dem Nachzeichnen bester Vorlagen, guter Meisters
Zeichnungen und Gemälde in Kirchen und Kapellen beginne und daß Kopieren
das Fundament jedes Unterrichtes sein müsse. Leonardo, wiewohl der Forts
schrittliche, allezeit Verbessernde, übernimmt ohne Bedenken diese Werkstatt*
Vorschriften in sein Malerbuch und faßt die drei Unterstufen kurz zusammen:
«Zeichne zuerst Zeichnungen von einem guten Meister ab, die eine
Kunstweise nach der Natur und nicht Manier zeigen (esempio), dann nach
dem Runden (di rilievo) und schließlich nach einem guten Naturvorbild
(di bono naturale)^.»

Das mittelalterliche E s e m p i o lebt weiter, wenngleich sich Form und Inhalt Esempio.
beständig ändern und erweitern. Aber immer dient es zur Übung der Hand,
zur Schulung des Auges und Formengedächtnisses. Die Konturierung, die
gegenseitigen Verhältnisse von Größe und Entfernung und das Nachempfinden
dunkler und heller Stellen, wie sie die Vorlage schon entgegenbrachte, waren
die gleichen Dinge bei dem Knaben Giotto wie bei dem jungen Rembrandt.

Und ebenso bildete die weitere Anwendung dieser kleinen Errungenschaften Rilievo.
auf wirkliche Körper, das RilievosZeichnen, die nächste durch Jahrhunderte
laufende Schulregel. Ob sich dies an Formen toter Modelle oder an einfachen
Naturobjekten vollzog, ob sich hier Zwischenstufen einschoben, wie sie Leonardo
empfahl, das Runde mit Zuhilfenahme einer schon vorhandenen Zeichnung

1 Leonardo §§ 82, 47, 63.
 
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