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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0498
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Die Bildniszeichnung.

Allgemeines. Eine gute Porträtzeichnung bedeutet eine Naturstudie, die außer der genauen
Erfassung der individuellen äußeren Form noch die feinste Beobachtung inneren
Lebens des Dargestellten bedingt1. Die letzte Stufe der Vollkommenheit erreicht
sie, wenn sie gleichzeitig die persönliche Ausdrucksweise des Künstlers enthält.
Diesen Forderungen standen indes, besonders im gemalten Bildnis, oft Henu
mungen gegenüber, die von dem Mangel an Menschenkenntnis und technischen
Erfahrungen, aber auch von der mitsprechenden Eitelkeit der Dargestellten aus«
gingen. Böcklin hieß in einer Stunde des Unwillens das Porträt die elendeste
aller Kunstgattungen, weil hier der Künstler am meisten gebunden sei2.

Das Aufsuchen der genauen Verhältnisse aller Gesichtsteile, der Gesamt*
haltung nannten die Italiener n'frarre dal naturale (ritratto), die Deutschen
Angesicht corttetfetten, contexfeyen oder kurz Abrisz3. Die Franzosen leiteten
ihre Bezeichnung portrait von portractus, protractus her.
Zeichnung Vom Anbeginn hatte die Zeichnung dies alles im kleinen oder großen
und Bild. Maßstabe zu ermitteln. Versuchte auch der Berufsporträtist des 16. Jahrhunderts
bereits das, was er an Leben und Charakter aus seinem Modell herausfühlte,
gleich mit Pinsel und Farbe zu erreichen, so behielt die Bildniszeichnung dennoch
vor und nach dieser Zeit, von ihrer disponierenden Aufgabe abgesehen, anderen
Studien gegenüber stets ihre besondere Bedeutung. Ob sie in gleichmäßiger
Vollendung oder nur in allgemeinen Umrissen ihr Ziel verfolgte, so vermochte
schon das Interesse an der Person eine selbständige Rolle zu spielen und ihr
für Generationen eine pietätvolle Wertschätzung zu verleihen. Außerdem hatten
viele der gezeichneten Porträts früher Zeit vor den in Tempera und selbst in
Ölfarbe gemalten eine unvergleichliche Frische und Unmittelbarkeit voraus. Das
konzentrierte Schaffen und die Zufälligkeit der Sitzstunde sprachen lebendiger
aus ihnen als aus den mit allegorischen und dekorativen Zutaten versehenen
Ausführungen. Dürers Maximilian in der Albertina mit der kostbaren Hand*
schrift trägt noch den Odem jener denkwürdigen Sitzung an sich. Und darum

' Wiewohl die Bildnis» und Landschaftszeichnung den Teilstudien anzuschließen wären,
erfuhren sie dennoch eine separate Behandlung, weil die meisten von ihnen tatsächlich als
selbständige Kunstwerke eingewertet wurden.

2G. Floerke, Zehn Jahre mit Böcklin, 2. Aufl. München 1902, S. 91.

3 F. Winter, Über griechische Porträtkunst. Berlin 1894. - J. Burckhardt, Das Porträt
in der italienischen Malerei (Beitr. z. Kunstgesch., Basel 1898, S. 145 ff.). — Lehmann, Das
Bildnis bei den altdeutschen Meistern bis auf Dürer, Leipzig 1900. — A. Warburg, Bildnis*
kunst und florentinisches Bürgertum, Leipzig 1901. — E. Schaeffer, Das Florentiner Bildnis,
München 1904. — K. Woermann, Die italienische Bildnismalerei der Renaissance, Esslingen
1906. - W. Waetzoldt, Die Kunst des Porträts, Leipzig 1908. - Elsa Fröhlicher, Die Porträt»
kunst H. Holbeins d. J. Straßburg 1909 (Studien z. deutschen Kunstgesch. 117). — Grete
Ring, Beitr. z. Gesch. niederl. Bildnismalerei, Beitr. z. Kunstg., N. F. 40.
 
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