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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0072
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um dahinter zu kommen, wie er eigenthch dachte,
ob er Russe oder Deutscher war. Außerdem wollte
ich eigenthch ganz andere Dinge sagen, die nun
in mir bheben und rumorten. Schließlich hätte ich
sie ihm aber gar nicht sagen können. Was ging
mich Herr Remken und was ging ich ihn an?

Der Zug fuhr langsam in die Unendlichkeit weiter.
Ich saß da und rührte mich nicht. Das, was ich
früher gedacht und getan hatte, blieb langsam zuriick.
Remken lag im Schatten. Ich konnte sein Gesicht
nur sehen, wenn ich mich hinabbeugte. Er lag da,
ein schlafender Eremit. In diesem Augenblick
machte er die Augen auf. Ich tat so, als hätte ich
mich wegen meiner Schniirstiefel gebückt, zog sie
aus und legte sie unter den Pelzrock als Kopfkissen.
Nachher war ich im Kasino und saß an meinem
Platz neben Leopold, sah aber alles in einer sonder-
baren Schräge, als ob die ganze Tafel in einem Luft-
schiff stände. Was gesagt wurde, war undeutlich
und zerrissen. Ein dumpfes Geräusch surrte da-
zwischen. Exzellenz hatte gleichzeitig die Züge des
Kapitäns in Nowo-Georgiewsk. Leopold las mit
schmetternder Stimme die letzten Nachrichten des
Hauptquartiers vor, etwas, in dem sich der Name
Remken rhythmisch wiederholte und das nachher
nichts anderes war als das Stoßen des Waggons auf
den Schienen.

I eden Mittag oder Abend, wie es mit dem Fahr-
I plan paßte, wurde auf einer Station im Warte-
saal mit Remken eine Mahlzeit genommen. Eine
ungeheuere Wollust, in einen richtigen Wartesaal

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