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2. Besi tzübertragungen im frühmittelalterlichen Bayern
Hintergrund der Traditionen hinweisend Diese Vermutung wird dadurch
gestützt, dass sich in anderen Urkunden dieser Zeit eine Krisenstimmung
abzeichnete, während in Passau die Anzahl der überlieferten Schenkungen
plötzlich stark zunahmd All dies könnte damit Zusammenhängen, dass der Besitz
der bayerischen Eliten in dieser Zeit sehr konkret bedroht war, zumal die Lehen
und Schenkungen Tassilos durch sein politisches Ende ihre Basis verloren.
Möglicherweise sollte die Tradition also auch direkt den Besitz - von dessen
Rückverleihung man ausgehen muss - vor Beschlagnahmung schützen"". Auffällig
ist auch, dass zahlreiche Freisinger Traditionen dieser Zeit undatiert sind, was
dem Schreiber die Entscheidung ersparte, in der unsicheren Übergangszeit nach
den Herrschaftsjahren Tassilos oder Karls zu datieren*"". Zudem könnten diese
Traditionen gerade in dieser Zeit der Stärkung sozialer Beziehungen mit den
mächtigen Kirchen gedient haben*"*.
Auch in anderen existenzbedrohenden Krisen - etwa in Fehden und wenn
Familienmitglieder zu Unfreien wurden - nutzten Familien ganz konkret den
Schutz der Kirche für sich und ihr Eigentum, das sie tradierten und zu-
rückverliehen bekamen*"". Auch in anderen Fällen könnten Traditionen mit
anschließender Rückverleihung durchgeführt worden sein, um umstrittenen
Besitz wenigstens zum Nießbrauch erhalten zu können*"".
97 Auch St. Gallen erhielt 744/5 Traditionen, die höchstwahrscheinlich in Verbindung mit der
Eingliederung Alemanniens ins Frankenreich standen (Rolf SPRANDEL, Das Kloster St. Gallen
in der Verfassung des karolingischen Reiches (Forschungen zur Oberrheinischen Lan-
desgeschichte 7), Freiburg i. Br. 1958,18-21,41f.
98 S. die außergewöhnliche Arenga in der Schenkung des Crimperht in Ottershausen im
Amperraum (TF 170 [794.05.08]): Mund; Armin um adpropm^MHMAM ndms crcHoscoMüTMS MM
ccrA sigMH mmü/rsAAHr. Zu diesem Fall FREUND, Bischöfe 158f., allgemein zur Situation ebd.
155-60 und ESDERS/MlERAU, Eliten 287-94. Für Passau sind für die Jahre von 770-788 neun,
für die Jahre 788-800 35 Traditionen überliefert (FREUND, Bischöfe 156). S. auch TF 124
(788/92), wo der Neffe eines Tradenten aufgefordert wird, für die Schenkung seines Onkels,
die er als Nnc/MMM erhalten sollte, Schutz zu suchen (ad rnm Amm tymrH A'/rnsAncm), und
ihm vorgeschrieben wird, unter dem Schutz des Bischofs zu bleiben (snT A/rnsAnr cpiscop;
perMHMod).
99 Die Ansprüche Karls auf das von Tassilo vergebene Gut zeigt deutlich TF 166 a (793), in der
ein Graf Helmuin erst durch ein Urteil akzeptierte, dass der Besitz, den er an Freising
geschenkt hatte, keine immü'As war. Karl der Große gestand ihm daraufhin großzügig zu,
diese Tradition doch auszuführen. Auch bei Klöstern scheint Karl der Große in einigen
Fällen zunächst demonstrativ die Anerkennung Tassilonischer Schenkungen verweigert zu
haben, s. zum Kloster Kremsmünster D Karl der Große 169 (791.01.03).
100 TF 109-117, 119, 121-24, 128-38, 144-50, 155-64, ESDERS/MlERAU, Eliten 290. Andererseits
gibt es undatierte Urkunden aus fast allen Phasen der Untersuchungszeit. Ihre Häufung der
Zeit Bischof Attos (783-811) ist jedoch auffällig. Man beachte auch die trotzig klingende
Datierung in TF 127ab (790.04.28): Hoc HMAm^HcfMM osf (...) anno sccMwio (?M0c7 doMMMS rcx
Caro/Ms BaiMHrMM MitpusAd ad Tassi/oncm cAncHuif (a),in sccMMdo anno AansAtMS osf Tass;7o c?MX
de regno SMO (b). Die Datierung einer Urkunde in das (nicht erreichte) 42. Regierungsjahr
Tassilos, also 789, in der zudem noch die Zustimmung des Herzogs zu einer Tradition
vermerkt ist, könnte dagegen auf einem Abschreibefehler beruhen (TF 125 [789702.20]).
101 ROSENWEIN, Neighbor 202, hält die zahlreichen Traditionen an Cluny im 10. und frühen
11. Jahrhundert für eine Folge der krisenhaften Desintegration der Gesellschaft in dieser Zeit,
die eine Stärkung sozialer Bindungen notwendig machte.
102 Diese Strategien werden u. 4.2.3 untersucht.
103 Tit. 15,6 der Lex Baiuvariorum, der den Verkauf oder die Schenkung umstrittener Güter
verbietet, dazu SIEMS, Handel 90.
