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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0645
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II. Raumplastik.

ALLGEMEINES. Alle Bildplastik beruht auf Raum* und Licht.
Perspektive. Während erstere in gesetzmäßig bestimmter Anordnung der
Einzelteile innerhalb der Bildfläche besteht, adäquat den wirklichen Punkten,
Richtungslinien und Flächen der Objekte, wie sie dem Auge des Zeichners
von einem Punkte aus erscheinen, gibt letztere, entsprechend der jeweiligen
Entfernung vom Beschauer, den Grad und die Stärke jeweiliger Lichts und
Schattenwirkungen an denselben Objekten, um Körper?, Raum; und Ortsverhälfs
nisse im gegenseitigen Zusammenhange täuschend greifbar zu gestalten. «Das
sind nämlich die beiden Perspektiven (Je due prospettive) als: Abnahme der
Größe und der Deutlichkeit der in weiten Abständen gesehenen Dinge und
zweitens Abnahme der Farbe, und welche Farbe bei Gleichheit der Abstände
zuerst abnimmt und welche sich am längsten erhält» (Leonardo, § 132).

Von den primitiven Anfänge« perspektivischer Behelfe wie Übereinander*
stellen (statt hintereinander), Hintereinanderstellen mit sichtbaren Überschnei*
düngen bis zur sukzessiven Verkleinerung, Einführung von Leitlinien von
vorne nach rückwärts, zunächst bei Figuren an Gewandfalten, dann bei Ge*
bäuden an Ebenen (Seitenwänden, Mauern, Gesimsen, Fußboden, Decken,
Möbelstücken) — bis zur vollen kubischen Wirkung liegen Jahrtausende.

Während von der einen Seite die künstlerische Beobachtung rein praktisch
in eine bessere Raumerfassung eindrang, versuchte die spekulative Gelehrsams
keit auf dem Wege der Optik und Geometrie die Geheimnisse der Gesetz«
mäßigkeit zu ergründen. Die Resultate beider stießen nicht ohneweiters zus
sammen, sie gingen aneinander vorüber wie Wanderer, die sich nicht kennen.
Und selbst zur Zeit, als der Maler die Regeln der geometrischen Perspektive
kennen gelernt hatte, verfuhr er noch gerne nach künstlerischem Bedarf, indem
er die Gebundenheit stillvergnügt hintansetzte. Bramantino noch führte drei
Wege des Raumzeichnens an: als ersten jenen des Augepunktes (ßi punto), als
zweiten das freie genaue Nachzeichnen der Natur (imitando il naturale) — von
dieser Art treffe man mehr Maler als von der andern — und schließlich den
Behelf des Fadennetzes (con la gvaticola)^. Der Wohllaut der Flächenverhältnisse,
besonders in frontalsymmetrischen Ansichten, erschien vielen Künstlern will«
kommener und wichtiger als die genaue, aber hart formende Konstruktion. Heute
noch vermittelt der Architekturmaler geschickt zwischen Regel, Augenmaß, Instinkt
und Geschmack und korrigiert, selbst wenn er nach Photographien arbeitet, das
optisch zwar richtig erzielte, künstlerisch aber unbrauchbare Bild der Camera.

Die beiden
Perspeks
tiven.

Raum»
Perspektive.

Ver-
schiedene
Wege.

1 Lomazzo, Tratt., p. 275.
 
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