Meier-Graefe, Julius: Die weisse Strasse (Berlin, 1930)

Totenhaus geschrieben. Dabei ist so ein Russe,
verstehen Se, an die Schweinereien seines Landes
gewohnt. Totenhaus, jawoll! Der einzige anständige
Mensch der ganzen Blase ist Kirchmayer, der Sachse.
Kirchmayers Vorfahren sind vor zweihundert Jahren,
denken Se mal, in Sibirien eingewandert, und er
besitzt in der Nähe von Omsk ein Gut von 900 Morgen,
’ne richtig jehende jute deutsche Landwirtschaft.
Ein ordentlicher Mensch, der Kirchmayer! Der
lange Zugführer geht auch noch. Wenn der allein
im Bureau ist, läßt er einen auch mal ohne Konvoi
raus. Aber der Feldwebel ist so ein Vieh, das von
rechtswegen immer besoffen sein müßte. Das fehlt
ihm, und deshalb ist er falsch. Die Abstinenz macht
solche Kanaillen zu Kloaken. Es ist überhaupt
ein Wunder, wie man ohne Alkohol in Sibirien
existieren kann. — Onkel Kuno und die anderen
sind seit acht Tagen hier. Die Krepost ist eine
Sammelstelle, von wo aus die Gefangenen nach
dem Osten verschickt werden.

Die Krepost ist eine Schmach für Rußland, aber auch
noch etwas anderes. Zum Beispiel ein Restaurant im
Zoologischen Garten mit Leuten auf der Terrasse,
die das Konzert anhören und sich amüsieren. Wenn
die Musik einmal schweigt, hört man die Viecher in
den Käfigen. Wir sind die Leute, die der Musik
zuhören und sich königlich amüsieren. Wir! Man
lernt erst hier, was ,,Wir“ bedeutet. Wenn einer
in einem Buch oder in einem Vortrag oder sonst
mit ,,Wir“ anfängt und behauptet, wir wüßten,
wir dächten, wir fühlten so und so oder wir dürften
das und das hoffen, begeht er einen Plural majestatis,

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