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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0040
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36

Kapitel 1

ten Vorstellung" an einzelne Quellen heranzutretenW Die Untersuchung des
Konnubiums diente ihm als Kriterium für die Analyse der Sozialstruktur; die Be-
kleidung von Ämtern betrachtete er als weniger aussagekräftig. Der Herrenstand
des hohen Mittelalters habe keineswegs nur die Amtsträger umfaßt, es sei viel-
mehr umgekehrt gewesen: Aus diesem Stand seien die Amtsträger hervorgegan-
gen. Düngern wollte einen geschlossenen Stand von „Dynastengeschlechtern"
erkennen, einen kleinen Kreis von Familien, die eine einheitliche, streng abge-
schlossene Blutsgemeinschaft gebildet und ausschließlich über alle Hoheitsrechte
verfügt hätten. Die Fähigkeit zur Ausübung des Grafenamtes hätten sie „aus an-
geborenem Recht" besessen; man müsse von „autogenen", also nicht vom König
delegierten Herrschaftsrechten über Menschen sprechen. Alle höheren Ämter
seien von diesem Hochadel wahrgenommen worden. Dieser geschlossene Adel sei
älter als die Verfassung der Karolinger, die karolingischen Könige hätten ihn nicht
beseitigen könnenM Die „Freiheit" dieses Standes habe sich durch die autogene
Immunität von der „sonstigen" Freiheit unterschieden. Der Titel von Dungerns
zweitem Werk zu diesem Thema, „Adelsherrschaft im Mittelalter", sollte der fol-
genden Forschung ihre Signatur geben. Aufgelöst habe sich dieser alte Herren-
stand durch die staufische Politik und den damit verbundenen Aufstieg der Mini-
sterialität seit dem 12. Jahrhundert.
Aloys Schulte untersuchte die mittelalterliche Kirche mit Hilfe personenge-
schichtlicher Fragestellungen in ständegeschichtlicher Absicht und avancierte
damit, aus heutiger Sicht, zu einem Begründer der modernen AdelsforschungiA
Statt rechtsgeschichtliche Konstruktionen anzuwenden, beschäftigte sich Schulte
mit der Herkunft der Geistlichen insbesondere des hohen Mittelalters. Dabei be-
tonte er den aristokratischen Charakter der mittelalterlichen Kirche. Die adlige
Exklusivität sei in Bistümern und Königsabteien vom 9. bis zum 12. Jahrhundert
mit wenigen Ausnahmen gewahrt worden. Als Indikator für die Standesverhält-
nisse des Adels betrachtete auch Schulte das Konnubium und zog daraus weitrei-
chende Konsequenzen: „Das deutsche Mittelalter war nicht so einheitlich, wie man
es sich gewöhnlich vorstellt. Seine früheren Jahrhunderte stellen sich dar als die
Zeit der scharf aristokratischen Herrschaft eines nach seiner Geburt streng abge-
schlossenen Standes". „Das Früh- und Hochmittelalter war weit, weit aristokrati-
scher, als man es gewöhnlich ansieht, das damalige Reich war ein Klassenstaat
zugunsten des freien Adels"^. Die Glieder des freien Adels hätten fast alle die
Landeshoheit durchgesetzt.
Otto Forst-Battaglia faßte, aufbauend auf Düngern und Schulte, die Ergebnisse
dieser neuen Arbeiten zusammen. Die Untersuchung von Familien und Stammta-

123 DÜNGERN, Comes, S. 205.
124 Vgl. DÜNGERN, Adelsherrschaft, S. 140.
125 Vgl. nur K.F. WERNER, Adel, in: LexMA 1,1980, Sp. 120.
126 SCHULTE, Adel, S. 297, 31 (Nachtrag).
 
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