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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 21.1895 (Nr. 223-235)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16559#0093
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

89

Lin gründlicher Räuber.

Attackierte Daine: „was mollen Sie denn nc>ch? Ich habe
Ihnen doch bereits mein ganzes Geld und meincn sämt-
lichen Schmuck gcgeben."

Strolch: „ksaben 5ie wirklich nichts mehr von Gold oder Silber?
Gengen's, laffcn's einmal Ihr — Gebiß anschan'nl"

Verbachtsmomente.

^,rau Toni wcrner weilte seit lH Tagen znr Stärknng ihrer
^ Nerven in dem Gebirgsdorse St. Wendel. Ueber ihr
Besinden nnd die sxärlichen Ncnigkeiten, die sich in dieser
weltabgelegenen „Sommerfrische" ereigneten, berichtete
sie gemissenhaft wöchcntlich zweimal ihrem Gatten, dem jDrofessor
der j)ililologie, Gottlieb werner. Die Briefe der jnngen Frau
warcn in innigem Tone gehalten; ungesnchte Morte knndeten
ihrc Sehnsncht. — Trotz aller Liebesversichernngen hatten die
drei letzten Briefe Tonis den profeffor mit Mißtranen erfnllt.

Grüblerisch stndierte er die Schriftstücke, verglich sie mit
älteren; snchte die Briefe aus der Brautzeit herbei, — aber anch
diese bewiesen, daß seine Vermntnng, Toni habe in ihren drei
letzten Briesen einige charakteristische sxrachliche Fehler
geschickt vermieden, begründet sei.

Diese Thatsache erschien dem jdrosessor um so rätselhafter,
als er sich srüher sehr oft vergebens bemüht hatte, seine junge
Frau aus gewisse seine sprachliche Unterschiede aufmerksam zu
machen Toni hatte zwar immer mit großein Interesse seinen
Lrklärungen zngehört, doch, sobald sie die Lehren xraktisch an-
wenden wollte, irrte sie immer wieder.

Lines Tags, nach einer sehr ausführlichen Auseinander-
setzung, in welchen Fällen die Ronjunktion „als"nnd in welchen
Fällen „wie" zur Anwendung kommen müsse, welche die junge
Frau nicht recht begriff, sagte sie schelmisch: „Ach was, — du
verstehst doch was ich sage, wenn ich auch kein klassisches Dentsch
rede —, und das ist doch die Lsanxtsache."

Dieses Argument von einem Ruß begleitet war für den
jdrofessor überzeugend; von nun an unterließ er alle grammati-
kalische Belehrung .... Nach und nach war er ohnedies zu

der Ueberzeugung gelangt, daß das lveib überhanpt sprach-
liche Feinheiten nicht meistern könne .... Und jetzt lagen dic
drei letzten Briefe seiner Fran vor ihm, jeder ein Mnster kor-
rekter Satzbildnng, Wortanwendnng und Interpnnktion. Die
wörtchen „als" und „wie" waren nicht einmal falsch gebrancht,
das nnbestimmte Zahlwort „kein", das sie früher hänfig sür
das adverbiale „nicht" angewendet hatte, war vermieden, das
hypothetische „ich würde" schrieb sie nur vor einer Begründung
u. s. w. So ost er die Schriftstücke prüste, eine sprachliche oder
logische Unrichtigkeit vermochte er nicht zu entdecken; alle^ehler,
die noch so tief eingewnrzelt schienen, waren geschickt vermieden.

Der jdrofessor, von jeher gewohnt, allen Dingen anf den
Grund zn gehen, legte sich die Frage vor: „woher stammt so
plötzlich dieser sehlerfreie Gebrauch der Sprache?"

NachdeM sein logisches Denken die Lrscheinnng von allen
Seiten gcprüft, kam er zu dem zwingenden Schlnß: „Ein Zn-
fall kann das nninöglich sein." ....

In seinen Gedankengang mischte sich die Lrinnerung an
einen französischen Roman, den er vor einigen Tagen gelesen
hatte. In jener Lrzählnng ward ein weib geschildert, das
von einem Badeorte ihrem Gattcn nach jdaris die zärtlichsten
Liebesbriefe schrieb, die ihr Liebhaber ihr diktierte.

Der jdrosessor dachte nnd grübelte so lange, bis in seiner
jdhantasie jene Romanfignr nach nnd nach Gestalt nnd U)esen
seiner Fran angenommen hatte .... Unwillkürlich ballte cr
die Faust .... Sollte seine Toni sich so weit vergessen — ?
Unmöglich! — Gewaltsam suchte er den verdacht zn banncn ....
Seine düsteren Gedankcn zn verschenchen, ging er ins Rasino —

Doch schon sehr bald kam er wieder nach Lsause. Seine
Stimmnng war noch mürrischer geworden. lvaren ihm doch allc
Bekannte heute so sonderbar vorgekommen .... Weshalb
hatten sie gerade bei seiner Anwesenheit von nichts als Lhe-
brnchsgeschichten gesprochen? lvaren nicht alle Blicke mit einem
vielsagenden Nitleid ans ihn gerichtet gewesen? Sollte es ganz
absichtslos geschehen sein, daß ein jnnger Naler, ohne lvider-
spruch zu erfahren, behanpten dnrfte: „Ia, trau' einer den Wei-
bern, sie taugen alle nicht viell" —

Nachdem er die Briefe nochmals einer resnltatlosen Rritik
nnterzogen hatte, snchte er sein Lager anf. Nicht lange danerte
es und die jdhantasien des Tages nmgankelten ihn auch im
Tranme. Lr erblickte einen hübschen Nann, der Toni küßte,
mit ihr scherzte, dann einen an den prosessor gerichteten Brief
vom Tische nahm nnd lächelnd sagte: — „aber wie dars die
Gemahlin eines so bedeutenden jdhilologen solche sprachliche
Schnitzer machen?" Toni klatschte vergnügt in die Lsände und
bat: „Du korrigierst mir den Brief, ich schreibe ihn dann ab . . .
U)ie wird sich mein Männchen sreuen, wenn er von mir einen
Brief ohne Fehler empsängt . . . ." Als er am srühen Morgen
aus seinen peinigenden Träumen erwachte, flüstcrte er: „ja, so
verhält sich die Lache, eine andere Lrklärnng ist nicht zn finden".
.... Die Untreue seiner Frau schien ihm so gut wie erwiesen.

Ljatte die Lntdecknng der Schuld ihm manchen logischen
Schluß gekostet, so gestaltete sich das Erraten des Schuldigen
umso einsacher: ein gewöhnlicher Lebemann konnte sein Neben-
buhler nicht sein, „denn nnr ein philologe, nur ein Mann von
Fach beachtet derartige Sxrachfeinheiten."

So sehr auch die Täuschung ihn betrübte, ein wenig ge-
lindert wurde doch sein Schmerz durch den Triumph seiner
N)issenschast, die so rasch und prompt das verbrecherische Ge-
heimnis gelüftet und durchschaut hatte ....

Seinen Lntschlnß, zwei wochen der Ferien am Meeres-
strande zu verbringen und dann seine Frau in St. Wendel zu
besuchen, gab er jetzt auf. Lofort wollte er das sündige
 
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