ebensowenig von der weisen Enthaltsamkeit eines Ingres, wie von
der Bewegungsfreiheit eines Delacroix besaß und zwischen beiden
zu vermitteln für gut fand. Er versuchte es wie der geborene
Routinier, dem kein Mittel zu billig ist, und vergaß über seinen
Rezepten die wichtigste Zutat, die den beiden vielumstrittenen
Koryphäen gemeinsam war, die Eigenheit einer in sich durchaus
natürlichen Anschauung. Er versuchte ein bescheidenes Maler-
talent, das für Kleinigkeiten wohl ausreichte, zu hohlen Parade-
bildern, deren verhältnismäßig geringe Anzahl ihren Wert nicht
vergrößert. Die Natur, die ihn in Seinen nicht reizlosen Studien
leitete, hatte an seinen Gemälden den geringsten Anteil. Von der
Skizze zum Bilde verlor sich jede organisierende Zeichnung, jede
ordnende Farbe. Er übermalte seinen eigenen Einfall bis zur
Unkenntlichkeit, und es wurde eine an Episoden reiche Begeben-
heit daraus, über die sich eine kunstlose Menge ungehindert in
endlose Betrachtungen ergehen konnte. Seine Geschicklichkeit
im Aufspüren aller populären Instinkte täuschte sogar die Maler.
Er war ein Routinier des Wortes und der Reklame und verstand
die vornehme Zurückhaltung Größerer, die vor ihm in den Schatten
rückten, geschickt auszunutzen. Seine versteckten Angriffe auf
Delacroix haben seinerzeit nicht wenig für die Unpopularität des
Meisters der Dantebarke getan. Seit dem Salon von 1847, auf
dem seine „Romains de la decadence“ zu sehen waren, war er
berühmt. Der Ruf des neuen Bildes zog ganze Scharen junger
Künstler in sein Atelier. In Deutschland bestimmte es geradezu
den Zug nach Paris. Heute findet man, wenn man im Louvre vor
dem Bilde steht, als Erklärung des Riesenerfolges nur dieses: es
war sehr groß und allgemein verständlich.
Manet kam 1850 oder 1851 zu Couture1. Es war kurz vor
dem Staatsstreich Napoleons, den Manet aus nächster Nähe mit-
erlebte. Die Nachrichten aus der Stadt hatten ihn und seinen
Kameraden Antonin Proust2 auf die Straße getrieben. Sie liefen
1 Theodore Duret (Histoire d’Edouard Manet. Floury, Paris 1902; Deutsche
Ausgabe bei Paul Cassirer, Berlin 1910) meint 1850; Bazire sagt „quelque temps
avant le coup d’Etat en 1851“. Gemeint ist der Staatsstreich vom 2. Dezember.
Die hier mitgeteilten Episoden werden von Bazire und Proust (siehe unten) berichtet.
2 Antonin Proust, der später Minister wurde, (gestorben 1905) ist von
der Schulbank im College Rollin an bis zum Tode einer der intimsten Freunde
14
der Bewegungsfreiheit eines Delacroix besaß und zwischen beiden
zu vermitteln für gut fand. Er versuchte es wie der geborene
Routinier, dem kein Mittel zu billig ist, und vergaß über seinen
Rezepten die wichtigste Zutat, die den beiden vielumstrittenen
Koryphäen gemeinsam war, die Eigenheit einer in sich durchaus
natürlichen Anschauung. Er versuchte ein bescheidenes Maler-
talent, das für Kleinigkeiten wohl ausreichte, zu hohlen Parade-
bildern, deren verhältnismäßig geringe Anzahl ihren Wert nicht
vergrößert. Die Natur, die ihn in Seinen nicht reizlosen Studien
leitete, hatte an seinen Gemälden den geringsten Anteil. Von der
Skizze zum Bilde verlor sich jede organisierende Zeichnung, jede
ordnende Farbe. Er übermalte seinen eigenen Einfall bis zur
Unkenntlichkeit, und es wurde eine an Episoden reiche Begeben-
heit daraus, über die sich eine kunstlose Menge ungehindert in
endlose Betrachtungen ergehen konnte. Seine Geschicklichkeit
im Aufspüren aller populären Instinkte täuschte sogar die Maler.
Er war ein Routinier des Wortes und der Reklame und verstand
die vornehme Zurückhaltung Größerer, die vor ihm in den Schatten
rückten, geschickt auszunutzen. Seine versteckten Angriffe auf
Delacroix haben seinerzeit nicht wenig für die Unpopularität des
Meisters der Dantebarke getan. Seit dem Salon von 1847, auf
dem seine „Romains de la decadence“ zu sehen waren, war er
berühmt. Der Ruf des neuen Bildes zog ganze Scharen junger
Künstler in sein Atelier. In Deutschland bestimmte es geradezu
den Zug nach Paris. Heute findet man, wenn man im Louvre vor
dem Bilde steht, als Erklärung des Riesenerfolges nur dieses: es
war sehr groß und allgemein verständlich.
Manet kam 1850 oder 1851 zu Couture1. Es war kurz vor
dem Staatsstreich Napoleons, den Manet aus nächster Nähe mit-
erlebte. Die Nachrichten aus der Stadt hatten ihn und seinen
Kameraden Antonin Proust2 auf die Straße getrieben. Sie liefen
1 Theodore Duret (Histoire d’Edouard Manet. Floury, Paris 1902; Deutsche
Ausgabe bei Paul Cassirer, Berlin 1910) meint 1850; Bazire sagt „quelque temps
avant le coup d’Etat en 1851“. Gemeint ist der Staatsstreich vom 2. Dezember.
Die hier mitgeteilten Episoden werden von Bazire und Proust (siehe unten) berichtet.
2 Antonin Proust, der später Minister wurde, (gestorben 1905) ist von
der Schulbank im College Rollin an bis zum Tode einer der intimsten Freunde
14