Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0134
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
bare Wärme in der Kälte, als ich neulich auf der
breiten Straße kniete und oben in den Lüften etwas
Goldenes war. Je tiefer sich die Nacken und sträh-
nigen Schöpfe neigten, desto näher kam ihnen das
glitzernde Gold der Heiligen.

Ich glaube, sie bitten nicht um dieses oder jenes,
wie wir in unserem dreisten Aberglauben. Wo-
möghch denken sie nicht einmal an den Krieg. Sie
bitten um Glückseligkeit auf Erden. Ich glaube, sie
haben Augenblicke, wo sie dem Himmel nahe sind.
Plötzlich zerriß ein unerträglicher Laut von draußen
mein Ohr. So etwas wie eine Autohupe. Es klang
unerträglich gemein und unerträglich erfreulich. Ich
war nahe der Tiir aber im dichtesten Schwarm.
Der Oberst kniete drei Schritte von mir, den Stengel
zwischen den Zähnen, und sah nicht meine Biicke.
Rechts vom Eingang kniete eine Gruppe von ge-
fangenen Offizieren mit ernsten Gesichtern, auch der
Allerweltsmann. Keiner sah mich, obwohl ich der
einzig Aufrechtstehende in der ganzen Kirche war.
Ich bezwang mich mit Mühe. Ein Mensch neben
mir, mit langem, fettem Bauernhaar, der mich bei
jeder Verneigung streifte, wurde mir peinlich. Wo-
möglich hatte er Ungeziefer.

Nachher war es gar keine Autohupe gewesen.
Seit dem Sommer war kein Auto durch Mokrow
gekommen, und Stschukin konnte natürlich den kaum
abgegangenen Brief noch gar nicht haben.

Wenn ich zurückkomme, muß alles ganz anders
werden. Ich werde von vorn anfangen, du
auch. Meine sogenannte Tätigkeit muß aufhören.

120
 
Annotationen