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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0042
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Die Zeichnung als künstlerischer Ausdruck.

Person»
liches.

Formale
Ausdrucks«
fahigkeit.

Was dem Dichter gedankliche Notizen und Dispositionen, Tagebücher
und Briefe, das bedeuten dem Künstler in weit höherem Maße Skizzen und
Handzeichnungen. Lebendige Zeugen seiner innersten Natur, voll Intimität
und Persönlichkeit, von der momentanen Schaffenslust geboren und nur für
ihn bestimmt, enthüllen sie seine Seele voll und ganz, während Gemälde,
allerlei äußeren Umständen wie technischen Schwierigkeiten, Auftragsmodalitäten,
der mitredenden Kritik und dem Markte unterworfen, das Persönliche leicht
umstellen. «Zeichnungen sind nur für den Künstler selbst da und allenfalls
für diejenigen, die er an seinem inneren Prozeß teilnehmen lassen will»
(Hans von Marees).

All sein Tasten und Suchen, Ringen und Streben, der Natur in ihren
wundersamen Formen nahe zu kommen, das unermüdliche Umgestalten koms
positioneller Gedanken, Verwerfen und Neuaufgreifen, sein Aufsteigen und
Abfallen — kurz der stimmungsreiche Werdegang offenbart sich in dem
Studienmaterial eines zeichnerisch begabten Künstlers schärfer und lebendiger
als in seinen anderen Werken.

Selbst in den Urtagen bildete sie schon eine selbstherrliche Äußerung,
als der Kelte die Wand seiner Höhle mit Tierumrissen schmückte; denn diese
Versuche entsprangen nicht einem Bedürfnisse, sondern angeregter Laune, dem
unwiderstehlichen Drang des Nachahmungstriebes. Höhlenwohnung, Schutzhütte,
Mauern und Dach verdankten ihr Entstehen der Not, der simpelste Innens
schmuck aber der Daseinsfreude und Gestaltungslust.

Wird die Zeichnung zum vermittelnden Organ von Künstler zu Künste
ler, zur sichtbaren Aussprache zwischen ihm und dem Besteller oder zur klärenden
Unterweisung für den Kunsthandwerker, so verliert sie im vorhinein einen Teil
ihres Persönlichen. Wenn Giotto ein Grabmal, Signorelli ein Pluviale, Holbein
Dolchscheiden skizziert, so enthalten diese Entwürfe, weil an fremde Technik
gebunden, bereits Konzessionen.

Deutlicher als das Psychische offenbart sich das Formale eines Künstlers
in seinen Handrissen und in deren bewunderungswürdigen Befähigung zur
mannigfaltigsten Ausdrucksweise. So verhältnismäßig wenig Zeichenmittel zur
Verfügung stehen, so endlos vielgestaltig wächst deren Äußerung von Künstler
zu Künstler, von Jahrhundert zu Jahrhundert und ihre Entwicklung fand ebenso*
wenig einen Abschluß als die Kunst überhaupt. Das Ausmaß geistiger und
physiologischer Anlagen, erworbener Kenntnisse, Erinnerungen und Erfahrungen
wird in dem Abringen der Form vor dem Naturvorbilde mittun. Jeder wird
 
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