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Weinfurter, Stefan [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Stauferreich im Wandel: Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas — Mittelalter-Forschungen, Band 9: Stuttgart, 2002

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Struve, Tilman: Vorstellungen von »König« und »Reich« in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.34723#0300
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TILMAN STRUVE

Vorstellungen von »König« und »Reich«
in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts

Eine Betrachtung der Vorstellungen von »König« und »Reich« im 12. Jahrhundert
kann nicht losgelöst von den Entwicklungen und Erfahrungen erfolgen, welche
die vorangegangene Epoche gezeitigt hat. Haben die Auseinandersetzungen des
sog. Investiturstreites doch die mittelalterliche Welt weit über die begrenzte Pro-
blematik der Bischofseinsetzung hinaus geprägt und teilweise tiefgreifend ver-
wandelt. Insbesondere für das Königtum bedeutete der Investiturstreit eine
schwere legitimatorische Krise1. Keiner hat die Konsequenzen dieser epochalen
Auseinandersetzung deutlicher erkannt als der Geschichtsschreiber Otto von
Freising (t 1158), der Oheim Friedrich Barbarossas, der über seine Mutter Agnes
auch mit dem salischen Hause verwandt war, wenn er rückblickend bemerkte,
die Kirche habe dem Reich den entscheidenden Schlag versetzt, als sie dazu über-
ging, den römischen König nicht mehr als Herrn des Erdkreises zu ehren, son-
dern als ein wie alle Menschen aus Lehm gefertigtes tönernes Geschöpf mit dem
Schwert des Bannes zu treffen2. Durch die Betonung seiner conditio Humana war
der König der ihm bislang nach mittelalterlichem Verständnis zukommenden sa-
kralen Würde verlustig gegangen. Für Otto von Freising schien mit dieser Ent-
wicklung ein Umschwung von eschatologischer Dimension, eine mutatio tempo-
rum3, eingeleitet worden zu sein. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob
und in welchem Maße die Vorstellungen von »König« und »Reich« im 12. Jahr-
hundert von den mit dem Investiturstreit einhergehenden Veränderungen beein-
flußt wurden, oder anders ausgedrückt: ob hier Kontinuität oder Diskontinuität
zu salierzeitlichen Entwicklungen besteht.
Bis in das ausgehende 12. Jahrhundert hinein wurde mit Nachdruck an der
Position des theokratischen Königtums festgehalten. Nicht nur auf dem Höhe-
punkt der Auseinandersetzung Friedrich Barbarossas mit Hadrian IV. (Oktober

1 Vgl. hierzu Tilman Struve, Die Stellung des Königtums in der politischen Theorie der Salierzeit,
in: Die Salier und das Reich 3, hg. von Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 217-244.
2 Otto von Freising, Chronica sive Historia de duabus civitatibus VI, 36, ed. Adolf Hofmeister
(MGH SS rer. Germ. [45]), Hannover 1912, S. 305, Z. 16-22: Haec (sc. ecclesia) nimirum regnum circa
finem suum ... in ea parte, quae infirmiorfuit, percussit, dum regem Urbis non tanquam orbis dominum
vereri, sed tanquam de limo perhumanam conditionemfactum fictilem gladio anathematis ferire decrevit.
3 Zum Geschichtsbild Ottos von Freising vgl. Johannes Spörl, Grundformen hochmittelalterlicher
Geschichtsanschauung, München 1935, Sonderausgabe Darmstadt 1968, S. 32 ff.; sowie die grund-
legende Studie von Hans-Werner Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Freising (AKG Beiheft 19),
Köln/Wien 1984, bes. S. 86 ff. Über die durch die Ereignisse des Investiturstreites eröffnete eschato-
logische Dimension künftig Tilman Struve, Entzeiterwartungen als Symptom politisch-sozialer
Krisen im Mittelalter, in: Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter, hg.
von Jan A. Aertsen (Miscellanea Mediaevalia 29), Berlin/New York 2002, S. 207-226.
 
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