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Für alle Künstler kommt einmal die Zeit, wo sich die Leiden-
schaft der Parteigänger abkühlt, wo ihr Aktualitätswert verdunstet,
die Kraft der Schlagworte, die sie entstehen ließen, abnimmt, der
Nutzen, den sie einer Entwicklung brachten, den Genossen, die
mit ihnen gingen, den Interessen, die sie förderten, aufhört, wo
das Persönliche ihrer Wirkung verhallt und sie sich gleichsam nur
noch mit eigener Kraft, mit der Kraft ihrer Werke, bewegen.
Eine bedeutsame Zeit, fast so entscheidend wie die Epoche
der ersten Meisterwerke, bedeutsamer als die ihres lautesten
Ruhmes, voll mancher Bitterkeit. Es fällt Kunstwerken nicht
leichter, alt zu werden, als schönen Frauen. Manche, die aller-
meisten, gerade die, denen die Gunst der Menge folgte, vermögen
es nicht. Die Zeit nimmt ihnen die schäumenden Perlen, mit denen
die Begeisterung einst ihre Werke, als sie im Strome schwammen,
überzog, und zeigt ihre hagere Nacktheit. Eine bittere Zeit, am
bittersten, wenn sie der Künstler selbst noch miterlebt. Manche
Werke sterben zu Lebzeiten des Künstlers, und wir erfahren eines
Tages das letzte Datum seiner Biographie als letzte unfreiwillige
Überraschung wie die verschämte Korrektur eines Anachronismus.
Davor blieben die großen Meister der Generation von 1870 be-
wahrt. Manet starb zu Beginn eines spärlichen Erfolges. Der
Genosse aber, den er am höchsten stellte, erfährt bereits das
bittere Schicksal des Künstlers, der sich selbst überlebt. Man
bemerkt leichter die enorme Differenz zwischen dem einstigen
Prestige Monets und seiner gegenwärtigen Bedeutung als die ver-
hältnismäßig geringe Modifikation der Wertung eines Pissarro
oder Sisley, die zu Lebzeiten hinter Monet zurücktraten. Cezanne
begann für die meisten seiner Anhänger erst nach seinem Tode,
ist heute der Gott und der Götze der Jugend, und noch gärt
die Meinung über ihn in überhitzten Köpfen. Renoir tut selbst
noch zuviel zu seinem Werke hinzu, um der Gegenwart zu ent-
rücken. Der Streit der Machenden um die Frage, was höher
steht: das letzte Werk oder das frühere, erlaubt noch keinen Über-
blick über die riesige Schöpfung. Degas war und bleibt der große
Unbekannte, der sich dem Lobe der Schmeichler wie der Kritik
mit gleicher Hartnäckigkeit entzieht. Gauguin und van Gogh
sind, obschon längst gestorben, zu eng mit der Kunst des Tages
verknüpft, um jenseits von der Aktualität beurteilt werden zu
 
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