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Meyer, Alfred Gotthold
Oberitalienische Frührenaissance: Bauten und Bildwerke der Lombardei (1. Theil): Die Gothik des Mailänder Domes und der Übergangsstil — Berlin: Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Gropius'sche Buch- und Kunsthandlung, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.67334#0032
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Erstes Capitel. Die Gothik des Mailänder Domes. I.

selbe trotz der scheinbaren Verwandtschaft der Grundrifsdisposition über diese Mailänder
„Gothik“ das schärfste Urtheil fällen. In Köln am Chor ein vieltheiliger Capellenkranz, in
welchen der Innenraum gleichsam ausstrahlt; in Mailand ein schlichtes dreitheiliges Polygon;1)
in Köln die so wirkungsvolle Fortsetzung der Seitenschiffe als Chorumgang; in Mailand
— freilich abweichend vom ursprünglichen Plan — der starre Abschlufs der beiden äufsersten
Seitenschiffe unmittelbar jenseits des Querhauses durch die Sacristeimaucrn, die sich nach
dem Inneren mit selbständigen Oberfenstern öffnen. Und auch das constructive Gerüst des
Aufbaues mufste dem Deutschen wenig schulgerecht erscheinen,2) besonders durch die
Höhe der Seitenschiffe, welche nur niedrige Oberlichter gestattete, und ferner durch die


Abb. 2. Fagade des Mailänder Domes bei der Trauerfeier Kaiser Karls VI. 1741
nach einem Kupferstich des Marc. Ant. Dal Re.

gewaltige Ausdehnung der Chorfenster, die dagegen wieder für einen mit gothischcn Kathe-
dralen Englands vertrauten Meister nichts Auffallendes besafs.
Nur die Raumgestaltung und der constructiv mafsgebende Aufbau ist bisher in
Betracht gezogen worden, noch nicht die Decoration, und auch jene nur in solchen

1) Dieser Chorschlufs entspricht allerdings am ehesten süddeutschen Mustern, ohne -hier-
durch die Annahme, der ganze Grundplan sei süddeutschen Ursprungs, genügend zu beweisen.
2) Hinsichtlich der Gewölbe seien ferner die Bemerkungen von F. v. Schmidt (a. a. O. S. 228)
angeführt: „Bei dem Bau unserer (nordischen) Kirchen ... ist es bekanntlich stehende Regel, die Wider-
lager der Fensterbögen bedeutend höher als diejenigen der Gewölbe zu verlegen, wodurch jene
luftigen Fächergewölbe entstehen, welche dann nach aufsen zu jene mächtigen Strebe- und Pfeiler-
systeme bedingten, in welchen zum Theil der Reiz unserer Bauwerke beruht. Eine ähnliche Anordnung
findet sich in Oberitalien nur ganz ausnahmsweise, die Widerlager der Fenster und Gewölbe liegen
grundsätzlich auf derselben Höhe, und es ist einleuchtend, welche Consequenzen für den Bau sich
daraus ableiten. Dieses System der Gewölbe ist auch bei dem Mailänder Dom in der consequentesten
Weise eingchalten und charakterisirt ihn mehr als alles andere als einen echt lombardischen Bau. Hier-
mit im innigsten Zusammenhang steht die Gestaltung der Strebepfeiler im Aeufseren, welche zufolge der
sich ergebenden höheren Aufmauerungen über den Fenstern und der geschlossenen Form der Gewölbe
nicht jener mächtigen Ausladungen bedurften wie bei uns, und als Lisenen mit zumeist quadratischen
Grundrissen behandelt werden konnten.“
 
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