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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0109
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BOTANIK DER SÄULEN

einem Stück gehauen. Dies der einzige Teil, der unserem
Empfinden nicht ganz gelöst scheint. Nach unten wird
das Kapitäl durch ein Band aus leicht gewölbten Ringen
sehr schön und einfach abgeschlossen. Das Verhältnis des
Kapitals zum Schaft ist überzeugend. Als Material der
Säulen verwendete man schönen Granit in verschiedenen
Farben. Namentlich ein roter tat es uns an. Wie muß er
auf dem schwarzen Basalt gestanden haben!

Als Gegenstück hat man am Eingang des ersten Saals
im Museum die beiden Säulen aus dem etwas späteren
Tempel des Unas, des letzten Königs der fünften Dynastie,
aufgestellt. Die Rippung in den Palmenzweigen ist unter-
drückt, und der Zweig ist Blatt geworden. Nur die Um-
risse und die schöne Ader in der Mitte blieben beibehal-
ten. Eine sehr glückliche Vereinfachung. Im Tempel des
Sahure kommt auch noch eine andere merkwürdige Säule
vor, die Bündelsäule, ein Typ, der sich in vielfältiger Form
bis in die späteste Zeit erhalten hat. Der Schaft setzt sich
aus mehreren, ich glaube acht Stengeln zusammen, die
nicht rund, sondern im Schnitt ellipsenartig gewölbt sind,
mit zugespitzten Kanten. Die Kanten liegen in der Peri-
pherie des Kreises und lassen das Rund entstehen. Das
Bündel verjüngt sich nach unten. Daher wird der Schaft
an der Basis merkbar dünner. Man erschrickt im ersten
Augenblick und hat Mühe, mit hergebrachten Begriffen
fertig zu werden. Das Organische hilft. Wunderbar, wie
der Steinmetz sich der Natur bedient und wie er sie bän-
digt. Diskretes Blattornament am Fuß deutet das Wachsen
des Bündels aus einer Wurzel an und motiviert die Ver-
jüngung. Das Kapitäl ist aus einer tulpenartigen Blüte ent-
standen, aber die Energie des Stils hat es tragkräftig ge-
macht. Kein Naturalismus, auf den unsere Skepsis lauert,
verzerrt den Stein. Sähe man eine Reihe dieser Säulen
nebeneinander, würde der letzte Rest von Fremdheit
schnell verschwinden. Borchardt hat die Herkunft aller

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