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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 43.1900 (Nr. 510-522)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20908#0055
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Me ggendorfers humoristische Blätter.

^7


mitzufahrenl Ls vergeht eine viertelstunde und es riihrt sich
nichts. Marie sitzt wie angewurzelt, sie scheint an einem Bis-
kuit zu knabbern.

Da horch, endlich knarrt die Trexpe wieder.

lvir atmen erleichtert auf;aber was istdas,das Geräusch kommt
ja näher, statt sich zu entfernen. lvahrhastig, es kommt noch jemand.

N. blickt durch das Schlüsselloch. Es ist der Aassierer der
Genossenschaft, der auch mit seiner ÜZuittung schon des öftern
unverrichteter lveise in N.'s Tuskulum geklettert ist. Die Thiire
ist sehr dünn, man kann jedes lvort, das außen gesprochen
wird, vernehmen.

„Ist kjerr N. nicht da?" fragt der Kassierer die blonde Marie.

„Noch nicht," erwidert diese unbefangen; „aber mich hat er
herbestellt, und da wird er jedenfalls noch kommen." — „lvenn
ich sicher wüßte, daß er käme, und noch sicherer, ob ich auch
einmal mein Geld bekomme, könnte ich Ihncn etwas Gesell-
schaft leisten."

„Setzen S' Ihna nur her zu mir, eine halbe Stunde haben S'
doch übrigl"

Der Uas-
sierer setzt sich
zur Marie,
packt diese um
die Taille und
die Unterhalt-
ung beginnt.

>,5ie, glau-
ben S', daß der
was hat?"

lllit dem
rechten Dau-
men deutet
Marieüberdie
Achsel nach der
Atelierthüre.

Unter „was"
hat man im-
mer Geld zu
verstehen.

„Ichglaub'

net recht, sonst hätt' er mir die lumpigen zwölf lNarkl schon
lang zahlen können," erwidert der andere.

„Zu mir hat er g'sagt, cr thät' inich heute auszahl'n, s'
Uiodellgeld sür die letzte lvoch'n krieg i no, auf heut' hat er
mi eben herbestellt."

Der Kassierer stößt einen pfisf aus, und sagt ganz unver-
schämt: „Dann bin ich sicher, daß er heut' net kommt." Lr er-
hebt sich von der Treppe, geht auf die Thüre zu und klopst
recht ungezogen sest an.

wir riihren uns natürlich nicht. Der Dackl, der ehemals
braun war, wird schon blau, weil ich ihm die Schnauze so fest
zuhalte, um ihn am Bellen zu verhindern. plötzlich hören wir,
wie der Kassierer zu lUarie sagt: „Riechen S'kein'Ligarrenrauch?
da gehen S' einmal her an die Atelierthüre und riechen S' selber."

Die steht auf, sireckt ihre Nase an die Thüre hin und
drückt mit aller Gewalt gegen die Thiirspalte.

„Ich weiß net," sagt sie, „ich hab' einen solchen lkatarrh,
daß ich nichts riechen kann, aber ich meinet schon auch, daß
nach Ligarren riecht."

„Dös wär' aber die höhere Gemeinheit," sagt sie plötzlich,
„bal er drinn wär', meinetwegen, ich hab' Zeit, ich setz' mich
da auf d' Stieg'n her und wart' bis Nacht wird."

„kjeiliger Bimbam, jetzt wird's gemischt," denke ich mir und
N. und ich beschließen, was zu thun ist.

„Die geht schon, warten Sie nur noch ein wenig," sagt N., dem

es sehrdarumzu thunist, in diesemFallenicht „erwischt" zuwerden.

Der ltassierer, der doch eingesehen hat, daß er umsonst herauf-
gestiegen ist, entfernt sich. Ihm kann's ja gleich sein, ob er
etwas oder nichts bekommt, kriegen thut er von dem Geld ja doch
nichts, und Trinkgelder beim Geldeinsammeln gibt es auch keine.

lNarie hat sich indessen wieder auf ihren Beobachtungs-
posten niedergelassen, und beginnt zum Zeitvertreib zu xfeifen
und mit dem Stiefelabsatz den Takt dazu zu schlagen.

„j)s jetzt bald a Ruh, da ob'nl" ruft plötzlich eine Stimme
im schönsten Bierbaß herauf.

Wir Belagerten lauschen angestrengt. Der kjausmeister ist es.
„lllan wird sich wohl noch rühren dürfen, um sein Geld,"
ruft die blonde Bestie die Stiege hinab.

Gewichtige Tritte nahen von unten.

N. srohlocktl „Wenn's jetzt einen Streit gibt, sind wir
gerettetl Dcr kjausmeister jagt sie dann einfach sortl"

Inzwischen ist der Wächter des kjauses, der Lerberus Franz
Faver lllittermaier die Treppe heraufgekommen. Wieder ent-

spinnt sich ein
Dialog.

„was falli
Ihnen denn
ein, so einen
Spektakel zu
machen, über-
hauxts, war-
um sitzen S'
denn da auf
der Stieg'n?
dös gibt's in
dem ksaus sein
net, daß man
da so 'rum-
flankelt I"
„kjerbestellt
bin i halt
word'n, weil i
mein Geld
krieg'n sollt;
jetzt is aber

der saubere kjerr drin, und macht net auf, und jetzt wart i ein-
fach aus der Stieg'n, denn 'raus muß er ja doch nochl"

„Dös gibt's net, auf der Stieg'n 'rumsitzen, marsch dich
Aatz, wenn S' warten wollen, dann warten S' aus der Straß',
vorwärts nur gleich weiterl"

Wäre in diesem llloment durch Zaubergewalt etwa der
kjerr Franz lkaver plötzlich ins Atelier gekommen, wir beide
wären ihm um den kjals gefallen, wenn ich auch annehme, daß
ihm zwanzig Pfennig von jedem lieber gewesen wären. Aber
die erstere lllethode des Dankes ist viel herzlicher und zu-
gleich billiger.

Unterdessen hören wir, wie die beiden die Treppe hinab-
gehen, der kjausmeister vor sich hinbrummend, sie immer xikiert
antwortend.

Als wir die beiden außer kjörweite glauben, laffe ich zu-
nächst meinem Dackl die Schnauze frei. Allmählich verliert er
die blaue, von Atemnot hervorgerusene Farbe und er wird
wieder so schön braun, wie er nur je war.

„Bombenelement, bin ich froh, daß das lllodell fort
ist," poltert Freund N. und beeilt sich, seinen sarbengeschmückten
INalrock auszuziehen und sich in die „Straßenkluft" zu werfen.
vorsichtigerweise gehe ich zuerst auf Rekognoszierung aus.
lNarie scheint das vergebliche ihrer Taktik eingesehen zu
haben, und xromeniert bereits, ab und zu zurückblickend, in
ziemlich beträchtlicher Lntsernung.
 
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