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Parallele zu Courbet. Das Niveau hat fich unverhältnismäßig erhöht. Keiner der Nachfolger hat fo
vollftändig mit eigenen Mitteln das Erbe des großen Barbaren realifiert. Von der urwüchfigen Kraft
ift nichts verloren gegangen, und es gelang, fie mit dem Geift der beiden größten Meifter Frank-
reichs,Delacroix und Corot, zu verfchmelzen. In Monet kam Courbet in den fiebziger Jahren zum
Durchbruch auf Koften vielerWerte, die feine Jugend verfchönern. In der Art desTemperaments,
in dem undifferenzierten Utilitarismus war Monet der nächfteVerwandte, nur von unverhältnis-
mäßig kleinerem Format. In den „Belle-Isle Marinen“ wirkt die Erinnerung an den Meifter der
„Woge“ wie letztes Echo. Auch der Materialismus, der die Nachfolger Monets zu ihren phyflo-
logifchen Experimenten verführt, ift mittelbares Erbe Courbets. Endlich könnte man auch zu
Degas, dem fremdartigften und verfchloftenften von allen, eine lofe Beziehung finden.Wenn man
1900 auf der PariferWeltausftellung von den „Cribleuses“ vor die „Baumwollfaktorei in New
Orleans“ trat, blieb man im Reiche derfelben Kunft.
In England brachte es der Realismus nur zu einer Auseinanderfetzung mit den Ideen Courbets,
nicht mit der Malerei des Meifters. Dagegen wurde der Maler von Omans in Deutfchland um fo
intenfiver begriffen. Hier gab er zuerft Viktor Müller, dann Leibi den Anftoß. Auch Thoma ver-
dankt diefem Impuls die fchönen Bilder feiner Jugend. Um Leibi und Trübner, fchließlich um
Liebermann bildete fich eine Schule, die einzigfte im Deutfchland des 19. Jahrhunderts, die nichts
anderes als malen wollte. Sie verehrt neben denAlten zumal inCourbet ihren intellektuellen, wenn
nicht perfönlich wirkfamen Begründer.
Ebenfoviel verdankt Belgien dem Meifter.Louis Dubois und Arton,Baron,Boulenger,Sacre und
Rops — foweit er zu malen verfuchte —, kurz die ganze Künftlerfchar, die neben Alfred Stevens,
dem Freunde Courbets, und Henri de Brackeleer das Befte der modernen belgifchen Malerei ge-
leiftet hat, geht mehr oder weniger direkt auf Courbet zurück. Viele Jüngere dankenihmihrDebut.
ImHolland der Maris, Mauve undMesdag teilt ermitDaubigny und den älterenFontainebleauern
die Rolle des Anregers. In Skandinavien und in der Schweiz und in allen Ländern, überall, wo die
Künftler fich auf das eigentliche Wefen der Malerei befannen, wurde der Geift Courbets zum
Förderer. Sein Name hat viele Torheiten gedeckt. Hält man fich an dasWefentliche, fo bleibt ihm
der Ruhm eines Befreiers.
Trotzalledem fteht Courbet im Schatten derVergeflenheit. Der Händler fchätzt die Bilder der
Nachkommen mit zehn- und zwanzigmal höheren Preifen; der Kunftbefliflene begnügt fich mit
der hiftorifchen Betrachtung. Die Verantwortung trifft Frankreich, das fich nicht entfchließen
konnte,über demgroßenKünftler denMenfchen zu vergeflen.Vielleicht wird diefe Gefinnung mit
denZufchauern derEreignifle von 1871 verfchwinden.Nicht wenig trug derLeichtfinn Courbets
zu dieferUnterfchätzung bei, weil er fich in den Jahren nach 70 geringerMitarbeiter bediente und
feine Signatur durch eine Menge kaum von ihm berührterLandfchaften entwertete 30. Man vergaß
über der Menge von Belanglofigkeiten die Werke.
Am empfindlichften hat ihm merkwürdigerweifer der auffteigende Ruhm feiner Nachfolger ge-
fchadet. F rankreich fehnte fich nach franzöfifcheren Künftlern. DieZeit ftand nach lichterenF arben,
nach leichteren und klangvolleren Kadenzen. Das „Begräbnis von Omans“ verfchwand hinter
dem „Dejeuner sur l’herbe“. Eine Untreue, eine bequeme Lüge. Die Epoche wollte nicht diefen
Repräfentanten, der ihren entfcheidendften Regungen denSpiegel vorhielt, und wappnete fich mit

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