2. Besi tzübertragungen im frühmittelalterlichen Bayern
Hintergrund der Traditionen hinweisend Diese Vermutung wird dadurch
gestützt, dass sich in anderen Urkunden dieser Zeit eine Krisenstimmung
abzeichnete, während in Passau die Anzahl der überlieferten Schenkungen
plötzlich stark zunahmd All dies könnte damit Zusammenhängen, dass der Besitz
der bayerischen Eliten in dieser Zeit sehr konkret bedroht war, zumal die Lehen
und Schenkungen Tassilos durch sein politisches Ende ihre Basis verloren.
Möglicherweise sollte die Tradition also auch direkt den Besitz - von dessen
Rückverleihung man ausgehen muss - vor Beschlagnahmung schützen"". Auffällig
ist auch, dass zahlreiche Freisinger Traditionen dieser Zeit undatiert sind, was
dem Schreiber die Entscheidung ersparte, in der unsicheren Übergangszeit nach
den Herrschaftsjahren Tassilos oder Karls zu datieren*"". Zudem könnten diese
Traditionen gerade in dieser Zeit der Stärkung sozialer Beziehungen mit den
mächtigen Kirchen gedient haben*"*.
Auch in anderen existenzbedrohenden Krisen - etwa in Fehden und wenn
Familienmitglieder zu Unfreien wurden - nutzten Familien ganz konkret den
Schutz der Kirche für sich und ihr Eigentum, das sie tradierten und zu-
rückverliehen bekamen*"". Auch in anderen Fällen könnten Traditionen mit
anschließender Rückverleihung durchgeführt worden sein, um umstrittenen
Besitz wenigstens zum Nießbrauch erhalten zu können*"".
97 Auch St. Gallen erhielt 744/5 Traditionen, die höchstwahrscheinlich in Verbindung mit der
Eingliederung Alemanniens ins Frankenreich standen (Rolf SPRANDEL, Das Kloster St. Gallen
in der Verfassung des karolingischen Reiches (Forschungen zur Oberrheinischen Lan-
desgeschichte 7), Freiburg i. Br. 1958,18-21,41f.
98 S. die außergewöhnliche Arenga in der Schenkung des Crimperht in Ottershausen im
Amperraum (TF 170 [794.05.08]): Mund; Armin um adpropm^MHMAM ndms crcHoscoMüTMS MM
ccrA sigMH mmü/rsAAHr. Zu diesem Fall FREUND, Bischöfe 158f., allgemein zur Situation ebd.
155-60 und ESDERS/MlERAU, Eliten 287-94. Für Passau sind für die Jahre von 770-788 neun,
für die Jahre 788-800 35 Traditionen überliefert (FREUND, Bischöfe 156). S. auch TF 124
(788/92), wo der Neffe eines Tradenten aufgefordert wird, für die Schenkung seines Onkels,
die er als Nnc/MMM erhalten sollte, Schutz zu suchen (ad rnm Amm tymrH A'/rnsAncm), und
ihm vorgeschrieben wird, unter dem Schutz des Bischofs zu bleiben (snT A/rnsAnr cpiscop;
perMHMod).
99 Die Ansprüche Karls auf das von Tassilo vergebene Gut zeigt deutlich TF 166 a (793), in der
ein Graf Helmuin erst durch ein Urteil akzeptierte, dass der Besitz, den er an Freising
geschenkt hatte, keine immü'As war. Karl der Große gestand ihm daraufhin großzügig zu,
diese Tradition doch auszuführen. Auch bei Klöstern scheint Karl der Große in einigen
Fällen zunächst demonstrativ die Anerkennung Tassilonischer Schenkungen verweigert zu
haben, s. zum Kloster Kremsmünster D Karl der Große 169 (791.01.03).
100 TF 109-117, 119, 121-24, 128-38, 144-50, 155-64, ESDERS/MlERAU, Eliten 290. Andererseits
gibt es undatierte Urkunden aus fast allen Phasen der Untersuchungszeit. Ihre Häufung der
Zeit Bischof Attos (783-811) ist jedoch auffällig. Man beachte auch die trotzig klingende
Datierung in TF 127ab (790.04.28): Hoc HMAm^HcfMM osf (...) anno sccMwio (?M0c7 doMMMS rcx
Caro/Ms BaiMHrMM MitpusAd ad Tassi/oncm cAncHuif (a),in sccMMdo anno AansAtMS osf Tass;7o c?MX
de regno SMO (b). Die Datierung einer Urkunde in das (nicht erreichte) 42. Regierungsjahr
Tassilos, also 789, in der zudem noch die Zustimmung des Herzogs zu einer Tradition
vermerkt ist, könnte dagegen auf einem Abschreibefehler beruhen (TF 125 [789702.20]).
101 ROSENWEIN, Neighbor 202, hält die zahlreichen Traditionen an Cluny im 10. und frühen
11. Jahrhundert für eine Folge der krisenhaften Desintegration der Gesellschaft in dieser Zeit,
die eine Stärkung sozialer Bindungen notwendig machte.
102 Diese Strategien werden u. 4.2.3 untersucht.
103 Tit. 15,6 der Lex Baiuvariorum, der den Verkauf oder die Schenkung umstrittener Güter
verbietet, dazu SIEMS, Handel 90.