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Die Zeichnung als künstlerischer Ausdruck

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nach seiner Weise zum Ziele gelangen wollen, der Wege dahin werden so viele
sein, als es Künstler gegeben hat und noch geben wird.

Handzeichnungen mit ihren bescheidenen Darstellungsmitteln sind am
wenigsten in der Lage, dem Modell in Form und Farbe so nahezukommen,
al* daß nicht ein großer Rest von Unerreichtem sich ergeben würde1. In
di«em optischen Defizit und in der materiellen Beschränktheit liegen aber die
unbegrenzten Freiheiten der mitschaffenden Phantasie und damit auch ein Stuck
Ejgenart künstlerischer Natur.

Die Formdifferenz vervielfacht sich beim Nachzeichnen eines plastisch
runden Körpers, z. B. eines Kopfes. Die Flächensilhouette schwankt ununter*
krochen, je nachdem das linke oder rechte Auge oder beide zusammen den
Stift leiten. Das Verlockende des Dreidimensionalen reizt Zeichner und Maler
kontinuierlich, neben der reinen vorderen Projektion auch die Seitenflachen zu
betrachten und unwillkürlich Elemente davon in das Gesamtbild aufzunehmen:
Den evidenten, von einem geometrischen Punkte aus gesehenen und so ent*
standenen planimetrischen Umriß einer kubischen Form kennt die Kunst -
glücklicherweise - nicht, es sei denn, daß man wie in der heut.gen Portrat,
malerei Photographien benützt. n.

Zu dem unfreiwilligen Abweichen von dem Vorbilde tritt die bewußte
Änderung. Man reduziert das Format, man verbreitert, verlängert die Ver,
bältnisse, läßt weg und gibt hinzu, man verdickt oder verdünnt und korrigiert
auf diese Weise die Natur nach eigenem Empfinden und Geschmack. Das
Landschaftszeichnen bietet hier reiches Vergleichsmaterial. Alle stilistischen
Eigenheiten basieren auf dieser scheinbaren Willkür. Und ebenso alle der
Zeichnung verliehenen Gefühlswerte (Expressionismus). Es sind nicht seltene
FäUe, daß sich bewußte und unbewußte Veränderungen gleichzeitig vollziehen,
^ie z. B. in Darstellungen rasch bewegter Körper, wo «zeitlich verschiedene
Phasen kombiniert» aufgefaßt werden, weil einerseits das Auge den Einzel,
Moment nicht zu fassen vermag, anderseits der Künstler den «überzeugenden
und notwendigen Eindruck der gesamten Bewegung» erzielen will".

Jn einfachster Weise veranschaulicht sich der Vorgang bei zeichnerischen
Kopien. Wenn Dürer Mantegnas Stiche kopiert (Abb. 5 und 6), Elshenner
S«che von Lucas van Leyden oder Rembrandt eine Zeichnung von G. Belhni,
so ist dies nur ein inhaltliches Wiedergeben3. Die Form im einzelnen wird
unbewußt umgestaltet: eine dichterisch freie Übersetzung in eine andere Sprache.

Während das starke Talent das Naturvorbild aus Eigenem künstlerisch
rücksichtslos umgestaltet, hantiert der Nachahmer mit eingelernten Formeln.
°b er seinen Typus einer bevorzugten Quelle entnommen oder frei nach ver*
schiedenen Meistern zusammengebaut, seine Formen werden bei aller technischen
Geschicklichkeit sein falsches Verhältnis zur Natur verraten. Indem er vor ihr

, 'Hermann von Helmholz stellt in «Optisches über Malerei» die rein Pj)^
Unterschiede zwischen Naturprodukt und Kunstwerk fest und weist daraufhin, daiS Oie
Kunst ein Naturbild auch nicht annähernd treu nachzuahmen vermag. siene u
mann, Naturprodukt und Kunstwerk, Dresden 1911, S. 24

2 Ludwig Volkmann, Das Bewegungspröblem in der bildenden Kunst, 1908, !>. W.

3 Mantegnas Stich B. 20. - Dürer, Ausschnitt, L. M. 454. 2

Med«, Handzeichnung. 2. Aufl.

Natürliche
Beschränk
kung.

Künst*
lerisches
Ändern.

Stil und
Manier.
 
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